Es ist verkompliziert
Was Maurin Dietrich mit dem Kunstverein vorhat

20. September 2019 • Text von

Der Münchner Kunstverein feiert bald sein 200-jähriges Bestehen. Die neue Direktorin Maurin Dietrich, erst die zweite Frau in dieser Position, wird dieses Jubiläum gestalten und bis dahin mit einem ambitionierten Programm die Institution prägen. Wir sprachen mit ihr über die Konstruktion von Narration und ihre Pläne für das Ausstellungshaus am Hofgarten. Die erste von ihr im Kunstverein kuratierte Ausstellung „Wall Sits“ von Diamond Stingily wird am Freitag eröffnet.

Maurin Dietrich, neue Direktorin des Kunstverein München e.V.

gallerytalk.net: Der Kunstverein München ist eine Institution mit langer Tradition, wie geht man als neue Direktorin mit der Geschichte des Hauses um?
Maurin Dietrich: Der Kunstverein ist ein Ort, der eine Ausstellungsgeschichte hat, der man mit Achtung und Respekt begegnet. Aber ich sehe das positiv, ich möchte mich nicht abgrenzen. Natürlich gibt es hier eine Tradition und ich freue mich, mich in diese Geschichte einzureihen. Aber das ist natürlich mit Verantwortung verbunden. Der Kunstverein als Ort und auch als Institution, von der Ausstellungsgeschichte und den Personen, die hier agiert haben, war immer schon ein sehr wichtiger Bezugspunkt für meine eigene kuratorische Arbeit.

An Orten wie dem Kunstverein wird ja in einem gewissen Sinne Kunstgeschichte geschrieben, eine Narration geschaffen. Kann man die eigene Position da auch kritisch hinterfragen?
Der Kunstverein feiert bald sein 200 jähriges Jubiläum und das ist natürlich ein Moment, an dem man zurückblickt und hinterfragt: Wer fand in der Historie dieser Institution statt und wer nicht. Welche Positionen wurden zu welchen Zeitpunkten nicht gezeigt, wer wurde aus der Geschichte gewissermaßen herausgeschrieben. Ich als Direktorin habe natürlich auch eine weibliche Perspektive auf eine männlich geprägte Institution. Bis auf Maria Lind gab es bisher keine weibliche Direktorin. Ich komme natürlich auch aus einer anderen Generation und habe daher auch einen anderen Ansatz.

Detailaufnahme von Diamond Stingily, “Doing the Best I Can”, 2019; Installationsansicht, Wattis Institute, 2019; Courtesy die Künstlerin; Queer Thoughts, New York; und Ramiken, New York; Foto: Johnna Arnold.

Wie würdest Du deinen Ansatz beschreiben?
Ich finde die Idee einer „Verkomplizierung“ sehr interessant. Wir befinden uns in einem politischen und sozio-ökonomischen Moment, in dem das Angebot einfacher Geschichten immer attraktiver wird. Es dominiert ein Populismus, der einfache Antworten vorschlägt. Was ein Haus wie der Kunstverein leisten kann, ist es, einen Gegenentwurf anzubieten. Weil Geschichten ja auch immer durch unsere eigenen Vorstellungen limitiert sind. Eine Erziehungswissenschaftlerin hat mir neulich erzählt, dass es beispielsweise kaum Kinderbücher gibt, in denen das Konzept von „Patchworkfamilie“ beschrieben wird, die Mutter-Vater-Kind-Vorstellung dominiert immer noch. So etwas schränkt das Bild natürlich ein.

Man nimmt die Welt ja prinzipiell als eine Abfolge kausaler Ereignisse wahr. Man unterstellt eine Kausalität und eine Zeitachse, um das Chaos der Realität für sich selbst zu ordnen. Man konstruiert etwas und erzählt sich selbst eine Geschichte.
Daher interessiert mich die Arbeit mit Künstlern. Ausstellungen sind auch immer eine Chance, andere Geschichten zu erzählen, über andere Blickwinkel und Personen. Ich verstehe Kuratieren durchaus als Narrationsbildung, aber mit dem Ziel, Künstlern einen Rahmen zu geben, die bis jetzt noch nicht sichtbar waren. Das steht auch in der Tradition des Kunstvereins, der immer schon früh viele Positionen gezeigt hat, die zu dieser Zeit noch nicht wirklich sichtbar waren. Dieser Ort hat eine mutige Ausstellungsgeschichte, deren Relevanz man erst retrospektiv wirklich einschätzen kann.

Diamond Stingily, Cameron Stingily 2019, photograph, courtesy die Künstlerin, Queer Thoughts.

Siehst Du den Kunstverein als eine lokal agierende Institution, die jedoch einen globalen Anspruch hat?
Mit einem solchen Ansatz hat der Kunstverein meiner Meinung nach immer am besten funktioniert. Man lädt internationale sowie lokale KünstlerInnen für Einzel- oder Gruppenausstellungen ein. Dabei werde ich von den Formaten nicht unterscheiden, beispielsweise das jetzt lokale Positionen im Schaufenster zum Hofgarten zu sehen sind und inernationale im ersten Stock. Ich arbeite beipielsweise gerade an zwei Projekten mit KünstlerInnen für nächstes und übernächstes Jahr die beide in München geboren sind und studiert haben. Dann gibt es eine Gruppenausstellung kommendes Jahr die Überlegungen zur sozialen Klasse und der damit verbundenen Formensprache im Kontext von München thematisiert.

Hast Du Dir für deine Zeit als Direktorin ein Ziel gesetzt? Quasi eine Überschrift, die für Deine Pläne stehen könnte, ein Schlagwort?
Also ein Schlagwort gibt es nicht. Das spezielle und interessante am Haus ist es, dass nicht nur Ausstellungen präsentiert werden können, es gibt auch, in Zusammenarbeit mit dem Team, Publikationen, diskursive Formate, Partyreihen und Projekte im Stadtraum im kommenden Jahr. Und mit diesen Formaten wird es in den kommenden Projekten um die Verhandlung eines lokalen Imaginativs gehen und auch darum, zu schauen, inwieweit die verschiedenen Formate ein unterschiedliches Publikum und eine unterschiedliche Gemeinschaft adressieren können.

WANN: Die Eröffnung von „Wall Sits“ ist am Freitag, den 20. September ab 19 Uhr, zu sehen bis zum 17. November.
WO: Kunstverein München, Galeriestraße 4, 80539 München.

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