Die Flugmango spricht von Zukunft
"Earth Speakr"-App von Ólafur Elíasson

3. August 2020 • Text von

Was würde ein Jutebeutel über Plastikvermeidung sagen? Die App „Earth Speakr“ bietet Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, auf kreative Weise über die Zukunft der Erde nachzudenken. Erwachsene sollten gut zuhören.

Screenshot der App "Earth Speakr". Auf Rasen ist ein trauriges Gesicht zu sehen.

Screenshot “Earth Speakr”.

Facefilter begeistern Jung und Alt, das wissen wir bereits. Dank „Earth Speakr“ gibt es den ganzen Spaß jetzt auch mit politischer Mission. Mit wenigen Klicks lässt sich eine zugegebenermaßen vereinfachte Version des eigenen Gesichts auf ein Objekt in der Umgebung zaubern. Nun muss nur noch eine Nachricht aufgenommen werden und schon sind die Benutzer*innen aktiver Teil des Kunstwerks. Wer hätte gedacht, dass unglückliche Plastikflaschen und quengelnde Müllberge so unterhaltsam sind?

Die App stammt aus der Feder von Ólafur Elíasson : In Zusammenarbeit mit seinem Studio, Kindern und Jugendlichen sowie Wissenschaftler*innen und weiteren Partner*innen hat der dänische Künstler  das Projekt „Earth Speakr“ kreiert, das sich als Kunstwerk versteht und  anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 entstanden ist. „Earth Speakr“ wurde in Kooperation mit dem Goethe-Institut realisiert und hat eine Förderung vom Auswärtigen Amt erhalten.

Ziel des Projekts ist es, einen Gedankenaustausch verschiedener Altersgruppen in ganz Europa zu fördern. Zentrale Punkte sind dabei die Zukunft unseres Planeten und der Klimawandel. „Earth Speakr“ setzt sich aus einer App und einer interaktiven Website zusammen, die in allen 24 offiziellen EU-Sprachen verfügbar ist. Durch Augmented Reality können Kinder jedem beliebigen Objekt Gesichtszüge und ihre Stimme verleihen, ob Zigarettenstummel, Schlammpfütze oder Plastikflasche. Die entstandenen Videos können auf www.eartspeakr.art angesehen und geteilt werden.

Olafur Eliasson, Earth Speakr, 2020, for the Federal Foreign Office on the occasion of the German Presidency of the Council of the European Union 2020.

Die Ergebnisse sind so kreativ wie vielseitig: Eine Flugmango beklagt, dass sie bis nach Neuruppin verschickt wurde. Das Blatt einer Monstera-Pflanze aus Argentinien mahnt, Umweltverschmutzung schade uns allen. Von einer australischen Brottüte werden wir vor verschmutzten Meeren gewarnt. Und aus Nairobi tönt eine Löwin: „Hey, don’t kill my son, please.“ Sprechende Berge in Slowenien, dicke CO2-Schwaden in Mumbai und eine alte Zigarettenschachtel auf Dänemarks Straßen. Alles erwacht zum Leben: Kuscheltiere, Gullideckel, Wurstscheiben, ja sogar ganze Gebäude.

Dass die App für Kinder gemacht ist, erkennt man an ihrer Offenheit: Ob ernsthaft oder albern – die Gestaltung der eigenen Botschaft bleibt komplett dem Nachwuchs überlassen. „Earth Speakr“ liefert keine vorgefertigten Schablonen oder gute Ratschläge von Erwachsenen. Eltern spielen eine Nebenrolle und dürfen das tun, was sie am besten können: Stolz die Videos verbreiten, die ihre Sprösslinge fabrizieren.

Vorsicht ist dort geboten, wo das Klicken durch die zahlreichen Beiträge  zu schmachtenden Ausrufen und verzückten Gesichtsausdrücken verleitet. Die Botschaften jedoch als „niedlich“ abzutun, wird ihnen nicht ansatzweise gerecht. Wer sich ernsthaft mit den Videos auseinandersetzt, erkennt, dass die Autor*innen und ihre Ziele durchaus ernst zu nehmen sind. Es zeigt sich: Zu erkennen, dass verschmutzte Meere und dreifach eingeschweißte Salatgurken idiotisch sind, ist wirklich kinderleicht.

Ein Kind benutzt die App "Earth Speakr".

Olafur Eliasson, Earth Speakr, 2020, for the Federal Foreign Office on the occasion of the German Presidency of the Council of the European Union 2020.

Ob einschlägige Sneaker- oder Lebensmittelkonzerne letztendlich die kritischen Videos ansehen und ihre Strategie überdenken, bleibt fragwürdig. Wie so oft könnte das Projekt am Zuhören der Entscheidungsträger*innen scheitern. Aus diesem Grund können bei „Earth Speakr“ so genannte „Loud Speakrs“ erstellt werden. Diese Lautsprecher können per Drag and Drop auf einer virtuellen Karte platziert und weltweit abgerufen werden. Sie akzentuieren die Nachrichten, die andere Menschen als besonders wichtig einschätzen. Die sprechenden Objekte werden zudem in den Gebäuden des EU-Parlaments und des Deutschen Auswärtigen Amtes auf öffentlichen Bildschirmen gezeigt und finden so eventuell größere Beachtung bei politischen Machthaber*innen.

„Earth Speakr“ gibt den Jüngsten unter uns die Möglichkeit, die Verhältnisse zu hinterfragen, in denen sie leben und leben wollen. Und das Gefühl, auf kreative Art und Weise Veränderungen einfordern zu können. Die App ist ein Schritt in die richtige Richtung und schenkt Kindern uneingeschränkt Gehör – sofern sie Zugriff auf ein Smartphone haben.

„Earth Speakr“ ist kostenlos im App Store und bei Google Play verfügbar, allerdings nur mit den Betriebssystemen iOS 12+ und Android 8.0 + nutzbar.