Ein eigener Raum
Feministische Arbeiten im Apartment der Kunst

4. Mai 2023 • Text von

Was bedeutet es, sich als Frau einen Platz in der Gesellschaft zu schaffen? Angelehnt an Virginia Woolfs berühmte Streitschrift “A Room of One’s Own” zeigen die Künstler*innen Katrin Bittl, Nele Ka und Lilian Robl Werke, die sich mit räumlichen Machtstrukturen auseinandersetzen. Im Fokus der gleichnamigen Ausstellung stehen gesellschaftliche Normvorstellungen, weibliche Literatur und eine Sci-Fi-Geschichte.

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Rückansicht der Videoinstallation Is writing female?. Fotocredits: Thomas Splett.

Was braucht eine Frau, um emanzipatorische und kreative Schaffensprozesse umzusetzen? Ein eigenes Zimmer, einen Rückzugsort ohne häusliche Pflichten und Erwartungen. Diese These hat Virginia Woolf bereits vor knapp 100 Jahren aufgestellt, als sie 1929 ihr Essay “A Room of One’s Own” publizierte, das zum Ausgangspunkt der gleichnamigen Ausstellung im Apartment der Kunst in München wird. Der Aufsatz wurde seitdem vielfach zitiert, hochgelobt und hat eine wichtige Rolle in der Frauenbewegung eingenommen. Inzwischen hat sich einiges in punkto gesetzlicher Gleichstellung der Frau geändert – trotzdem hat der Text nicht an Aktualität verloren, da auf gesellschaftlicher Ebene weiblich gelesene Menschen immer noch benachteiligt werden.

Kuratorin Hanna Banholzer versammelt die Arbeiten der Münchner Künstler*innen Katrin Bittl, Nele Ka und Lilian Robl in dem kleinen Ausstellungsraum des Apartments der Kunst. Etwas versteckt im Hinterhof gelegen präsentiert sich der Raum selbst bereits als intimer Rückzugsort mit idealen Voraussetzungen für Banholzers Konzept. Auf wenigen Quadratmetern können die Besucher*innen emanzipatorische Kunstwerke betrachten und persönliche Interpretationen von “A Room of One’s Own” entdecken.

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Videoarbeit Cranes von Katrin Bittl. Fotocredits bei der Künstlerin.

Katrin Bittls Videoperformance “Cranes” zeigt eine Szene wie aus dem Urlaub. Zwei Frauen am Steg, umgeben von Wasser, rauchend – und trotzdem nicht alltäglich, zumindest nicht alltäglich für den Großteil der Bevölkerung. Die Künstlerin befindet sich in ihrem sonst nur im Privatraum genutzten Hilfsmittel, dem Hebelift. Damit können Menschen, die einen Rollstuhl wie Katrin Bittl nutzen, leichter bewegt werden. Es handelt sich um eine Art Kran, der die Künstlerin über den Steg schweben lässt. In Zusammenarbeit mit ihrer Künstlerkollegin Saioa Alvarez Ruiz verwandelt sie den öffentlichen Raum zu ihrer Kulisse und eignet ihn sich an. 

Eine intime Situation entsteht, bei der die Betrachter*innen unsicher werden, ob sie hier zuschauen dürfen. Doch genau das ist erlaubt. Bittl beschäftigt sich in ihren biographischen Arbeiten immer wieder mit gesellschaftlichen Idealbildern und Normvorstellungen. Als Frau mit Behinderung stellt sie soziale Strukturen in Frage und zeigt dabei authentisch ihre Lebensrealität, die für alle in der Gesellschaft sichtbar werden soll.  

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Videoinstallation Is writing female? von Lilian Robl. Fotocredits: Thomas Splett.

Direkt gegenüber befindet sich Lilian Robls Rauminstallation, eine Bücherwand, die auf der Rückseite gleichzeitig zur Projektionsfläche wird. Hier ist die Videoarbeit “Is writing female?” zu sehen. Betrachter*innen folgen einem jungen Mädchen durch ihr Kinderzimmer, begleitet von einer Stimme aus dem Off, die aus Virginia Woolfs “A Room of One’s Own” zitiert. Das Mädchen packt ihre Schultasche, verstaut Krimskrams, läuft durch den Raum und bleibt am Bücherregal hängen, wo sie einzelne Bücher herausgreift.  

Während das Mädchen durch die Bücher blättert, collagiert die Audiospur im Hintergrund weitere Beiträge, in denen über die männlich geprägte Literaturwelt, weibliche Autorinnen und queeres Schreiben gesprochen wird. Die Bücher, die das Mädchen aus dem Regal zieht, haben außer der Tatsache, dass sie von Frauen geschrieben wurden, nichts gemeinsam. Trotzdem wird Literatur von Frauen gerne in eine bestimmte Schublade abseits der Norm gesteckt.  Robl stellt die Kategorie des weiblichen Schreibens in Frage und spricht über einen erschwerten Zugang von nicht männlich gelesenen Autor*innen in den Literaturbetrieb. 

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Stück der dreiteiligen Werkserie HELLO P.R. MY OLD FRIEND von Nele Ka. Fotocredits: Oliver Haussmann. // Detailansicht eines Stücks aus der dreiteiligen Werkserie HELLO P.R. MY OLD FRIEND von Nele Ka. Fotocredits: Oliver Haussmann.

Nele Ka beschäftigt sich in ihrer Werkserie “Hello P.R. my old Friend” ebenfalls mit Literatur, genauer gesagt mit den Normen des Literaturbetriebs. Die Abkürzung P. R. steht für Perry Rhodan, den Titelhelden der gleichnamigen deutschen Science-Fiction-Serie, die seit den 60er-Jahren bis heute wöchentlich als Comic erscheint. Die Handlung dreht sich um die männliche Heldenfigur, Kommandant Major Perry Rhodan, der als amerikanischer Astronaut auf den Mond fliegt, wo er mit einem außerirdischen Forschungsraumschiff in Kontakt tritt. Von da an verhinderte er einen atomaren Weltkrieg und wird immer wieder als Retter in der Not inszeniert.

In Nele Kas Wandarbeiten sind die DIN-A5-großen Comic-Hefte der Heldengeschichte unter schillernden Folien zu erahnen. Auch sonst zieht sich die Sci-Fi-Ästhetik durch die Werkserie. Metallgitter, Ketten, Austern – Nele Kas Objekte erinnern an Raumschiffe und silberne Anzüge. Ebenfalls im Raum zu finden sind QR-Codes, mit denen Besucher*innen weitere Hinweise zum Inhalt des gesponnenen Narrativs erhalten. Dahinter verbergen sich 3D-Scans der in den Wandarbeiten verbauten Comic-Hefte.

Es lässt sich feststellen, dass Perry Rhodan ein imperialer, archetypischer Protagonist ist. Seine Geschichte ist eine wiederkehrende Form des Storytellings, wie sie so häufig zu finden ist. Ein Typ, der auf Abenteuer geht und das Universum rettet. Seine Erzählung ist nichts Neues und trotzdem ein fester Bestandteil des Literaturbetriebs, ein Erfolgsschlager, mit über 3200 Publikationen.

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Ausstellungsansicht A Room For One’s Own mit Frontseite der Videoinstallation Is writing female?, einem Stück der Werkserie HELLO P.R. MY OLD FRIEND an der Wand und der Arbeit Cranes im Hintergrund. Fotocredits: Thomas Splett.

Was hat sich 100 Jahre nach Virginia Woolfs Essay getan? Die Gesellschaft ist immer noch vom Patriarchat geprägt. Die Arbeiten der drei Künstler*innen machen deutlich, dass vorherrschende Vorstellungen der Norm bekämpft werden müssen, um räumliche Machtstrukturen aufzubrechen und etwas zu verändern. Obwohl es natürlich zahlreiche Besserungen für Frauen und weiblich gelesene Menschen gibt, braucht es eben doch immer noch “A Room of One’s Own”, als Rückzugsort und Safe Space, um sich weiter für Gleichberechtigung und Sichtbarkeit einsetzen zu können.

WANN: Die Ausstellung “A Room of One’s Own” läuft noch bis einschließlich Mittwoch, den 17. Mai.
WO: Apartment der Kunst, Schönfeldstraße 19, Rückgebäude, 80539 München

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