Schleimiges Gedächtnis
Enya Burger bei Nouveaux Deuxdeux

13. Dezember 2024 • Text von

Physarum polycephalum ist der Name eines Schleimpilzes, der trotz seiner Bezeichnung weder als Pilz, noch als Tier oder Pflanze zu identifizieren ist. Die Schleimpilz-Art ist für ihre enorme Erinnerungskapazität bekannt und steht im Mittelpunkt von Enya Burgers Einzelausstellung “guided by memories” bei Nouveaux Deuxdeux. Die Künstlerin geht der mythologischen Historie des Schleims nach und untersucht dabei die hegemoniale Wissensproduktion unserer Gesellschaft.

Enya Burger guided by memories 12 2024 (25 von 126)
Installationsansicht “guided by memories”, Foto: Dirk Tacke, Copyright: nouveaux deuxdeux & Enya Burger.

Schmatzende Geräusche hallen durch die Räumlichkeiten von Nouveaux Deuxdeux. Beim Betreten der Galerie ist Vorsicht geboten, da sonst die Gefahr besteht, gegen eine der gläsernen Wände des Labyrinths – Teil von Enya Burgers Installation “guided by memories” – zu laufen. Langsam und bedacht bahnen sich die Besucher*innen ihren Weg durch die hohen Glaswände, an deren Fußleisten hölzerne Objekte, verbunden durch gelbe Kabel, den ungewöhnlichen Klang im Raum verteilen. Am Ende des Labyrinths befindet sich ein Inkubator, der den Ursprung der schlürfenden und schmatzenden Klänge beherbergt: den Physarum polycephalum, einen gelblichen Schleimpilz.

Enya Burger guided by memories 12 2024 (108 von 126)
Installationsansicht “guided by memories”, Foto: Dirk Tacke, Copyright: nouveaux deuxdeux & Enya Burger.

In Burgers gleichnamiger Einzelausstellung “guided by memories” fungiert der Schleimpilz als Ausgangspunkt ihrer Arbeiten. Das gläserne Labyrinth der Soundinstallation verweist auf wissenschaftliche Experimente mit Miniatur-Irrgärten in Petrischalen, mit denen Forscher*innen die Intelligenz und Erinnerungsfähigkeit dieses ungewöhnlichen Organismus untersuchen. In der Forschung ist der Schleimpilz als Problemlöser bekannt. Er ist fähig, Erlerntes abzuspeichern und abzurufen, um komplexe und unbekannte Wege zu erschließen. Seine kognitiven Fähigkeiten dienen als Inspiration für die Entwicklung sogenannter Künstlicher Intelligenz und selbstorganisierter Systeme.

Enya Burger guided by memories 12 2024 (52 von 126)
Installationsansicht “guided by memories”, Foto: Dirk Tacke, Copyright: nouveaux deuxdeux & Enya Burger.

Die schmatzenden Klänge, die im Labyrinth zu hören sind, basieren auf Echtzeitdaten aus dem Inkubator, in dem der Schleimpilz unter Idealbedingungen heranwächst. Burger verarbeitet und übersetzt die Daten in anthropomorphe Klänge, die den Eindruck erwecken, der Schleimpilz würde genüsslich etwas verspeisen. Der Sound stammt aus hölzernen, historischen Butterfässern, die die Künstlerin geschwärzt und in Lautsprecher umgebaut hat. Das Butterfass ist ein wiederkehrendes Motiv im Ausstellungsraum und ein Verweis auf das mythologische Narrativ des Schleims, die historische Geschlechterzuschreibung sowie hegemoniale Machtstrukturen in der Wissensproduktion. Diese Themen finden sich auch in weiteren Arbeiten der Künstlerin wieder.

Enya Burger 1
Milk Hare, Foto: Dirk Tacke, Copyright: nouveaux deuxdeux & Enya Burger. // Sample Residue (#4), Foto: Dirk Tacke, Copyright: nouveaux deuxdeux & Enya Burger.

Die Wandobjekte der Serien “Sample Residue” sowie “Witch Butter”, “Milk Hare” und “Stolen Luck” beinhalten Fragmente einer skandinavischen Malerei aus dem Mittelalter. Zu sehen ist ein Hase, der Milch stiehlt, um sie anschließend für eine Hexe auszuspucken, die wiederum Butter aus der schleimigen Substanz herstellt. Die Szenerie findet sich als Gravur auf Petrischalen sowie abgefilmt auf runden Monitoren wieder. In ihren Wandarbeiten kombiniert Burger Ästhetiken von Laborgerätschaften, wie Petrischalen und Mikroskope, mit den Abbildungen der mythologischen Szene. Die Künstlerin verweist damit auf die historische Geschlechterzuschreibung des Schleims, der mit Frauen assoziiert und mit Hexerei in Verbindung gebracht wurde – eine Analogie zu verbotenem, weiblichem Wissen.

Enya Burger 2
Sample Residue (#5), Foto: Dirk Tacke, Copyright: nouveaux deuxdeux & Enya Burger. // Slime is memory, Foto: Dirk Tacke, Copyright: nouveaux deuxdeux & Enya Burger.

Auf der Oberfläche von “Slime is memory” ist der Physarum polycephalum direkt zu finden. Die Arbeit enthält ein schriftliches Manifest, umgeben von den gelben Sporen des Schleimpilzes. Die Künstlerin zählt die Eigenschaften des Organismus auf, wie “Slime has collective intelligence”, “Slime is disgusting”, “Slime protects” oder “Slime is female”. Burger macht auf die epistemologischen Eigenschaften des Schleimpilzes aufmerksam und lenkt den Blick auf die Dualität von abstoßenden und gleichzeitig positiven Eigenschaften. Sie präsentiert den Schleim als emanzipatorische Quelle des Wissens, voller chaotischer Energien: “Slime happens”.

Enya Burger guided by memories 12 2024 (104 von 126)
Installationsansicht “guided by memories”, Foto: Dirk Tacke, Copyright: nouveaux deuxdeux & Enya Burger.

Die über die Lautsprecher verstärkten, schmatzenden Geräusche des Physarum polycephalum verdeutlichen seine omnipräsente Anwesenheit im Ausstellungsraum. Ein Blick in den Inkubator lohnt sich: Dort ist der Schleimpilz in seiner ganzen wunderbar widerlichen Schleimigkeit zu sehen. Enya Burger macht in ihrer Ausstellung “guided by memories” die historisch belasteten Vorurteile des Schleims sichtbar und ruft dazu auf, die kognitive Intelligenz des Organismus als Allegorie für eine Kritik an der hegemonialen Wissensproduktion unserer Gesellschaft zu betrachten: Schleim ist schlauer als gedacht.

WANN: Die Ausstellung “guided by memories” läuft bis Samstag, den 15. Februar.
WO: Nouveaux Deuxdeux, Amalienstraße 22, 80333 München.

Weitere Artikel aus München