Entehrt Ehrung?

19. Dezember 2015 • Text von

Kunstpreise gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Da kann man sich schon einmal fragen, nach welchen Kriterien diese Preise vergeben werden und was sie jungen Künstlern wirklich bringen. Ruhm? Oder einfach nur ein gutes Taschengeld, um über die Runden zu kommen? Lucas Gehrmann kuratierte auch heuer den Preis der Kunsthalle Wien und war bereit, uns im Interview zu erklären, wie das eigentlich funktioniert mit diesen Preisen.

Lucas Gehrmann,© Steffen Jagenburg

Lucas Gehrmann,© Steffen Jagenburg.

gallerytalk.net: Der französische Schriftsteller Flaubert schrieb im frühen 19.Jahrhundert „Les honneurs déshonorent“ – „Die Ehrungen entehren“. Ist so ein Denken im 21. Jahrhundert noch von Bedeutung?

Lucas Gehrmann: Flaubert soll auch gesagt haben: „ich glaube, dass die Menschheit nur ein Ziel hat: das Leid.“ Heute muss man glauben, dass die Menschheit nur Glück und Erfolg anstrebt, und zwar über materielle Werte. So folgt auch der internationale Kunstmarkt längst den Regeln der kapitalistischen Marktwirtschaft, was auch den Wettbewerb des Einzelnen im Kunstsystem forciert. Kunstpreise sind Bestandteil dieses globalen Wettbewerbssystems. Die „Ehrung“ eines künstlerischen Werks kann längst auch zu dessen materiellem Mehrwert führen.

Welche Bedeutung spielen solche Preise nun in der Karriere eines jungen Künstlers wirklich? 

Zunächst wird vor allem Aufmerksamkeit erzeugt. Hinter einem Preis stehen ja Institutionen bzw. Experten, die im „System“ anerkannt sind. Deshalb nimmt die Kunstkritik den Preis und damit die Preisträger/innen wahr. In weiterer Folge erhöht dies deren Attraktivität für andere Kunstinstitutionen, für Galerien und auch die Chancen auf Förderungen z.B. durch die öffentliche Hand. Aber es muss auch gesagt sein, dass es immer darauf ankommt, was junge Preisträger selbst aus diesem Aufmerksamkeitsgewinn machen. Nicht alle können oder wollen da „am Ball“ bleiben, was am Anfang, also am Sprung in eine Karriere, aber wichtig ist in diesem eben primär auf Aufmerksamkeit ausgerichteten System. Bei aller Kritik daran würde ich aber auch sagen, dass ein Sinn künstlerischer Arbeit schon auch darin besteht, dass sie an die Öffentlichkeit kommt und wahrgenommen wird.

Ausstellungsansicht Preis der Kunsthalle Wien 2015, Foto: Stephan Wyckoff: Anastasia Yarovenko, Mimicry, 2015, Courtesy die Künstlerin

Ausstellungsansicht Preis der Kunsthalle Wien 2015, Foto: Stephan Wyckoff: Anastasia Yarovenko, Mimicry, 2015, Courtesy die Künstlerin

Der Preis der Kunsthalle wurde 2015 erstmals in Kooperation mit der Angewandten und der Akademie der bildenden Künste an jeweils einen Absolventen vergeben. Es gibt von der Kunsthalle ein Preisgeld von je €3000. Und darüber hinaus? 

Hier richtet sich die Aufmerksamkeit auf den frischen Output dieser beiden Kunstuniversitäten, also auf junge Künstler/innen, die zwar schon auf das Leben und Überleben „draußen“ vorbereitet wurden, deren Karriere aber unsicher ist. Das Preisgeld soll helfen, die Kosten ihrer allernächsten Kunstproduktion etwas zu mindern, aber was wir ihnen darüber hinaus bieten, ist ein Forum, auf dem sie ihre Kunst erstmals in größerem Rahmen öffentlich zugänglich machen können. Ebenso publizieren wir für die Gewinner einen Katalog und bewerben sie über unsere Kanäle. Als Kunsthalle der Stadt Wien geht es uns ja vor allem um die Vermittlung künstlerischer Positionen und die darüber eingebrachten Beiträge zu unserer Zeit und zur Gesellschaft. Und diese Vermittlung soll möglichst nicht mit dem Ende einer Ausstellung im Haus stoppen. Manche Ausstellungen – oder auch „nur“ Positionen – werden von anderen Häusern übernommen bzw. verfolgen einige von uns auch Tätigkeiten „außer Haus“. Nicolaus Schafhausen wird beispielsweise gerne als Kurator diverser Biennalen oder Festivals eingeladen, was dazu führen kann, dass Künstler/innen aus dem „Fundus“ der Kunsthalle zur Teilnahme eingeladen werden. So hat z.B. die Arbeit von Anastasiya Yarovenko, einer der beiden Preisträgerinnen von 2015, inhaltlich zu der von Schafhausen ko-kuratierten Moskau-Biennale 2015 gepasst, und so war sie dort gleich dabei!

Ausstellungsansicht Preis der Kunsthalle Wien 2015, Foto: Stephan Wyckoff: Karina Mendreczky, Thin Dream, 2015, Courtesy die Künstlerin.

Ausstellungsansicht Preis der Kunsthalle Wien 2015, Foto: Stephan Wyckoff: Karina Mendreczky, Thin Dream, 2015, Courtesy die Künstlerin.

Und gibt es bestimmte Kriterien, nach denen die Jury die Gewinner auswählt?

Im Falle des „Preises der Kunsthalle Wien“ gibt es keine vorgegebenen Kriterien. Wir schauen uns alle Diplomarbeiten genau an, und soweit die Künstler/innen sie selbst vor Ort präsentieren, können auch Fragen gestellt werden. Präsentationen durch die Künstler/innen erachten wir als sinnvoll – vor allem auch als „Übung“ für später – sie bilden aber kein Kriterium für die „Bewertung“ ihrer Arbeit selbst. Allenfalls achten wir darauf, inwieweit die Arbeit in eine eigenständige Richtung führt, die also auf der Lehre der Schule aufbauend bereits eine eigene Hand- bzw. Gedankenschrift zu erkennen gibt. Die anschließende Jurysitzung ist immer eine Diskussion und oft auch Debatte um mehrere Positionen. Bei anderen Preisvergaben gibt es aber oft konkret formulierte Kriterien, insbesondere bei solchen, die nicht ausgeschrieben sind und die der Würdigung eines Lebenswerks dienen. Für das „Praemium Imperiale“ in Japan etwa – ein finanziell höher dotierter Preis als der für die Karriere von Künstlern eigentlich wichtigere „Turner Prize“ – wird „für ihre Leistungen, für den Einfluss, den sie international in der Kunst ausüben, und für ihre Bereicherung der Weltgemeinschaft“ vergeben. Ob das die Entscheidungsfindung vereinfacht, steht aber auf einem anderen Blatt Papier!

Porträt Gewinner 2015 Karina Mendreczky & Anastasiya Yarovenko, Foto: Stephan Wyckoff, Kunsthalle Wien 2015.

Porträt Gewinner 2015 Karina Mendreczky & Anastasiya Yarovenko, Foto: Stephan Wyckoff, Kunsthalle Wien 2015.

Der Preis der Kunsthalle sowie fast alle nationalen und internationalen Preise werden an Absolventen von Akademien vergeben. Wie sieht es für „wilde“ Künstler aus, haben sie gar keine Chance mehr sich zu etablieren?

Prinzipiell ist nichts unmöglich. Und prinzipiell sollte die Ausbildung eines Künstlers auch kein Kriterium für die Bewertung seiner Kunst sein. Und doch, ja: in der Regel genießen „akademische“ Künstler/innen sowohl gegenüber dem Staat als auch im „System“ bedeutende Vorzüge. Sie sind sozusagen institutionell verbürgte Künstler und ihre Tätigkeit wird als Beruf anerkannt. Abgesehen davon bieten Kunstuniversitäten bestimmte Strukturen und auch eine gewisse Community, die Künstlern den Einstieg in das Berufsleben erleichtern. Wie z.B. die Möglichkeit, unterschiedliche Techniken und Medien zu erlernen, ein kunstgeschichtliches Basiswissen zu erwerben und auch über das oben genannte Wettbewerbssystem früh Kenntnis zu erhalten.

Die Gewinnerinnen 2015 sind Karina Mendreczky aus Ungarn und Anastasiya Yarovenko aus der Ukraine. Was hat Sie an den Werken der beiden Künstlerinnen fasziniert? 

Karina Mendreczky pendelte während ihres Studiums regelmäßig mit dem Zug oder Auto von Wien nach Budapest. Die Landschaften, die dabei an ihr vorüberzogen, ließ sie über unser gespaltenes Verhältnis zur Natur nachdenken. Einerseits sind wir Teil von ihr und damit auch abhängig von ihr, andererseits wird sie seit Jahrhunderten vor allem nur „erobert“. Selbst die Naturbeobachtung erfolgt primär mittels technischer Medien, aus der Distanz. Für Karina Mendreczky ist „Landschaft“ daher immer nur als „Übersetzung“ erfahrbar. Und so versucht sie in ihrer Installation mit dem Titel „Thin Dream“ Eindrücke von Natur in die Sprache der Kunst zu übersetzen. Dabei bedient sie sich transparenter Materialien und des Kunstlichts, um Schatten von Waldlandschaften zu erzeugen, die wie Grafitzeichnungen aussehen. Auf der Angewandten hat sie Grafik und Druckgrafik studiert, dreht hier nun aber die Technik der Radierung quasi um, indem sie das sonst der Reproduktion dienende Medium der Druckplatte zur Projektion ephemerer Schattenwelten einsetzt. Eine konzeptuell und zugleich ästhetisch sehr ansprechende und raffinierte Arbeit!

Ausstellungsansicht Preis der Kunsthalle Wien 2015, Foto: Stephan Wyckoff: Karina Mendreczky, Thin Dream, 2015, Courtesy die Künstlerin

Ausstellungsansicht Preis der Kunsthalle Wien 2015, Foto: Stephan Wyckoff: Karina Mendreczky, Thin Dream, 2015, Courtesy die Künstlerin

In Anastasiya’s Arbeit „Mimicry“ geht es ja auch um Natur, welchen Zugang findet sie zu dem Thema?

Anastasiya Yarovenko geht es eher um das Verhältnis von Raum und Mensch. Wie empfinden wir uns als körperliche Wesen im Raum? Ihre Installation besteht aus verschiedenen Elementen, die z.T. an Klapptische oder Teppiche erinnern. Je nach Raumsituation baut sie diese modulartigen Elemente auf, indem sie den Menschen, der sie benutzt oder zumindest betrachtet, mitdenkt. Dabei finden alle diese Elemente in einem weiteren „Element“, einer kleinen transportablen Kiste auf Rollen, Platz. Jederzeit ist also alles transportierbar und veränderbar. Immer wieder taucht in dieser Arbeit auch das Motiv des Rasters auf. Das Raster steht für Yarovenko als Metapher für Strukturen, auf denen unsere Räume und andere Konstruktionen basieren. Es bietet Orientierung, gibt aber auch Grenzen vor, innerhalb derer wir uns bewegen müssen. Die Künstlerin möchte aufzeigen, dass man Raster durchbrechen und verändern kann, es hängt nur davon ab, wie wir agieren. So hängen von der Decke mit Linien bedruckte Zylinder aus transparenten Folien herab. Wenn man sich um sie herumbewegt, kreuzen oder verdoppeln sich die Linien, d.h. je nach Blick- oder Standpunkt der Betrachter verändert sich das „Raster“. Wir sind es also, die Räume definieren und Strukturen verändern. So trifft auch hier ein durchdachtes Konzept mit der Dimension des real erfahrbaren Raums zusammen.

Ausstellungsansicht Preis der Kunsthalle Wien 2015, Foto: Stephan Wyckoff: Anastasia Yarovenko, Mimicry, 2015, Courtesy die Künstlerin.

Ausstellungsansicht Preis der Kunsthalle Wien 2015, Foto: Stephan Wyckoff: Anastasia Yarovenko, Mimicry, 2015, Courtesy die Künstlerin.

Gibt es etwas, das Sie ihren Gewinnern mit auf den Weg geben?

Die passende Balance zwischen intensiver künstlerischer Arbeit und der Arbeit an ihrer Wahrnehmbarkeit zu finden könnte ein vorläufiges Ziel sein. Beides beansprucht viel Zeit und Energie, und gerade das Erreichen von Aufmerksamkeit ist oft von Frustration begleitet. Und hat man sie einmal längerfristig erreicht, kann schon wieder eine Gefahr drohen: die Routine, das Weiterverfolgen eines bestimmten Schemas, das sich als erfolgversprechend erwiesen hat. Dem sollte man als Künstler besser nicht verfallen, denke ich. Kontinuität eines künstlerischen Werks bedeutet nicht Fortsetzung des einmal Gefundenen, sondern ständige Weiterentwicklung an einem künstlerischen Gedanken. Der darf dann auch mal ganz unorthodoxe Wege einschlagen!

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis 17.1.2016
WO: Kunsthalle Wien Karlsplatz, Treitlstraße 2, 1040 Wien

Weitere Artikel aus Wien