Über den Rand pinkeln Elsa Sahal bei SETAREH in Berlin
23. September 2021 • Text von Julia Meyer-Brehm
Verrenkt, gespreizt und akrobatisch – in Elsa Sahals Einzelausstellung “Female Factory” bei SETAREH zeigt sich, was der menschliche Körper so alles kann. Die Skulpturen der Künstlerin sind nicht nur beeindruckend schön, sondern auch angenehm provokativ. Ein spannender Blick auf Weiblichkeit und Produktivität.
Aus der Ferne plätschert es leise, wenn man die Galerie SETAREH in Berlin betritt. Aktuell ist hier die erste Einzelausstellung der Bildhauerin Elsa Sahal in Deutschland zu sehen. “Female Factory” heißt sie und thematisiert Körper und Produktion, Schönheit und Flexibilität. Sahal blickt dabei mit kritischem Blick auf die Traditionen der Kunstgeschichte und auf unsere Sehgewohnheiten. Aber zurück zum Plätschern: das stammt einem turmartigen Springbrunnen im Garten der Galerie.
Gekrönt ist die Keramikskulptur, die sich “Fontaine” nennt, mit einem zartrosa Unterkörper, aus dessen Vulva ein Wasserstrahl sprudelt. Der hohe Turm ist einer Meereswelt nachempfunden und mit Korallen und anderen Unterwassertieren bestückt. Über allem thront der Frauenkörper, der dort lässig im Stehen pinkelt. Das Wasser spritzt über die Begrenzung des Brunnenrands hinaus. Vielleicht eine Metapher dafür, Raum einzunehmen, sich einen männlichen Gestus anzueignen und ihn vollkommen auszureizen.
Weiter geht es im Inneren von SETAREH. Die schwarz glänzende Skulptur „Grotte généalogique“ verhandelt das Thema Mutterschaft. Auch sie nimmt Raum ein: Wie ein Lavagewölbe türmen sich die fast bedrohlich wirkenden Keramiken auf einem langen Tisch. Ihre Formen sind unkenntlich und erinnern an die fantasievollen Schlösser, die man als Kind aus nassem Sand am Strand geformt hat. An dieser Stelle wird die Verbindung zwischen Erde und Weiblichkeit deutlich, die sich durch die gesamte Ausstellung zieht.
Sahals Skulpturen tragen schöne Frauennamen wie Aliénor, Isadora oder Danaé. Sie scheinen sich zu räkeln und fast zu schweben, während sie bewegungslos an den Stangen hängen, auf denen sie montiert sind. Mit ihrer Serie “Pole Dance” ironisiert Sahal die uns allen bekannten Darstellungen aus der Kunstgeschichte, in denen Frauenkörper von männlichen Künstlern geschaffen wurden, um betrachtet zu werden. Die Künstlerin fordert den Blick auf ihre Arbeiten immer wieder heraus, als wollten sie angeguckt werden. Sahal hat einen Raum voller knubbeliger Frauenkörper und verbogener Gliedmaßen erschaffen, der das Fleischliche, die Sinnlichkeit und gleichzeitig auch die Wut zelebriert.
Elsa Sahal thematisiert den Körper als Produzenten, weniger als Konsumenten. Das ist erfrischend und spannend anzusehen. In ihren Skulpturen aus Keramik und Bronze wird auf beeindruckende Weise die Formbarkeit des einst weichen Materials deutlich. Die Plastiken wirken organisch, atmend, fast menschlich – und dennoch so, als wären sie wie Alienwesen in den Ausstellungsraum vorgedrungen.
Schnell fällt auf, dass in all den Arbeiten kein einziger Kopf zu sehen ist. Lediglich verschiedenste Gliedmaßen machen deutlich, dass es sich bei den Skulpturen um menschliche Körper handelt. Mal sind sie sinnlich verdreht, mal obszön gespreizt. Obwohl diese Mechanismen irgendwie ulkig aussehen, wird ihre Schönheit, Flexibilität und Stärke deutlich: Diese Körper halten und stützen sich selbst. Der Besuch bei SETAREH macht deutlich, wozu unsere Körper fähig sein können: Spannende Verrenkungen, Fortpflanzung und natürlich das Pinkeln im Stehen.
WANN: Die Ausstellung “Female Factory” ist noch bis zum 6. November zu sehen.
WO: SETAREH, Schöneberger Ufer 71, 10785 Berlin.