Ein unnachgiebiger Blick
David Wojnarowicz in den KW

22. Februar 2019 • Text von

Über hundert fotografische und filmische Arbeiten des New Yorker Künstlers David Wojnarowicz werden dieses Frühjahr in den KW gezeigt, wo sich dessen Oeuvre zu einer eindrucksvollen Ausstellung über Identität, Empathie und Schmerz zusammensetzt.

(Links) Peter Hujar: David Wojnarowicz Smoking, 1981/2018, (Rechts) Peter Hujar: David Wojnarowicz, 1981/2016. Courtesy the Estate of David Wojnarowicz und P·P·O·W Gallery, New York; Installationsansicht in der Ausstellung David Wojnarowicz Photography & Film 1978–1992, KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 2019, Foto: Frank Sperling.

Der Ausstellung wie eine Präambel vorangestellt ist ein Druck aus dem Jahr 1990: Um ein Schwarz-Weiß-Bild des jungen Wojnarowicz ist ein Text des Künstlers arrangiert, der Diskriminierung, Gewalt und Ausgrenzung von Homosexuellen beschreibt. Trotz der Brutalität des Themas klingt „Untitled (One day this kid…)“ wie eine kurze Zeitungsmeldung, die sich mit unnachgiebiger Sachlichkeit entlang des Umrisses von dem Jungen mit dem leicht schiefen Blick und übergroßen Schneidezähnen fortsetzt. Das ist David Wojnarowicz, Autor seiner eigenen Geschichte.

Er wird beschrieben als ein rebellischer junger Mann, der mit 16 Jahren die Schule verließ und durch die USA trampte, bis er sich 1978 im New Yorker East Village niederließ. Das Narrativ von Wojnarowicz, dem Autodidakten am Rande der bürgerlichen Gesellschaft, lässt sich nur partiell in seinen Arbeiten wiedererkennen. Ob vor oder hinter der Kamera, der Fokus ist auf sein Gegenüber gerichtet: Sei es die Betrachter*in, die er mit wachen Augen aus tiefen Höhlen taxiert, oder die Person, auf die er durch die Kameralinse blickt. Eben dieser fortlaufende Perspektivwechsel zeugt von einem künstlerischen Handeln, das aus dem Kollektiven entspringt und dieses mit einer existenzbestätigenden Bestimmtheit zum Mittelpunkt seines Tuns macht. Wojnarowicz ist kein Außenseiter, sondern lebte inmitten einer marginalisierten Gemeinschaft, wo er in der Auseinandersetzung mit befreundeten Künstler*innen, Filmemacher*innen und Musiker*innen wie Nan Goldin, Kiki Smith, Peter Hujar und Ben Neill seine eigene Praxis entwickelte.

In der großen Halle der KW ist neben anderen Arbeiten auch die Fotoserie „Arthur Rimbaud in New York“ ausgestellt. Arthur Rimbaud ist ein französischer Lyriker des 19. Jahrhunderts; in Wojnarowicz‘ Bildern sind seine Freunde Arthur Rimbaud, wenn sie sich mit dessen Gesicht maskiert durch das Stadtleben von Manhattan und Brooklyn bewegen. Wojnarowicz  verortet die An- und Abwesenheit von Rimbaud als historische Figur und Inspirationsquelle für die queere Community in der Profanität und Unvollendetheit des täglichen Lebens. Die Suche nach einer Historizität der eigenen Erfahrung und Identifikationsmöglichkeiten hat in dem vierzig Jahre alten Werk eine unmittelbare Energie, die sich aus der gewaltvollen Diskrepanz zwischen dem Erlebten und dem Überlieferten speist und die man in aktuellen Strategien von historischer Aneignung oft vermisst.

David Wojnarowicz und Ben Neill: ITSOFOMO – In the Shadow of Forward Motion, 1989/2018. Standbild aus VHS-Video auf Digitalvideo, Installationsansicht in der Ausstellung David Wojnarowicz Photography & Film 1978–1992, KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 2019, Courtesy Marion Scemama, Foto: Frank Sperling.

Die rauen, unverputzten Wände von New York in den Siebzigern und Achtzigern, der Dreck auf den Straßen und die provisorischen Freiräume, in denen sich die queere Community in Wojnarowicz‘ Bildern zusammenfindet, wirken in den KW wie ein romantisches Artefakt: Eine Erinnerung an ein vergangenes Berlin, als auf dem Dach der Volksbühne noch OST stand und einen Ort markierte, an dem sich die Wellen des Pazifiks nicht am Silikon Valley brechen. Heute scheint es so, als würde die Kunst von Wojnarowicz und die aus Baugerüsten konstruierte Ausstellungsarchitektur sich mühlevoll gegen ihre kommerzielle Ummantelung behaupten, als würden die Stahlträger Decke und Boden in einem Kraftakt auseinanderstemmen, um Freiraum zu schaffen. 

In seine fotografischen und filmischen Arbeiten bezieht Wojnarowicz wiederholt von ihm geschriebene Texte ein. Einen besonders starken Eindruck hinterließ die Soundspur zu dem Video „When I put my hands on your body“, das 1989 in Zusammenarbeit mit Marion Scemama entstanden ist und in kalten Blautönen zwei Männer zeigt wie sie sich gegenseitig liebkosen. Währenddessen sagt Wojnarowicz: „When I put my hands on your body on your flesh I feel the history of that body. Not just the beginning of its forming in that distant lake but all the way beyond its ending. […] It makes me weep to feel the history of your flesh beneath my hands in a time of so much loss. […].“

Marion Scemama und David Wojnarowicz: When I Put My Hands on Your Body, 1989. Standbild aus Super-8-Film, Installationsansicht in der Ausstellung David Wojnarowicz Photography & Film 1978–1992, KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 2019, Courtesy Marion Scemama, Foto: Frank Sperling.

Ende der achtziger Jahre wurde Wojnarowicz mit HIV diagnostiziert, bereits 1987 starb sein ehemaliger Liebhaber, Freund und Mentor, der Fotograph Peter Hujar, an den Folgen von AIDS. Inmitten der sogenannten AIDS-Krise, die eine ganze Generation von queeren Künstlern und Intellektuellen versehrte, wurde Wojnarowicz‘ Blick auf seine Umgebung noch unnachgiebiger. Der Stigmatisierung und gewaltsamen Ausgrenzung von Seiten der Mehrheitsgesellschaft setzte er eine Flut an Bildern entgegen, in dem Versuch das Leid und die Hoffnungslosigkeit der Betroffenen und ihrer Nächsten sichtbar zu machen und festzuhalten. In dem Maße, in dem er sich selbst in seinen künstlerischen Arbeiten preisgab, begann er sich auch politisch für die Rechte der Community zu engagieren und beteiligte sich aktiv an öffentlichen Debatten über die medizinische Forschung zu AIDS und HIV.

Der Körper – als Objekt des Begehrens, aber auch der Körper: objektiviert, gefesselt, gefangen, fragmentiert und wie ein Tier auf seine Triebhaftigkeit reduziert – bleibt der Schauplatz allen Lebens und wird zum Schauplatz des Todes. Zu Beginn der Ausstellung sind die von Wojnarowicz post mortem aufgenommenen Fotografien von Peter Hujar ausgestellt: Ein Gesicht, aus dem das Leben entschwunden ist, dessen Hände und dessen Füße.

Andreas Sterzing: David Wojnarowicz (Silence = Death), 1989. New York, Fotografie, Courtesy der Künstler, the Estate of David Wojnarowicz und P·P·O·W, New York.

Bei David Wojnarowicz ist das Persönlichste das Politischste und offenbart sich in all seiner Verwundbarkeit als die stärkste Waffe gegen den Blick des Anderen. Mit einer unerschrockenen Offenheit zwingt er uns immer wieder nicht nur zu sehen, sondern vor allem mitzufühlen. Ein beklemmendes Gefühl der Angst und der Trauer stellt sich ein, während man die Ausstellungsräume durchläuft. Mein Blick aus sicherer Distanz auf das Vergangene, ist ein empathischer. Diese Form der Empathie unterscheidet sich von vielen identitätspolitischen Positionen, die – mit Sicherheit aus guten Gründen – eine Grenze aufzeigen, die von der Betrachter*in nicht überschritten werden soll, um die Autorschaft über die eigene Geschichte zu schützen. Das künstlerische Handeln von David Wojnarowicz verzichtet auf eben diese Grenze und vielleicht ist es mir deshalb unmöglich seiner Forderung nach Solidarität nicht nachzugeben.

WANN: Die Ausstellung läuft bis zum 05. Mai 2019 und ist von Mittwoch bis Montag, jeweils von 11 bis 19 Uhr geöffnet.
WO: KW – Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, 10117 Berlin. Mehr hier.

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