Dinge mit Herz, Herz für Dinge
Faisal Habibi bei Jarmuschek + Partner

4. August 2021 • Text von

Bei Faisal Habibi ist Alltag ein Spiel. Keine Last, keine Hast. Wenn man so wie Habibi hinsieht, ist allen Dingen um uns herum etwas Liebenswürdiges abzugewinnen. Seine “Things” hauchen dem Gewöhnlichen Leben ein. “Stretch & Fold“ bei Jarmuschek + Partner zeigt neben einer Reihe plastischer Werke auch neuste Zeichnungen des Künstlers.

Faisal Habibi, This Thing 50, Jarmuschek, Foto: Clara-Wenzel-Theiler
Faisal Habibi: “This Thing 50”, 2021, HMR MDF, Plexiglas, Stahl, Polyesterspachtel, Autolackfarbe, 75,5 x 77,5 x 14 cm, Ausstellungsansicht, Jarmuschek + Partner. Foto: Clara Wenzel-Theiler.

Woran denkst du, wenn du an die Farbe Rosa denkst? Ich denke an Ferkel, Blüten, Babysachen und Puder. Faisal Habibis Rosa, das sich derzeit durch die Räume von Jamuschek + Partner zieht, beschreibt hingegen Architektonisches, Mechanisches und ist doch feinfühlig wie Haut. Seine plastischen Werke, seine sogenannten „Things“, kann man gedanklich begehen. Die vielen Schichten und Materialien laden in einen gefalteten Raum ein, an mancher Stelle kann man hindurchsehen, mal verläuft sich der Blick zwischen vielen kleinen Noppen. Gradlinigkeit trifft auf organische Formen. Alles scheint in Bewegung zu sein, und doch ist es das nicht. Die Dinge täuschen Funktionalität gekonnt vor. Die Werke haben keinen Schalter, keine Flipperkugel rollt hindurch. Man wartet darauf, dass irgendeine Produktion in Gang gesetzt wird, man wartet auf das Entertainment. Auf einen Ton oder ein Licht – denn die Objekte erinnern uns an etwas. Wir warten, weil wir denken zu wissen, dass etwas passieren muss.

Faisal Habibi, Ausstellungsansicht, Jarmuschek. Foto: Clara Wenzel-Theiler
Faisal Habibi: “This Thing 48-52”, Ausstellungsansicht, Jarmuschek + Partner. Foto: Clara Wenzel-Theiler.

Indem Habibi vertraute Materialien und Formen verwendet, wirken seine Werke nahezu bodenständig. Nichts an ihnen ist abgehoben, alles ist luftig, leicht und freundlich. Man hat Lust mit den Dingen zu spielen. Man möchte sie anfassen, auf ihre Knöpfe drücken, sie bedienen. Wir kennen diese Rohre aus unserem Alltag, normalerweise schmeißen wir unsere nassen Handtücher über sie. Dass wir die Griffe nicht greifen dürfen ist der einzig zwischengeschaltete Abstand, der das Ding eine Stufe hinauf zum Kunstwerk steigen lässt. Eine kleine, zierliche, bescheidene Stufe. Eine kaum merkliche Hierarchie, die der Kommunikation zwischen Werk und Betrachter*in nicht im Wege steht.

Faisal Habibi: "This Thing 49", Ausstellungsansicht,  Jarmuschek + Partner. Foto: Natalia Carstens und Clara Wenzel-Theiler.
Faisal Habibi: “This Thing 49”, 2021, HMR MDF, Plexiglas, Stahl, Polyesterspachtel, Autolackfarbe, 78 x 80 x 20 cm, Ausstellungsansicht, Jarmuschek + Partner. Foto: Natalia Carstens und Clara Wenzel-Theiler.

Es ist ein angenehmes Gefühl vor Kunstwerken zu stehen, die einem keine Erhabenheit suggerieren. Vor Habibis Ding-Welt muss man nicht vor Ehrfurcht erbleichen, sondern darf bleiben, wie man ist und sich verhalten, wie man will. Auch seine Dinge sind nicht perfekt, sie machen stets einen Spagat zwischen Gebrauchsspur und monochromer Fläche, Ebenheit schließt Unebenheit nicht aus. „This Thing 49“ und „This Thing 50“ zeigen sehr ausdrücklich, wie harmonisch der Gebrauch seine Spuren hinterlässt – Abnutzung ist hier eine charismatische Aufwertung. Spuren sind Zeichen von Bewegung und von Erfahrung, sie sind Zeichen der Zeit, sie verklammern was war und was ist. Hier ist das Unperfekte eingerahmt von den glatten Flächen einer funktionierenden Welt. Der umzulaufende Griff hält alles zusammen. 

Fast jedem Ding ist ein Stück angeschlossen, das an eine Häuserfassade erinnert – ein Stück Sims. „This Thing 47“ spannt den Bogen zwischen Außen und Innen besonders stark. Zum einen die Fassade, das eindeutig architektonische Element, das der Witterung ständig ausgeliefert ist und dann die aufgedeckten Schichten, die Einblick in das dahinter liegende eröffnen. Durch ein kleines Guckloch blickt man durch alle Schichten hindurch. Der Blick gräbt sich durch und stößt letztlich direkt gegen die weiße reale Wand des Ausstellungsraumes. Wir dürfen hindurch und dahinter gucken und haben auf dem Weg das Fantastische hinter der Fassade, die von ihr geschützten Lagen, entdeckt. Vielschichtigkeit in Dingform. Die Dimensionen dieser Dinge sind erstaunlich. 

Faisal Habibi, Ausstellungsansicht, Jarmuschek. Foto: Natalia Carstens
Faisal Habibi: “This Thing 51” und “This Thing 52”, 2021, beide: 2021, HMR MDF, Plexiglas, Stahl, Polyesterspachtel, Autolackfarbe, 82 x 65 x 20 cm, Ausstellungsansicht, Jarmuschek + Partner. Foto: Natalia Carstens.

Obwohl sich Habibis Dinge wortwörtlich an der Architektur anlehnen, kreisen die Gedanken bei ihrer Betrachtung auch um das Thema Körper, um seine Verletzlichkeit, um Haut und ihre Narben. Es sind Begriffe wie Körperbau, Körperwelt, Bauwerk oder Körperfunktion deren zweiteilige Bedeutung einem vor Habibis Werken plötzlich sehr bewusst wird. Wie diese Begriffe betonen auch die Dinge das Zusammenspiel von Mensch, Architektur und Maschine.

Gerade die hier zu entdeckenden Werke laden in einen Raum ein, der sehr gut ein Badezimmer sein könnte. Ein alltäglicher Rückzugsort, ganz banal und zweckmäßig, jedoch auch ein Ort der Nacktheit, der Körper,- Haut- und Ich-Pflege. Bei manchen sogar Wellness-Bereich. Eine Tür mit Schlüsselloch ist die Abgrenzung. Ein Ort an dem Organisches genauso präsent ist wie Technisches. Aber ja, die Dinge sind vielschichtig, wer weiß schon genau welchen Raum sie als nächstes eröffnen oder schließen.

Faisal Habibi: "Untitled", Jarmuschek + Partner. Foto: Clara Wenzel-Theiler. Zeichnungen
Faisal Habibi: “Untitled”, 2021, Marker auf Papier, Jarmuschek + Partner. Foto: Clara Wenzel-Theiler.

Dreht man seinen Körper um 180° im Raum eröffnet sich eine weitere Welt. Auf den gegenüberliegenden Wänden des White Cubes hängen einige von Habibis neusten Zeichnungen. In jeder einzelnen fließen breite farbige Markerbahnen neben feinen schwarzen Linien. Sie spielen miteinander, umwerben sich, verbinden sich hier und da oder begleiten sich eine Weile, laufen nebeneinander über das Blatt Papier. Obwohl auch die Zeichnungen sehr technisch anmuten, sie könnten Grundrisse sein, oder auch Schaltpläne, sprühen sie vor Lebensfreude. Ein leicht verdrehter Bauhaus-Gedanke durchzieht sie, nur ist es nicht die Form, die der Funktion folgt, sondern eher andersherum: Die Funktion läuft der Form hinterher. Die Formen ziehen ihre Bahnen in Bauhaus-Rot, -Gelb, -Blau und schieben die Funktion in den Hintergrund. Es ist nicht klar wozu, es ist egal wozu, die Ästhetik ist die Funktion. Dass sie einfach schön sind und ungezähmt machen, was sie wollen ist das, was zählt. 

Faisal Habibi: "Untitled", Jarmuschek + Partner. Foto: Clara Wenzel-Theiler. Zeichnungen
Faisal Habibi: “Untitled”, 2021, Marker auf Papier, Jarmuschek + Partner. Foto: Clara Wenzel-Theiler.

Keine Zeichnung hat einen Namen, ihre optischen Charaktereigenschaften zeichnen sie aus. You can name it! Letztlich vereinen sie sich in der feinen schwarzen Linie. Diese kleine Einheit macht sie unzählbar. Sie reichen sich im übertragenen Sinne die Hand und vermitteln fast gesellschafts-politisch: Wir sind viele und wir sind bunt. In ihrer Vielzahl hat jedes Blatt ein direkt verbündetes, eine*n Partner*in neben sich hängen. Die bunten ganz individuell laufenden Linien funktionieren für sich und miteinander. Sie berühren sich und – mich. Ich denke hier an Vielfalt, an Toleranz, an Spaß am Leben, an die einfachen Freuden des Alltags. Einfach mal laufen lassen, einfach mal den Zweck umspielen. Faisal Habibi bringt mit seinem verspielten Blick auf die Dinge vieles direkt auf den Punkt, er trifft in das Herz der Dinge – und in meins.

WANN: Die Ausstellung “Stretch & Fold” läuft noch bis Samstag, den 18. September.
WO: Jarmuschek + Partner, Potsdamer Straße 81A, 10785 Berlin.

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