Emojis und Eitelkeiten
Chris Drange bei Tick Tack in Antwerpen

16. Juli 2021 • Text von

Kendall Jenner – aber in überlebensgroß und mit Emojis dekoriert. Kylie, Gigi, Bella, you name it. Chris Drange überhöht Celebrity Selfies. Er entdeckt Schnappschüsse, bearbeitet sie am Computer, schickt sie nach Litauen, lässt sie in China malen. Ich wiederum habe eine fatale Leidenschaft für Celebrity Gossip. Wir mussten uns also unterhalten.

Chris Drange: Kendall With Sad Roses, 2020, oil on canvas, 114 x 90 x 4,5 cm. Foto: We Document Art, Courtesy The Artist and TICK TACK Antwerp. // Chris Drange: MILEY, 210.310 Likes. Foto: We Document Art, Courtesy The Artist and TICK TACK Antwerp.

gallerytalk.net: Meiner Schätzung nach befasst du dich seit mindestens fünf Jahren mit Fotos von Celebrities auf Social Media. Ganz schön lange Zeit, um sich durch Kendall und Kylie zu scrollen, oder?
Chris Drange: Das stimmt wohl. Ich glaube, du kennst dich trotzdem viel, viel besser mit Celebrities aus als ich. Ich habe zum Beispiel noch nie eine Folge „Keeping Up With the Kardashians“ gesehen. Ich weiß nicht, wie die Stimmen von Kendall oder Kylie klingen. Ich habe keine Ahnung von diesen Leuten, ich kenne nur Bilder von ihnen.

Haben schon mal abgebildete Stars auf deine Arbeiten reagiert?
Kylies Account hat ein-, zweimal was geliked. Aber ich hatte jetzt noch keine Kaufanfragen oder so. Das soll natürlich irgendwann noch passieren.

Wie wählst du denn aus der Selfie-Flut die wenigen Aufnahmen, die du als Vorlage für deine Arbeiten verwendest?
Ich gucke ganz lang rum, sammle ganz viel, irgendwann fange ich an, zu experimentieren. Anselm Reyle, mein ehemaliger Professor und heutiger Mentor, hat mich neulich gefragt: „Du kannst doch eigentlich jedes Foto nehmen, oder?“ Das fand ich lustig. Er hat schließlich diese Folienbilder gemacht. Bei denen könnte man auch denken, sie seien flüchtig entstanden. Dabei braucht jede Arbeit das Moment, wo der Künstler sagt: Das gefällt ihm – und das gefällt ihm eben nicht. Ich brauche relativ viel Zeit, bis bei einem Motiv der Funke überspringt und ich sage: Das sieht jetzt richtig gut aus in der Komposition.

Chris Drange: Gigi, Bella & Skull, 2021, oil on canvas, 200 x 200 x 4,5 cm. Foto: We Document Art, Courtesy The Artist and TICK TACK Antwerp.

Vielleicht können wir das mal an einem Bild durchexerzieren, dass du im Rahmen deiner Solo-Show „Vanity“ bei Tick Tack in Antwerpen zeigst?
Der Ausstellungstitel bezieht sich einerseits auf den kunstgeschichtlichen Begriff Vanitas, andererseits geht es um die Eitelkeit unseres Zeitgeists. Teil der Ausstellung ist ein Gemälde, das auf einem sogenannten Mirror-Selfie der Model-Schwestern Gigi und Bella Hadid basiert. Es ist vor ein paar Jahren auf dem Versace-Ball in Italien entstanden. Die beiden posieren sehr elegant gekleidet in einem Vor- oder Hinterraum des Veranstaltungsorts und machen ein Foto von sich. Dieses Bild hat mich an „Die Gesandten“ von Hans Holbein dem Jüngeren erinnert. Ich wollte schon ewig etwas damit machen. Ich habe dann etwas herumprobiert, einen kreisrunden Bildausschnitt gewählt, ein Totenkopf-Emoji zwischen den Schwestern platziert. Gerade letzteres passt super zur Ausstellung.

Inwiefern?
Ich habe für alle Arbeiten Emojis gewählt, die als neuzeitliche Vanitas-Motive gelten können, den Totenkopf, den Schmetterling, die Kerze. Auch die Träne oder die Schneeflocke haben für mich etwas Vanitasartiges. Was mich speziell an dem Totenkopf so fasziniert: Er grinst dich an!

Das ist mir nie aufgefallen.
Wenn du ihn dir genauer anschaust, siehst du, dass er eigentlich ganz freundlich ist. Das sagt viel über Emojis im Allgemeinen aus. Da gibt es nichts, was Kante hat. Selbst die Pistole ist mittlerweile eine Wasserpistole. Alles wird durch Emojis ein bisschen entschärft. Und das wiederum weist darauf hin, wie alles, was wir heutzutage sagen, ein bisschen entschärft ist. Wer ein Emoji benutzt, gibt eine Gefühlsregung vor, ohne sich festlegen zu müssen.

Der Maler Chris Drange steht an eine Alu-Leiter gelehnt am rechten Bildrand. Drei Malereien sind außerdem zu sehen, eine hängt an der Wand, eine lehnt daran, eine weitere liegt auf einem Tisch.
Chris Drange. Foto: Vedad Divović.

Über Selfies auf Social Media ist ja viel geschrieben worden. Der ewige Streit – ist das jetzt Ausdruck von Emanzipation oder bedient es den Male Gaze – bleibt ungeschlichtet. Hast du über die Auseinandersetzung mit diesen Bildern eine Haltung zu dem Thema entwickelt?
Meine Auseinandersetzung mit diesen Bildern ist erstmal keine Kritik. Sie faszinieren mich. Ich habe keine abgeschlossene Meinung darüber, wie die Bilder zu bewerten sind. Als Künstler muss ich mich da auch nicht entscheiden, glaube ich. Während meines Studiums an der HfbK Hamburg bin ich in die Klasse von Anselm Reyle gewechselt. Da, wo ich vorher war, war ich unglücklich. An den Kunstakademien wird heute viel unter dem Aspekt der Kritik unterrichtet. Aber es ist falsch, zu denken, Kunst müsse zwangsläufig kritisch sein. Ich finde es spannender, die Selfies zu überhöhen und das dann einfach mal so stehen zu lassen und an die Wand zu hängen. Ich glaube, das spricht dann schon für sich. Ich kenne Leute, die meine Arbeiten gekauft haben, weil sie sie als Mahnung verstehen, und andere, die sie gekauft haben, weil sie sie einfach total schön finden. Beide Lager haben Recht.

Wo wir schon über Kritik sprechen, widmen wir uns doch dem Elefanten im Raum: Darf man als Mann einfach so die Bilder von Frauen verarbeiten?
Aus gewissen ethischen oder kunstmoralischen Aspekten ist an meinen Arbeiten eigentlich alles falsch. Ein Mann macht also Bilder von Frauen, die er nicht um Erlaubnis gebeten hat, in einer Zeit nach #metoo und er malt die nicht selber, sondern schickt sie nach Asien. Mir hat mal jemand gesagt: Du machst Bilder von Leuten, die dich nicht kennen, und die werden ausgeführt von Leuten, die du nicht kennst. Das fand ich gut.

Chris Drange: “Vanity”, Installationsansicht, TickTack, 2021. Foto: We Document Art, Courtesy The Artist and TICK TACK Antwerp.

Also hast du dir nichts vorzuwerfen?
Ich gehe ja nicht morgens ins Studio und denke: „Jaaa, jetzt macht der Mann wieder die Frauenbilder.“ Ich habe eine Faszination dafür. Als ich im Rahmen von „Link in Bio“ arbeiten im MdbK Leipzig gezeigt hat, hat man mich deswegen als Sexisten bezeichnet. Ich sehe mich nicht als Sexisten. Und ich verstehe meine Arbeit auch nicht als Aneignung.

Wo liegt der Unterschied zu beispielsweise Richard Prince und seinen „New Porträts“, den Instagram-Screenshots auf Leinwand, sind?
Das ist Appropriation Art. Die hat zum Thema, dass man jemandem etwas wegnimmt. Keiner macht das so gut wie Richard Prince. Ich sehe mich dagegen eher in der Nähe der Pop Art. Die basiert auf Aneignung, ist aber keine Appropriation Art, weil es nicht um den Raub, sondern die Überhöhung und Parody einer Sache ins Groteske geht. Manche Leute werden da jetzt vielleicht laut aufschreien, aber ich sehe meine Arbeit positiv. Ich mache niemandem etwas kaputt.

Könntest du dir vorstellen, auch mal Männer abzubilden?
Ganz ehrlich, bei meiner ersten Publikation zu dem Thema, „Relics“, waren ursprünglich sogar Männer dabei, aber als ich die rausgenommen habe, war das Ganze auf einmal viel runder. Es geht mir ja um ein ganz bestimmtes Schönheitsideal und Männer bedienen das nicht – oder anders. Der Tag, an dem ich anfange, Männer in das Programm aufzunehmen, ist auch der Tag, an dem diese Arbeit anfängt, weniger interessant zu werden.

Chris Drange: “Vanity”, Installationsansicht, TickTack, 2021. Foto: We Document Art, Courtesy The Artist and TICK TACK Antwerp.

Meinst du? Warum?
Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Leute so gerne hassen, was ich mache. Vielleicht gibt es einen inhaltlichen Grund. Vielleicht fällt mir auch etwas ganz Tolles ein und es ergibt am Ende doch Sinn. Aber ich habe da Kehinde Whiley im Kopf, einen der besten zeitgenössischen Porträtmaler. Er malt zu 90 Prozent Männer. Irgendwann hat er eine Frauenserie gemacht – wahrscheinlich, weil ihm nichts Neues mehr eingefallen ist. Das hat irgendwie nicht funktioniert. Bei seinen Arbeiten geht es um Power, die Power Schwarzer Männer. Geschlecht stützt dieses Narrativ. In der Malereigeschichte wurden schon immer Geschlechter gewählt, um gewisse Sachen auszudrücken. Das ist nicht unbedingt schön, aber es funktioniert. Wobei es bei meinen Arbeiten ja auch Ambivalenzen gibt. Die Frauen, die ich zeige, sind ja nicht nur schön, sondern gleichzeitig auch mächtige Unternehmerinnen.

Wenn du sagst, die Leute hassen gern, was du machst, schwingt dann da auch eine gewisse Freude an der Grenzübertretung mit oder ist die Grenzübertretung schlicht eine Notwendigkeit bei dem Thema, was du dir ausgesucht hast?
Wenn man diese Arbeit als Mann in dieser Zeit macht, braucht man schon irgendwie einen Grund. Ich will nicht irgendwie das Selfie retten, sondern ich denke, dass meine Arbeiten wichtige zeitgenössische Porträts sind, die gemacht werden müssen. Und ich habe an dem Stil auch Freude. Dass das für so viel Ärger sorgt, hätte ich nicht gedacht. Ich habe ja schon erwähnt, dass ich es an der HfbK nicht immer leicht hatte. Auch während meiner Masterprüfung habe ich sehr viel Kritik bekommen. Dank der Prüfungskommission sah es drei Monate lang so aus, als würde ich als erster seit den 60er-Jahren die Prüfung nicht bestehen.

Chris Drange: “Vanity”, Installationsansicht, TickTack, 2021. Foto: We Document Art, Courtesy The Artist and TICK TACK Antwerp.

Wie bist du damit umgegangen?
Irgendwie war es auch witzig. Die Professoren an der Kunsthochschule waren Vorreiter ihrer Generation. Nun versuchen diese Autoritätspersonen jemandem, der versucht, genau das zu sein, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Unterm Strich habe ich von der Situation profitiert. Viele Leute haben deswegen über meine Arbeit gesprochen – sie war also schon mal nicht irrelevant. Die Professoren sind ernst zu nehmen, aber sie können nun auch nicht die Wahrheit für sich beanspruchen. Ihre Positionen sind aus den 70ern und 80ern. Da haben sie für mich auch ihren Platz. Heute gibt es eine neue Sammlerschaft, überhaupt eine neue Betrachterschaft, die ganz anders auf meine Kunst blickt. Und wenn meine Arbeit eine gewisse Kurve an Disruptiveness hat, dann finde ich das sehr gut.

WANN: Chris Dranges Solo-Show “Vanity” läuft bis Samstag, den 28. August.
WO: Tick Tack, Mechelsesteenweg 247, 2018 Antwerpen, Belgien.

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