An Britney und die Selbstzweifel
"Do you feel me now?" in der Galerie im Saalbau

7. November 2024 • Text von

Die Gruppenausstellung “Do you feel me now?” in der Galerie im Saalbau rückt Pop-Ikone Britney Spears und die gleichnamige Zeile aus dem Song “Toxic” in den Mittelpunkt. Julie Legouez, Evelina Reiter und Shona Stark verhandeln in ihren multimedialen Arbeiten Frauenbilder, Misogynie, den Einfluss von gesellschaftlichem Druck und das schier endlose Streben nach Perfektion am Beispiel Spears.

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Evelina Reiter, Ausstellungsansicht “Do you feel me now?”, Galerie im Saalbau, Foto: Gloria Jurado Rodríguez.

Pop-Ikone Britney Spears landete 2004 mit “Toxic” nicht nur einen weiteren Megahit – der Song erzählt von der ambivalenten Spannung zwischen Leidenschaft und Selbstzerstörung, von Abhängigkeit und Rausch, von einer ungesunden Beziehung. Ein passender Soundtrack für das Leben einer jungen Frau, die im Zentrum eines voyeuristischen Mediensystems stand, das sie zu ihrem Spielball machte. “Do you feel me now?” (dt.: “Spürst du mich jetzt?”) wird hier zu einem kraftvollen Schlüsselsatz: er dient als Ausgangspunkt für die in der gleichnamigen Ausstellung gezeigten multimedialen Werke von Julie Legouez, Evelina Reiter und Shona Stark in der Galerie im Saalbau.

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Julie Legouez, Ausstellungsansicht “Do you feel me now?”, Galerie im Saalbau, Foto: Julie Legouez.

Die Video-Installation “Selbstportrait” von Julie Legouez beschäftigt sich intensiv mit dem eigenen Selbstbild, das unaufhörlich von äußeren Einflüssen wie klassischen Medien und Social Media geformt und beeinflusst wird. Die Arbeit inszeniert eine Umkleidekabine – für viele Frauen* ein Ort des Unbehagens, mich eingeschlossen. Eine von KI-generierte Version der Künstlerin tritt hier als personifizierte, innere Kritikerin auf, die immer wieder sagt: “Du bist wertlos. Du bist selbst schuld. Du gehörst hier nicht hin. Du bist nicht genug.” Sie schmettert uns all die Worte um die Ohren, die einen nach unten reißen können, die verunsichern und sich schrecklich anfühlen. In der Ecke stehen Spiegel mit den Aufschriften “Never enough” (dt.: “Niemals genug”) und “Always too much” (dt.: “Immer zu viel”) – und verdeutlichen, wie schwer es sein kann, sich selbst in die Augen zu schauen und frei zu bleiben von negativen Gedanken.

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Julie Legouez, Ausstellungsansicht “Do you feel me now?”, Galerie im Saalbau, Foto: Gloria Jurado Rodríguez.

Die Künstlerin stellt sich der Frage, warum die kritische Stimme oft so viel lauter ist als die liebevolle, wohlwollende Stimme im Inneren. Durch die Transformation in eine KI-generierte Version schafft sie eine gewisse Distanz zwischen sich selbst und ihrem Abbild. Wer hinter die Umkleidekabinen schaut, blickt der echten Julie Legouez in die Augen: nah, ungeschminkt, mit dunklen Schatten unter den Augen und leicht spröden Lippen – doch ihre blauen Augen leuchten und fesseln. Hier ist sie, die sanfte und menschliche Julie, die ermutigend zu den Betrachter*innen spricht: “Du bist genau richtig, so wie du bist. Es gibt Menschen, die dich lieben und schätzen. Du bist wertvoll. Du bist nicht zu viel.”

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Evelina Reiter, Ausstellungsansicht “Do you feel me now?”, Galerie im Saalbau, Foto: Gloria Jurado Rodríguez.

Die Malereien von Evelina Reiter in der Ausstellung erforschen Träume und Projektionen, die eng mit ihrem äußeren Erscheinungsbild verknüpft sind. Sie hinterfragt ihre Position als Frau in einer sexistischen und klassistischen Gesellschaft und beleuchtet den Einfluss von Konsumkultur und Schönheitsidealen auf das weibliche Selbstbild. Die Protagonistin ist in einen leuchtend roten Anzug gekleidet – ein Outfit, das als feministisches Statement und Symbol der Emanzipation gelesen werden kann. Mit ernstem Blick schaut sie in den Spiegel, in der Hand ein Foto, das an eine Urlaubserinnerung als Paar erinnert, während auf dem Smartphone der nackte Oberkörper eines Mannes zu sehen ist. In einer weiteren Szene wird der rote Anzug gebügelt, eine Katze schaut neugierig vom Boden hoch zum Bügelbrett, und aus den Kopfhörern der Protagonistin dringt – natürlich – ein Song von Britney Spears.

Zwei weitere Werke der Künstlerin zeigen sie außerhalb des geschützten Innenraums im öffentlichen Stadtraum. Im Hintergrund tauchen unbekannte, dunkel gekleidete Personen auf, die die Protagonistin offenbar bemerken. Eine Gruppe von Männern in schwarzen Anzügen – einer von ihnen sogar mit gezücktem Handy – verströmt eine spürbare Unbehaglichkeit, während die Künstlerin selbstbewusst in ihrem knalligen Anzug mit einem Strauß Blumen in der Hand am U-Bahn-Gleis steht.

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Shona Stark, Ausstellungsansicht “Do you feel me now?”, Galerie im Saalbau, Foto: Gloria Jurado Rodríguez.

Shona Stark lässt uns in ihrer Multimedia-Installation durch eine Endlosschleife aus Selbstoptimierung und Perfektionsdruck taumeln. Der Schriftzug “I Am“ (dt.: “Ich bin”) prangt riesig an den kargen, weißen Wänden. Mit einer Kombination aus Sound, Performance und minimalistischer Typografie erschafft sie eine unaufhörliche Spirale aus “höher, schneller, besser”. Das Publikum steht dabei in einem Raum zwischen Lautsprechern, von denen unter anderem der Satz “I love you – more” (dt.: “Ich liebe dich – mehr”) von allen Seiten auf sie einströmt, immer und immer wieder. Es entsteht eine Endlosschleife aus Erwartungen und Enttäuschungen, die keinen Moment des Innehaltens erlaubt. Stattdessen treibt es einen von Ecke zu Ecke, von Lautsprecher zu Lautsprecher. Auf engstem Raum wird hier spürbar, wie die Jagd nach unerreichbaren Idealen aussehen und sich anfühlen kann.

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Shona Stark, Ausstellungsansicht “Do you feel me now?”, Galerie im Saalbau, Foto: Gloria Jurado Rodríguez.

Der Besuch dieser Ausstellung hinterlässt ein Gefühl der Überwältigung – ein Eindruck, der das zentrale Anliegen von “Do you feel me now?” treffend widerspiegelt. Die Werke von Julie Legouez, Evelina Reiter und Shona Stark machen den Druck und die Widersprüche der modernen Gesellschaft greifbar – vom endlosen Streben nach Idealen bis zum lähmenden Gefühl, nie genug zu sein und ständig unter Beobachtung und Bewertung zu stehen. Die von Clara von Schwerin kuratierte Ausstellung fordert uns auf, die Mechanismen der Selbstwahrnehmung und gesellschaftlichen Erwartungen zu hinterfragen. Sie öffnet einmal mehr die Augen für das System, das nicht nur Britney, sondern auch Millionen anderer Frauen* prägt und macht sichtbar wie tief diese Strukturen in unseren Alltag eingreifen, unsere Selbsteinschätzung prägen und das Bild von Frauen* in der Gesellschaft verzerren.

WANN: Die Ausstellung “Do you feel me now?” läuft bis zum 9. Februar 2025.
WO: Galerie im Saalbau, Karl-Marx-Straße 141, 12043 Berlin.

Frauen*: Damit sind nicht nur Frauen angesprochen, die sich als weiblich identifizieren und mit den weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren wurden, sondern auch alle, die, unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identität, als weiblich gelesen werden oder gelesen werden möchten. Die Bezeichnung schließt außerdem genderfluide und nicht-binäre Geschlechtsidentitäten mit ein.

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