Gefangen in der Metamorphose
Emil Walde bei Setareh X in Düsseldorf

7. Februar 2023 • Text von

Papierne Reifenabdrücke, geschmolzene Felgen, gewundene Aluminiumschilder befinden sich auf der Schwelle von fest zu flüssig, vom Gestern zum Morgen, aus realen in gedankliche Räume. Aus alter Gestalt zur Hälfte neu geboren sind die hybriden Formfindungen von Emil Walde irgendwo in den Zwischenräumen des Seins verortet, im Prozess hin zu einem neuen Wesenszustand begriffen. Ungeachtet äußerlicher Perfektion, bleibt das Licht in all den Narben und Wachstumsfugen hängen, erleuchtet die Dunkelheit innerlicher Bruchstellen. Entschlüpfen sie in den Düsseldorfer Galerieräumen von Setareh X endgültig der eigenen Form?

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Emil Walde, Metatexis, Ausstellungsansicht, courtesy Setareh, Emil Walde, Foto: Johannes Bendzulla.

Die Düsseldorfer Galerie Setareh X ist von einer undurchdringlich hohen Stellwand durchzogen, die von der einen zur anderen Seite reicht, irritierend in die Raumwahrnehmung der Betrachtenden eingreift. Eine weiße Barriere, die düsteren Durchblick gewährt, von der einen Seite anders als umgekehrt. Zacken, Bruchstücke begegnen einander im Innern der gemauerten Wand, berühren sich nicht, aber fast. Was als perfekte Fassade von außen erscheint, gibt ein brüchiges, leeres Innenleben preis. Licht fällt zu beiden Seiten in den Raum zwischen den Betonziegeln, erinnert an Bruce Naumans Korridore, in denen der Ausstellungsbesuch zur Performance wurde. Die Wand aber lässt sich schwerlich durchschreiten, gewährt allein wandernden Blicken Einlass, die sich jedoch im Innern verfangen, ähnlich wie an von Stacheln bewehrten Dornenranken.

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Emil Walde, Periderm, 2022, Aluminium, Paper, solder arms, 40 x 30 x 20 cm, courtesy Setareh, Emil Walde, Foto: Johannes Bendzulla. // Emil Walde, Bone, 2022, stainless steel, 33 x 45 x 50 cm, courtesy Setareh, Emil Walde, Foto: Johannes Bendzulla.

An einer der permanenten Galeriewände sitzt eine seltsame Kreatur, ein Gliederfüßler mit langen metallischen Beinen. Mittels Lötklammern sind sie an den Körper geheftet, an gepresstes Papier, dessen Ausformungen nicht wie Papier erscheinen. Rillen, Einkerbungen, Erhebungen überziehen das Fundobjekt, das an den Seiten ausgefranste Fragment, durchfurchen die Oberfläche mit vielerlei Spuren. Sie bilden eine Landkarte der Vergangenheit, die undefinierte Abdrücke von Schuhen und Reifen bereithält, die anscheinend den natürlichen Boden begingen, durchfuhren. Sie geben dem unbeschriebenen Papier ein Profil, welches an die oberste Schicht eines Baumes, an dessen Rinde erinnert und als Rohstoff tatsächlich aus Bäumen geformt ist.

Beine, die Schattenspiele werfen, genau wie die Felge eines Reifens, nur zur Hälfte erhalten, deren innere Verstrebungen zu den Rändern ausgreifen, bis sie sich in metallisch geschmolzenen Enden verlieren. Hartes Material wird weich, bis es erneut erstarrt und in neuer Form verharrt. Das gebrochene Rad gleicht dabei einem silbrig schimmernden Artefakt, wie aus vorzeitlichem Dunst geborgen und ans Licht gebracht. Ist es Überbleibsel eines Autounfalls? Polizeiliches Beweismittel unter Laub vergraben, das gleich einem blanken Knochen aus dem Dunkel der Vergangenheit ragt?

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Emil Walde, Metatexis, Ausstellungsansicht, courtesy Setareh, Emil Walde, Foto: Johannes Bendzulla.

Bei Emil Waldes Ausstellung “Metatexis” in der Galerie Setareh X in Düsseldorf ist alles im Wandel, wenn sich Materialien in ständiger Metamorphose befinden, von fluidem zu kristallinem Formpol changieren. Materialien werden ihrem ursprünglichen Kontext enthoben, werden zu Bezugspunkten einer unbekannten Erzählung. Einer Geschichte von verlorenen Paradiesen, von dystopischen Zukunftsentwürfen, ohne je konkret zu werden. Ähnlich materialisierten Erinnerungen nehmen die Objekte den physischen wie gedanklichen Raum ein, sind entgegen ihres glänzend makellosen Erscheinungsbildes in Wirklichkeit fragmentiert, leer oder brüchig. Sie muten wie Erinnerungen einer Vergangenheit an, die nicht die eigene ist. So wie manchmal Dinge unvorhergesehen ein Gefühl auslösen, als würden sie in einem Déjà-vu Ahnung von etwas fremd Vertrautem geben.

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Emil Walde, Kapsel 31, 2022, fiberglass Tank and faux leather, 74 x 140 x 150 cm, courtesy Setareh, Emil Walde, Fotos: Johannes Bendzulla.

Bei Walde fällt Licht in die Bruchstellen scheinbar perfekter Oberflächen, wird die ambivalente Schönheit von alltäglichen Dingen in den Fokus gerückt. All die kaputten, unnützen Gegenstände am Straßenrand erhalten in der Präsentation neue Wertigkeit und Präsenz. Auf eine bestimmte Funktion zugeschnittene Objekte wie ein Glasfaserbehälter werden bei Walde an Ketten hängend aus der eigenen Achse gebracht und mit Kunstleder ausgekleidet zum Zufluchtsort. So bildet “Kapsel 31” entgegen ihrer ursprünglichen Bestimmung nun für einen Menschen ein Refugium, wird zu einem den Körper umschließenden, wohnlichen Hort. Die Dinge entwachsen ihrer ursprünglichen Funktion, wie Menschen es manchmal tun und in neuem Kontext in neuer Gestalt erblühen. Doch Metamorphose kostet Kraft, ist Anstrengung, lässt sich auf Körper wie Seele als Narben und Wachstumsfugen erfühlen. Die Sonne glitzert durch die Nahtstellen des Ichs, wenn die alte auf die neue Form trifft.

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Emil Walde, Effect, 2022, Aluminium, 180 x 130 x 40 cm, courtesy Setareh, Emil Walde, Foto: Johannes Bendzulla. // Emil Walde Wall, 2023, concrete bricks, 270 x 550 x 51 cm, courtesy Setareh, Emil Walde, Foto: Johannes Bendzulla.

Alles ist mit allem verbunden, kleinste Veränderungen können in große Auswirkungen münden. So windet sich ein verformtes Aluminiumschild um einen der Stützpfeiler, erinnert an das Flügelschlagen eines Schmetterlings. Tatsächlich lässt sich das Wort “Butterfly” lesen, verweist es gemeinsam mit dem Werktitel auf den sogenannten Schmetterlingseffekt, wenn eine vermeintlich unbedeutende Handlung den Lauf der Geschichte verändern kann. Walde bricht allem Anschein nach unveränderliche Formzustände auf, lässt seine Fundstücke eine Metatexis durchlaufen, in der Geologie die beginnende Aufschmelzung von Gestein. Menschen können sich selbst in seinen Werken einkapseln und verpuppen, bis sie aus der Ausstellung gleich Schmetterlingen mit bunten Gedanken treten, die potenziell die Welt aus der eigenen Achse drehen.

WANN: Die Ausstellung läuft bis Freitag, den 17. Februar.
WO: SETAREH X, Hohe Straße 53, 40213 Düsseldorf.

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