Marginalisierung im Museum Esteban Jefferson macht koloniale Spuren sichtbar
7. Dezember 2020 • Text von Julia Meyer-Brehm
In der Rotunde des Pariser Petit Palais werden Schwarze Personen wortwörtlich ins Abseits gedrängt. Bei Tanya Leighton zeigt Esteban Jefferson, wie solche institutionellen Narrative zu einer rassistischen Ausstellungspraxis führen.
Die Besucher*innen des Pariser Petit Palais haben eins gemeinsam: Sie alle müssen in der runden Eingangshalle ihre Tickets kaufen, die als Transitbereich zu den eigentlichen Ausstellungsräumen dient. Das Ausstellungshaus beherbergt das Musée des Beaux-Arts de la Ville de Paris und zeigt Kunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Tanya Leighton zeigt Esteban Jeffersons erste Einzelausstellung in Europa, die wiederum „Petit Palais“ heißt – aber warum?
Schon beim Betreten der Galerie fällt der neue Bodenbelag ins Auge: Sieht aus wie Marmor, ist aber welliges PVC. Ironisch wird hier Bezug zur historischen Architektur des Petit Palais hergestellt. Zahlreiche Schönheitsfehler entthronen die vermeintliche Hoheitsmacht gleich zu Beginn und verdeutlichen die Fragilität der Institution.
Aber zur Sache: Jeffersons großformatige Gemälde zeigen geschäftige Szenen aus der Rotunde des Petit Palais. Sofort fallen die beiden Büsten ins Auge, die in der Eingangshalle platziert sind: Hinter die Ticketschalter oder zwischen die Warteschlangen gequetscht wirken sie höchstgradig fehlplatziert. Und tatsächlich fehlt den Skulpturen, die „Buste d’Africain“ und „Buste d’Africaine“ betitelt sind, jegliche Identifikation: Es gibt keinen Vermerk zu Künstler*in, Herstellungs- oder Herkunftsort der Porträts. Auch der Zeitpunkt ihrer Entstehung ist mit einem Fragezeichen versehen.
Das wirft Fragen auf: Wen stellen die Skulpturen dar und wer hat sie angefertigt? In welchem Kontext wurden sie hergestellt und warum sind sie nicht Teil der Ausstellungsräume? Während die Besucher*innen des Museums seitenlange Infotexte über die „Highlights“ der Sammlung vorfinden, bleiben die Darstellungen im Foyer umgeben von Wegweisern und Personenleitsystemen anonym. Dass Bildnisse Schwarzer Personen lieblos und ohne Kontextualisierung in der Lobby aufgestellt werden, visualisiert die Vermächtnisse kolonialer Strukturen.
In Jeffersons Gemälden sprechen die Kontraste Bände: Er hebt die Büsten farblich hervor, wodurch sie kraftvoll und dynamisch wirken. Die geschäftige Umgebung um sie herum verblasst dabei buchstäblich. Teilweise ist sie nur mit feinen Bleistiftlinien angedeutet: Ältliche Besucherinnen in dicken Daunenjacken scheinen die Kunstwerke gar nicht zu beachten, tippen in ihren Smartphones oder kramen in ihren Taschen.
Statt seiner Rolle als Kulturinstitution gerecht zu werden und Fragen nach Repräsentation und Identität zu beantworten, wirft das Petit Palais diese eher auf. Ob die schriftliche Nachfrage Klarheit bringt? In einem Brief an das Museum erkundigt sich Jefferson nach tiefergehenden Informationen zum historischen Kontext der Skulpturen. Das lässt darauf hoffen, dass das Museum seine Hausaufgaben macht.
WANN?: Die Ausstellung „Petit Palais“ ist noch bis Freitag, den 18. Dezember, zu sehen.
WO?: Tanya Leighton, Kurfürstenstraße 25, 10785 Berlin.