Exklusiv – inklusiv? Backstage mit Stef Heidhues bei EIGEN+ART
25. Februar 2021 • Text von Christina-Marie Lümen
Die Ausstellung “Backstage with the Modern Dancers” in der Galerie EIGEN+ART transportiert die Betrachter*innen in einen sonderbaren Zwischenraum. Die Künstlerin Stef Heidhues thematisiert darin Fragen der Form, des Materials, des Negativen Raumes. Der Körper ist – nach Aussage der Künstlerin – stets abwesend. Ein exklusiv-inklusives Kunst-Erlebnis.
In Bezug auf ihre Ausstellung spricht Stef Heidhues von einem Parcours. Dieser beginnt im hinteren, unteren Galerieraum. Starten wir also in der Mitte: Auf dem Boden befindet sich eine horizontal ausgedehnte Installation, eine gewundene Kabel-Schlange, unterbrochen durch ebenfalls gebogene Neonröhren und breitere Kabel-Versatzstücke. Obgleich vollkommen statisch, wirkt die Arbeit sonderbar lebhaft und in ständiger Bewegung. “Braces” entstand bereits für eine Ausstellung Heidhues‘ in der Leipziger Dependenz der Galerie im Januar 2020. In “Die Souffleure” untersuchte die Künstlerin die Idee der Arbeiten als Bühne, des “blank/negative/empty space”, des leeren Raumes. Die Ausstellung “Backstage with the Modern Dancers” ist gewissermaßen eine Folgeausstellung. Nun wendet sich Heidhues dem Backstage-Bereich zu, dem “unsichtbaren Raum”.
Die Boden-Installation lehnt an die Bodenmarkierungen auf der Bühne an. Für die Theater-Besucher*innen unsichtbar, sind jene essenziell für die Kommunikation und Interaktion auf der Bühne und verbinden gleichsam den Innen- und Außenbereich, das Sichtbare und Unsichtbare. Diese Idee wird zur Form in den Neon-Lichtern, welche für die Künstlerin eine Materialisierung des Immateriellen generieren.
Auch in der Installation “Awning” verbinden sich Innen- und Außenraum: Wie ein seichtes Dach schwebt die Arbeit in den Ausstellungsraum hinein. Als mehrfach vergrößertes Gerüst einer Fenstermarkise verweist die Arbeit auf das Konzept des Balkons, eine weitere Referenz zum Theater. Für Stef Heidhues geht es in diesem Bezug zum Theater jedoch nicht um eine Narration, sondern um die Form, den Raum, die Beziehung des Subjektes und Objektes. Die Arbeiten sollen Zusammenhänge untereinander herstellen. “Braces” und “Awning” bilden ein Paradebeispiel.
Rechts und links, an den Querseiten des Galerieraumes hängen “Costume #1” und “Costume #2“. Als dreidimensionale Bilder verweisen diese Installationen auf die klassische Moderne, Bruno Taut, das Triadische Ballett, das Medium der Collage. Der Körper ist abwesend – und doch essenziell präsent. Farbe und Form der Arbeiten – rosa, weiß, schwarz; massiv, leicht – lassen Assoziationen zu Geschlechtern zu, jedoch sind diese nicht eindeutig zuzuordnen und verwehren eine mögliche Identifikation. No Romeo, no Juliet. Or both.
An der zweiten Längsseite des Raumes, gegenüber von “Awning”, finden sich zwei Wandinstallationen, “NoSign#3” und “NoSign#4”. Erste Assoziation: Exit- oder Wegeschilder in den langen Fluren des Backstage-Bereiches. Jedoch hakt auch diese Zuordnung: Die Worte auf den Schildern sind unvollständig, die Farben Rosé, Apricot und Nude – anstelle eines warnenden Rot oder Grün. Ausgangspunkt dieser Arbeiten sind Worte, welche die Künstlerin während des ersten Lockdowns sammelte und fragmentierte: “Con”, “Physical”, “Tance”. Interessanterweise rufen sie in ihrer Ausstellungsumgebung nicht notwendigerweise ihre ursprünglich intendierten Assoziationen hervor: “Con” wird zu “Icon”, “Physical” ergänzt um “touch”, “Tance” wird unmittelbar zum deutschen “Tanz”. Anstelle von “Contact” und “Physical Distance”. Meisterhafte Verdrängung (von Seiten der Autorin). Oder perfekte Täuschung.
In ihrem Ensemble bilden die Arbeiten ein notwendig erscheinendes Miteinander, ein perfektes Bühnenbild. Ich wandele hindurch – als Teilnehmende, Involvierte; Besucherin? Für Stef Heidhues besitzt der Backstage-Bereich etwas Exklusives. Und auch der Ausstellungsraum bleibt gewissermaßen exklusiv; es ist schwer, eine Beziehung zu den Arbeiten aufzubauen. Sie sind nicht abwesend oder feindlich, im Gegenteil. Sie erlauben freie Assoziation und Annäherung. Dabei bleiben sie jedoch stets in ihrem Bereich, ihrem “Space”, schließen die Betrachter*innen nicht ein und offenbaren ihr Innenleben nur äußerst sporadisch, wie in den frechen Kurven des Kabels oder der gelassenen Wölbung der Deckeninstallation.
Gen Ausgang befindet sich der “Exit for Renegades” – der Ausgang der Abtrünnigen. Eine schwarze Fläche, waagerechte Armaturen und erneute Kabel mit Neon-Versätzen. Wie und wohin gehe ich hier hinaus? Das Licht der Neonröhren deutet einen Weg, jedoch scheinen die Öffnungen zu klein. Die Fläche ist vollkommen opak, gibt keinen Fluchtpunkt und keine Möglichkeit zur Flucht. Die Künstlerin spielt hier mit dem Erkennen und Nicht-Erkennen: Der vermeintliche Durchgang bleibt Fläche und Bild, gleichsam eines verdeckten Spiegels. Ist dies das Schicksal der Abtrünnigen, gefangen, verschmäht und der (Selbst-)Erkenntnis verwehrt?
Im oberen Teil der Galerie ist die Situation nahezu diametral verschieden: Ein offener, heller, ausgeglichen-friedlicher Raum öffnet sich. In der Mitte des Zimmers stehen zwei ständerartige Plastiken mit jeweils einem weißen beziehungsweise schwarzen Überwurf. Auf den ersten Blick scheinen die Arbeiten schwerelos, die hinteren Streben sind nicht zu sehen, wodurch sie Leichtigkeit und Witz vermitteln. Auch hier verbietet sich eine geschlechtliche Zuordnung, das anfänglich feminin empfundene Weiß wird zu einer männlichen Römischen Toga, das maskuline Schwarz zu einer Domina. Die Arbeiten entstanden in Bezug zueinander, und sind doch vollkommen eigenständig. Stef Heidhues verortet dieses Phänomen im Autobiografischen: Als Zwillingsschwester erfuhr die Künstlerin die ständige Dichotomie zwischen äußerlicher Entsprechung und innerlicher Andersartigkeit. Der Titel “Twins” deuten auf die Verbindung.
An den Wänden des Raumes hängen delikate, abstrakte Aquarelle. Im Gegensatz zu den Farben im unteren Galerieraum leuchten hier ein starkes Gelb, Cyan und Magenta. Sie stehen in Bezug zu einer Arbeit Heidhues‘, welche derzeit im Mies van der Rohe-Haus in Berlin Weißensee ausgestellt ist. Die Zeichnungen bilden den Versuch der Künstlerin, das eigene plastische Schaffen post-faktum zu Verstehen. Kernaspekt in diesem Falle bildet die Horizontlinie als Achse eines Umklappens.
Hier zeigt sich erneut ein Bezug zum Theater, in Form eines Kipp-Momentes oder Bruchs: Die Bühne, so die Künstlerin, sei ein aufgeladener, begrenzter Raum, und darin niemals neutral. Es bedarf eines Momentes der Abstraktion, des Abstand-Nehmens, um eine kritische Distanz aufzubauen. Diese Abstraktion und kritische Distanz vermitteln sich in den Arbeiten Stef Heidhues‘, wörtlich-visuell und sinnbildlich-perzeptiv.
Der Fokus der Künstlerin in ihrem Schaffen liegt auf dem Prozess: “Je genauer ich weiss, was ich will, desto unzufriedener bin ich mit dem Ergebnis.” In diesem Sinne bilden ihre Arbeiten eine Art Spiel, welche die Rezipient*innen zum Spielen einladen. Es geht ihr nicht um ein Bestimmen oder eine bestimmte Narration; die bestimmte, im Sinne von eindeutige, und graphische Ästhetik der Arbeiten ist daher irreführend. Wie beschrieben, geben die Werke viel Raum für eigene Assoziationen und Ideen. Und doch bleibt der Eindruck, dass die Arbeiten meiner nicht bedürfen, sie bleiben autonom. Die sonderbare, starke Spannung, die sich daraus ergibt, ist ein erstaunliches und sonderbares Kunsterlebnis.
WANN: Die Ausstellung “Backstage with the Modern Dancers” kann derzeit leider nicht besucht werden. Die Galerie öffnet im Einklang mit den offiziellen Vorgaben zur Eindämmung der Covid-19 Pandemie. Die reguläre Laufzeit der Ausstellung geht bis Samstag, den 20. März.
WO: Galerie EIGEN+ART, Auguststraße 26, 10117 Berlin.