Eingefrorene TV-Momente
Matthias Groebel im Düsseldorfer Kunstverein

16. Januar 2023 • Text von

Im Düsseldorfer Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen tut sich dieser Tage eine Zeitkapsel auf, die zwischen 1989 und 2001 eingefangene TV-Momente konserviert. Generische Gesichter, ganz nah fokussiert, changieren zwischen bekannt und unbekannt, sind selten genau zu identifizieren. Der Kölner Künstler Matthias Groebel war seiner Zeit voraus, als er die mediale Überfülle, die immersive Wirkung des Fernsehens in halluzinatorisch anmutenden Porträts festhielt.

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Matthias Groebel, A Change in Weather (Broadcast Material 1989-2001), Installationsansicht, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2022, Foto: Cedric Mussano.

Momentaufnahmen, eingefrorene Augenblicke, die verschwommene Gesichter in jeglicher Variation zeigen, Menschen mit Masken, an Lügendetektoren angeschlossen, halb verdeckt, mit der Zeitung in der Hand. Quadratische Mosaikbilder von flimmernden, von hinten beleuchteten Mattscheiben mit Persönlichkeiten aus verschiedensten Kontexten, die bekannt zu sein scheinen und doch nicht einfach zuzuordnen sind. Manchmal sind einzelne Wortfetzen ebenfalls gebannt, Untertitel, Tätigkeitsbeschreibungen, aber zumeist bleiben die Gesichter enttäuschend generisch, die Dargestellten anonym.

Ein Lächeln, ein verschämter Blick nach unten, ein Schrecken, der sich in den Augen spiegelt, Bruchteile einer Emotion. Die Betrachtenden werden im Unklaren gelassen, wissen nicht, was als nächstes geschehen wird und wie es zu der Szene kam. Ist es Begehren oder Unbehagen, was da für eine Sekunde aufflammt? Oder ist es nur eine Mikroexpression, welche die Gesichter selbst überraschend überkommt? Alles wirkt stets ein wenig zu nah, zu intim, wenn Gesichter, Körperteile uns in Nahaufnahme fokussieren. Unser Blick scheint fast voyeuristisch anzumuten, irgendwo zwischen permanenter Überwachung der Dargestellten und ihrer Selbstinszenierung.

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Matthias Groebel, A Change in Weather (Broadcast Material 1989-2001), Installationsansicht, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2022, Foto: Cedric Mussano.

TV-Persönlichkeiten allesamt sind es, die der Kölner Maler Matthias Groebel festgehalten hat. In der Zeitspanne zwischen 1989 und 2001 entstanden, basieren die Malereien auf analogen Fernsehbildern, sind einem Fundus von über 200 Arbeiten entnommen. Ein Fundus, der bisher kaum institutionell gezeigt wurde und ein Porträt der Fernsehlandschaft der 1990er Jahre zeichnet. Wer erinnert sich nicht an all die in Kindheit oder Jugend geliebten Serien, Filme, aber auch an Reality-TV, die Talkshows um die Mittagszeit? Wer sich die damals produzierten Inhalte heute aus nostalgischen Gründen nochmal zu Gemüte führt, der erschrickt oftmals angesichts des sich spiegelnden Weltbilds, wenn diskriminierende Äußerungen in Film und Serie an der Tagesordnung sind. Da fragt man sich, warum das damals nicht ähnlich wie heute wahrgenommen wurde. Doch bis in die Jetztzeit werden Menschen im Fernsehen gerne vorgeführt, zeigen sich im TV all die menschlichen Höhen genauso wie Tiefen.

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Matthias Groebel, A Change in Weather (Broadcast Material 1989-2001), Installationsansicht, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2022, Foto: Cedric Mussano.

Die im Düsseldorfer Kunstverein ausgestellten Malereien wirken fast, als wären sie eins zu eins vom Bildschirm übertragen. Wie kann das sein? Ende der 1980er Jahre entwickelte Groebel eine Maschine, mit deren Hilfe er Standbilder aus dem laufenden TV-Programm nachträglich mit einer Airbrush-Pistole auf Leinwand bannen konnte. Das maschinell erstellte Bild mit all seinen Zufälligkeiten und Fehlern wurde schließlich im Nachhinein vom Künstler bearbeitet, manipuliert und angepasst. In dieser Arbeitsweise spiegelt sich ein veränderter Malprozess, eine Abkehr von der konventionellen Bildfindung angesichts eines in allen Tätigkeitsbereichen sich niederschlagenden digitalen Wandels. Groebel begab sich in einen Dialog mit der Maschine, indem er nach der Auftragserteilung kontrollierte und korrigierte. Ein Dialog, den wir seit langem mit den Technologien führen, der durch das Smartphone beinah unumgänglich geworden ist.

Als eine der revolutionärsten Entwicklungen in der Menschheitsgeschichte brachte das Fernsehen als direkter Vorläufer von Streaming-Diensten und Pay-TV die Stars unmittelbar ins Wohnzimmer. Die Distanz zu den Hollywood-Schauspielenden der großen Leinwand ging zunehmend verloren und auf einmal waren die Fernsehzuschauenden selbst quasi mitten im Geschehen. Der quadratische Bildschirm übte eine fast sogartige Faszination aus, schuf neue Räume für Erfahrungen aus zweiter Hand. Mit der sukzessiven Zunahme der Sender geriet der TV-Apparat angesichts der schier endlosen Auswahlmöglichkeiten jedoch zu einem Medium visueller Überfülle. Der heutige nie enden wollende Bilderstrom auf allen Geräten wurde schon damals von Groebel reflektiert, wenn er sich nicht nur dem deutschen Programm widmete, sondern auch aus internationalen Sendern schöpfte, er gerne in den Tiefen der Nischenprogramme weit nach Mitternacht auf der Suche nach neuen Bildquellen unterwegs war.

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Matthias Groebel, L0895 (1995), L0793, (1993), Installationsansicht A Change in Weather (Broadcast Material 1989-2001), Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2022, Foto: Cedric Mussano.

Heute wie gestern lässt es sich schnell im medialen Strudel verlieren, im TV, im Internet, in digitalen Rabbit Holes. Wir wissen mittlerweile um die potenzielle Gefahr durch Manipulation, die durch Algorithmen und soziale Medien angewachsen ist, aber seit Anbeginn der Massenmedien bereits angelegt war. Die Ausstellung “A Change in Weather (Broadcast Material 1989–2001)” entwickelt nicht nur angesichts der gezeigten Malereien selbst Sogwirkung, sondern auch anhand ihrer Hängung und Ausstellungsarchitektur. Verschachtelte Stellwände führen in die Tiefe des Raumes, als Raster angelegte Bilder wirken wie eine Installation von Nam June Paik, in der zahlreiche Fernsehbildschirme nebeneinander aufgereiht sind. Groebels halluzinatorisch anmutende Malereien führen die Augen auf traumverlorene Pfade, wechseln zwischen Realität und Illusion, lassen die Gedanken Räder schlagen.

WANN: Die Ausstellung läuft bis Sonntag, den 26. Februar.
WO: Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Grabbeplatz 4, 40213 Düsseldorf.

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