Herrlich, es stinkt nach Kunst
Katalog „Smell it! Geruch in der Kunst“ vom Wienand Verlag

30. August 2021 • Text von

Der Wienand Verlag hat mit “Smell it! Geruch in der Kunst” eine Publikation veröffentlicht, die das gleichnamige Kunstprojekt von 10 Bremer Institutionen zusammenfasst. Die Geruchskunst wird aus ihrer Nische geholt und einem breiten Publikum zugänglich gemacht.

links: schwarzes Buchcover des Katalogs "Smell it!" vom Wienand Verlag, rechts: Eine Raumduft-Installation in einem weißen Ausstellungsraum
„Smell It! Geruch in der Kunst“ Buchcover, Wienand Verlag. // Stefani Glauber, „≈ 350“. Kunsthalle Bremerhaven, 2021, Foto: Franziska von den Driesch.

Kunstwerke sind für gewöhnlich Objekte der visuellen und auditiven Betrachtung. Denken wir an unseren nächsten Ausstellungsbesuch, stellen wir uns darauf ein, etwas zu sehen oder zu hören, mit unseren Augen oder den Ohren wahrzunehmen. Spezielle oder gar außergewöhnliche Gerüche erwartet man in den Ausstellungshallen eher weniger. Das gemeinschaftliche Kunstprojekt “Smell it!” von 10 Bremer Institutionen der Gegenwartskunst, das nun in einem Katalog zusammengefasst wurde, setzt sich auf vielfältige Weise mit dem bisher wenig beleuchtetem Geruchssinn in der Kunst auseinander.

Ein Gemälde, auf dem eine Gemüseverkäuferin neben ihrem Verkaufsstand
Aline von Kapff, Gemüseverkäuferin (Stillleben), um 1887/88, Öl auf Leinwand, 89 x 115,5 cm, Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen.

Hauptanliegen des Projekts und des Katalogs ist es, den Geruchssinn, der erst im Laufe des 20. Jahrhunderts kunst- und kulturgeschichtlich an Bedeutung gewonnen hat, ins Zentrum künstlerischer Auseinandersetzung zu rücken. Beiträge aus der Kunstwissenschaft, Philosophie und Kulturgeschichte begleiten die einzelnen Ausstellungen und künstlerischen Arbeiten. Der Autor Jonathan Reinarz wirft außerdem einen Blick in die Vergangenheit und arbeitet kunsthistorisch auf, wie und wann der Geruch jeweils verhandelt wurde. In Zeiten der Pandemie, wo man außerhalb der eigenen vier Wände im letzten Jahr oft in erster Linie dem eigenen Mundgeruch unter der FFP2-Maske ausgesetzt war oder Menschen als Folge der Corona-Erkrankung Geschmacks- wie auch den Geruchssinn kurzzeitig oder längerfristig verloren haben, scheint das Thema des Projekts zusätzlich an Aktualität zu gewinnen. Der Geruch, die Rezeption durch die Nase, ist allgegenwärtig – nicht immer angenehm – und begleitet uns rund um die Uhr in unserem alltäglichen Leben.

Eine verschwomme Person vor einer großen Wandarbeit, eine weiße Kugel mit einem Loch hängt von der Decke
Oswaldo Maciá, New Cartographies of Smell Migration, 2021, Installationsansicht Kunsthalle Bremen: „Mit den Augen riechen. Geruchsbilder seit der Renaissance“ (12.06.– 15.08.2021) © Oswaldo Maciá, Foto: Franziska von den Driesch.

Die Kunsthalle Bremen ging in ihrer Ausstellung “Mit den Augen riechen. Geruchsbilder seit der Renaissance” genau dem nach und stellte historische wie aktuelle Auseinandersetzungen mit dem Geruch aus. Und obwohl von den Werken kein tatsächlicher Eigenduft ausgeht, erzeugen sie doch eine sinnbildliche Erfahrung, die uns Betrachter*innen “mit den Augen riechen” lässt. Schauen wir auf ein großes Blumenbouquet oder tote Fische, die ausgebreitet auf einer Tafel liegen, so verbinden wir ganz automatisch einen uns bekannten Geruch damit. Jeder Mensch riecht anders und assoziiert unterschiedliche Schlüsselmomente mit den Geruchsbildern, was diese Seh- und Geruchserfahrung zu einer sehr individuellen macht.

Ein leerer weißer Ausstellungsraum ist zu sehen mit vier Pfeilern im Raum, geradezu an der Wand befindet sich leicht oberhalb des Fußbodens zwei kleine schwarze Löcher aus denen ein Duft hinausströmt
Luca Vitone, Imperium, 2014, 2 Duftzerstäuber, Geruch in Kooperation mit Maria Candida Gentile (Bestandteile: Benzoeharz, Zeder, Costuswurzel, Hyraceum, Wasser, Alkohol), raumfüllend, Courtesy the artist & Galerie Nagel Draxler Foto: Franziska von den Driesch.

Wie könnte wohl Macht riechen? Diese Frage stellte sich der Künstler Luca Vitone in seiner Ausstellung “Macht” in der Weserburg in Bremen. Der nahezu leere Ausstellungsraum wurde von einem Duft durchzogen, den der Künstler in Zusammenarbeit mit der Parfümeurin Maria Candida Gentile kreiert hat. Er selbst bezeichnet die Arbeit als eine unsichtbare Skulptur, die nur mit dem Geruchssinn erfahrbar wird. Begleitet wurde die Scent Art in der Weserburg von der vierteiligen Gemäldeserie “Räume”, die aus im Wasser aufgelösten Staub entstanden sind, die der Künstler an Orten institutioneller Macht, wie dem Deutschen Bundestag oder dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe, gesammelt hat.

weiße Ausstellungswand, an der eine große Infografik mit Text hängt, die Grafik zeigt einen menschlichen Kopf und den Aufbau der Nase und des Geruchssinns
Stefani Glauber, „≈ 350“. Kunsthalle Bremerhaven, 2021, Foto: Franziska von den Driesch.

Die Künstlerin Stefani Glauber hat sich in ihrer Ausstellung “≈ 350” im Kunstverein Bremerhaven mit Geruch und synthetischen Duftstoffen und ihren gesellschaftlichen Zuschreibungen und Implikationen auseinandergesetzt. Der Katalog beinhaltet ein Interview mit der Künstlerin, das Auskunft über ihre Selbstwahrnehmung als “Bastlerin” sowie ihre künstlerische Praxis gibt. Sie hat den Geruch fragmentarisch analysiert sowie digitalisiert und sich in Vorbereitung zusätzlich mit den Geruchsmolekülen des Ausstellungsortes beschäftigt. Ihre Ergebnisse konnten begleitend während des Ausstellungsbesuchs als Audioguide nachvollzogen werden.

Zu sehen ist ein Treppenhaus, eine leicht verschwommene Person steht vor einer Fensterfront im Treppenhaus, Fenster und die Glastür der Front sind leicht beschlagen, dahinter liegt einer leerer, weißer Raum
Effrosyni Kontogeorgou: Hemmung, 2021. Foto: Franziska von den Driesch.

Die GAK – Gesellschaft für Aktuelle Kunst zeigte im Rahmen ihrer Projekt-Reihe “Substrate” der Bremer Künstlerin Effrosyni Kontogeorgou, die sich ortspezifisch mit dem Vorgang der Transpiration auseinandersetzte. Sie stellte Fragen nach Zusammenhängen von Körper, (Ausstellungs-)Raum und künstlerischer Arbeit und rückte dabei in erster Linie den Charakter der Prozesshaftigkeit der Verdunstung ins Zentrum der Ausstellung – eine weitere Ebene der Geruchswahrnehmung innerhalb der Kunst.

Ein aufgeklapptes, aufgestelltes Buch, Es sind Bilder von Buchstaben eingeklebt, die aus Fäkalien gelegt wurden und zusammen "das Kakabet" ergeben
Gelitin, Das Kakabet, 2007, Zentrum für Künstlerpublikationen, Foto: Bettina Brach.

Das Zentrum für Künstlerpublikationen hat im Rahmen der Ausstellung “Duft, Smell, Olor…Multiple Darstellungen des Olfaktorischen in der zeitgenössischen Kunst” Werke in Editionen, die Geruch oder Gestank zum Thema haben, sichtbar gemacht. Düfte sind vielfältig und nicht immer angenehm: Die österreichische Künstlergruppe Gelitin beispielsweise hat Buchstaben aus Fäkalien gelegt, sie in der Kloschüssel fotografiert und alphabetisch sortiert – die Geburtsstunde vom “Kakabet”. In einem Künstlerbuch zusammengefasst, lassen sich so aus diesen “Scheiß-Buchstaben” ganze Texte lesen.

Ausstellungswand an der ganz viele Fotos von Buchstaben hängen, die aus Fäkalien gelegt wurden, zusammen ergeben sie einen vollständigen Text
Gelitin, Kakabet/Wandtext von Karl Holmqvist, 2007/2021, Ausstellungsansicht, Foto: Bettina Brach.

Die Publikation “Smell it!” kann ein entscheidendes Element des übergreifenden Ausstellungsprojekts natürlich nicht transportieren – die olfaktorische Wahrnehmung der einzelnen künstlerischen Positionen. Aber sie macht neugierig auf Geruchskunst, holt sie heraus aus einer Nische, schafft Bewusstsein und Aufmerksamkeit für eine bisher wenig beachtete Kunstform und gibt einen vertiefenden Einblick in interessante zeitgenössische Positionen. Gerüche sind immer mit Erinnerungen und Emotionen verbunden, sie schaffen Verbindungen. Das macht die Geruchskunst oder olfaktorische Kunst zu einer ganz besonderen Kunstform, die einen noch persönlicheren und individuelleren Zugang für die Betrachter*innen ermöglicht.

Neben den hier kurz vorgestellten Ausstellungen und Institutionen sind folgende Häuser ebenfalls an dem Kunstprojekt beteiligt: Gerhard-Marcks-Haus Bremen, kek Kindermuseum, Künstlerhaus Bremen, Paula Modersohn-Becker Museum, Städtische Galerie Bremen.

Der Katalog “Smell it! Geruch in der Kunst” wird vom Wienand Verlag herausgegeben und ist hier erhältlich. Auf der Projektseite findet ihr alle Ausstellungen inklusive der Laufzeit – einige der Ausstellungen sind noch zu sehen.