Im Unerklärlichen daheim
Die Ausstellung "Dreamcatcher" bei Beacon

7. April 2022 • Text von

Der Münchner Kunstraum Beacon lädt mit der Ausstellung “Dreamcatcher” zur Realitätsflucht ein. Die versammelten Werke von Angélique Aubrit, Ludovic Beillard, Alessandro Fogo, Stefan Fuchs, Eva Kot’átková und Sarah Księska erzählen von nicht fass- oder messbaren Phänomenen, die sich jeder Logik entziehen und trotzdem existieren.

Installationsansicht der Ausstellung “Dreamcatcher” bei Beacon, München. Foto: Thomas Splett

Unsere Vorstellung von der Wirklichkeit setzt sich aus physikalischen Einheiten, chemischen Verbindungen und mathematischen Größen zusammen, durch die wir täglich versuchen, uns die Welt zu erklären. Wir haben sie kartografiert, unterteilt und normiert. Doch was ist mit jenen Phänomenen, die wir nicht in diese Kategorien einordnen oder durch logisches Denken erklären können? Sind Emotionen, Träume oder Erinnerungen weniger real, nur weil wir sie nicht anfassen, vermessen oder sezieren können?

Die Gruppenausstellung “Dreamcatcher” im Münchner Kunstraum Beacon zelebriert das Unterbewusste und das Unerklärliche. Die einzelnen Arbeiten von Angélique Aubrit, Ludovic Beillard, Alessandro Fogo, Stefan Fuchs, Eva Kot’átková und Sarah Księska setzen sich über Formen von Rationalität, Logik oder über gesellschaftliche Verhaltensmuster hinweg. Stattdessen verbinden sie in ihren fantastischen Bildwelten auf den ersten Blick unvereinbare Bereiche: Gefühl trifft auf Vernunft, Geist auf Körper oder Traum auf Wachsein. 

Arbeiten aus der Serie “Dream machine is asleep” von Eva Kot’átková in der Ausstellung “Dreamcatcher” bei Beacon, München. Foto: Thomas Splett

Beim Betreten des Ausstellungsraumes heißt ein überdimensionales, hohles Haupt mit aufgerissenen Augen und Mund und einem orangefarbenen Hemd die Besucher*innen willkommen. Die Arbeit mit dem Titel “Exhausted head” stammt von Eva Kot’átková. Anstatt von einem Körper wird dieser Kopf von einer metallischen Stütze getragen, die an orthopädische Gehhilfen erinnert. Ihm gegenüber präsentiert die tschechische Künstlerin metallische Figurengebilde aus der Serie “Dream machine is asleep”, die zwischen geometrischen und anthropomorphen Formen changieren und deswegen zugleich vertraut und fremd sind. Mit ihren weit geöffneten Augen und Mündern erwecken sie den Anschein, als wollten sie mit ihren Betrachter*innen Kontakt aufnehmen, um ihnen und der Welt etwas mitzuteilen. Was das genau ist, bleibt ebenso offen wie ihre Mäuler.

Installationsansicht der Ausstellung “Dreamcatcher” bei Beacon, München. Foto: Thomas Splett

Tief hinein ins Unterbewusstsein geht es mit den malerischen Arbeiten von Sarah Księska. Die Künstlerin formuliert in ihrer Malerei surreale Bildsphären, in denen der Körper, sein Innenleben und die Außenwelt auf selbstverständliche Weise miteinander verschwimmen. Die collagenhafte Arbeit „Mass” zeigt den vertikalen Querschnitt eines aufgerissenen Augapfels, der jedoch nicht ins Körperinnere führt, sondern zu einer Horde Tauben, die gierig nach etwas pickt, das unter der Masse an Flügeln und Federn nicht zu erkennen ist. Księskas Arbeiten erinnern daran, dass in den Tiefen der Gehirnzellen Dinge vor sich gehen, die sich nicht immer so einfach dechiffrieren lassen.

Stefan Fuchs, Ceremony and science
Stefan Fuchs, “Ceremony and science”, 2022, Acryl und Aluminiumpigment auf Leinwand, 165 x 125 cm. Foto: Thomas Splett

Das Setting der großformatigen Malerei „Ceremony and science” des Künstlers Stefan Fuchs sieht aus wie ein futuristisches Labor. Die Protagonist*innen sind zwei Wissenschaftler*innen in weißen Kitteln, die angestrengt und in Gedanken vertieft zwei überdimensionale Schnecken dabei beobachten, wie sie auf einem runden Tisch ihre schleimigen Runden drehen. Unmittelbar über dem Geschehen schwebt eine augenartige Konstruktion mit einer Weltkugel im Inneren, die gespannt darauf zu warten scheint, welche Ergebnisse die Schneckenforschung bringen wird. Der fürsorgliche Umgang der beiden Forscher*innen mit den Tieren gewinnt an Absurdität, sobald Gedanken über die Rolle des Menschen in der Natur aufkommen. Denn während er sich selbst als Herrscher über Tier und Umwelt betrachtet, steht die Schnecke als unerwünschter Parasit ganz unten in der menschengemachten Rangordnung.

Angélique Aubrit & Ludovic Beillard, “Personnage 2 (Lilas)” und “Personnage 1 (Pensée)”, 2022, Holz, Stoff und Karton, jeweils 33 x 24 x 15 cm. Fotos: Thomas Splett

Wie theaterhafte Inszenierungen muten die Wandarbeiten “Personnage 1 (Pensée)” und “Personnage 2 (Lilas)” von Angélique Aubrit und Ludovic Beillard an. Die puppenartigen Figuren leben im wahrsten Sinne des Wortes in ihrem eigenen, von der Außenwelt abgeschirmten Mikrokosmos. Dabei tragen sie künstlich glänzende, hellblaue und rosafarbene Kostüme, die Assoziationen an Harlekine wecken. Ihre Wirklichkeit spielt sich in viel zu engen, weißen Boxen aus Karton ab, in denen sie sich in pantomimeartigen Posen verrenken. Fast schon voyeuristisch können die Betrachter*innen die zusammengesunkenen Wesen durch die transparenten Plastikhüllen von außen ungehindert beobachten. Die Szenen wirken zugleich humorvoll, tragisch und klaustrophobisch und lassen an Zustände sozialer Isolation und an gesellschaftliche Erschöpfungszustände denken.

Installationsansicht der Ausstellung “dreamcatcher” bei beacon mit Arbeiten von Alessandro Fogo, 2022. Foto: Thomas Splett

Die geheimnisvollen, ambiguen Bilderzählungen von Alessandro Fogo scheinen einer raum- und zeitlosen Welt entsprungen zu sein. Bei Beacon präsentiert der in Italien lebende Künstler zwei malerische Arbeiten auf Leinwand, die eine unheimliche, grau-grüne Atmosphäre erschaffen und vollgepackt sind mit mythologischen Bildmotiven und kunsthistorischen Anspielungen. Der Künstler entzieht diesen Objekten ihren symbolischen, kulturellen Gehalt und gibt sie als Projektionsflächen frei für die Assoziationen ihrer Betrachter*innen.

Installationsansicht der Ausstellung “dreamcatcher” bei beacon, München. Foto: Thomas Splett

Die Ausstellung “Dreamcatcher” ist eine gelungene Expedition tief in das Unbewusste, wo wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten und gesellschaftliche Systeme außer Kraft gesetzt sind und das surreale Bildgeschehen seinen eigenen Regeln folgt. Jede Arbeit existiert in einem geschlossenen, manchmal fast schon beengenden Mikrokosmos. Dennoch bleiben diese phantastischen Bildwelten immer mit einem Teil in der Realität haften. Die Ausstellung scheint uns absichtlich mit der Erkenntnis zurückzulassen, dass wir nicht immer alles verstehen können, was wir sehen – weder in diesen vielschichtigen Arbeiten noch in der Welt da draußen.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Samstag, den 28. Mai. 
WO: Beacon, Liebherrstrasse 8, 80538 München.

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