Die Realität im Loop
Omer Fast im Martin-Gropius-Bau

23. November 2016 • Text von

Im Moment beobachten wir die Vermischung von Fakt und Fiktion allzu oft im alltäglichen Leben und politischen Diskurs. Gelangweilt klicken wir weg. Vor den Filmen und Videos von Omer Fast bleiben wir  stehen, so exakt bilden sie die Wirklichkeit ab – wahr und falsch zugleich.

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Omer Fast: CNN Concatenated, 2002. 18 Minuten, Monitor, Loop. Courtesy Galerie Arratia Beer/ gb agancy/ Dvir Gallery/ James Cohan Gallery/ Installation View, Wexner Center of Art. Copyright: Omer Fast.

Die Ausstellung „Reden ist nicht immer die Lösung“ beginnt mit einem Irritationsmoment, wie er täglich in Ausstellungsankündigungen beschrieben und dennoch kaum jemals in dem geschützten Wirkungsrahmen eines Museums erreicht wird. Im zweiten Stock des Martin-Gropius-Bau betritt der Besucher zuerst das Wartezimmer eines beliebigen Berliner Amtes. Bis zum defekten Snackautomaten wurde auf jedes Detail geachtet. Doch anstatt Anzeigen des lokalen Einzelhandels läuft der Erste von den sieben Filmen, die in der ersten großen Soloausstellung des Künstlers Omer Fast in Berlin zu sehen sind. „CNN Conglomerate“ ist ein Zusammenschnitt von amerikanischen TV-Moderatorinnen, deren individuelle Gesichter nur Sekunden zu sehen sind. Die einzelnen Schlagzeilen werden zu einem Monolog im Stakkato verdichtet; der Betrachter wird mit allgemeingültigen Lebensweisheiten eingelullt. Dabei ist das Material des Werkes, die Found Footage aus dem amerikanischen Fernsehen, deckungsgleich mit der Wirkung des Filmes: Die mediale Darstellung verleiht repetitiver Belanglosigkeit eine effekthascherische Bedeutsamkeit.

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Omer Fast: Spring, 2016. 44 Minuten, Fünf-Kanal-Videoinstallation, im Loop. Courtesy Galerie Arratia Beer/ gb agancy/ Dvir Gallery/ James Cohan Gallery/ Filmgalerie 451. Copyright: Omer Fast.

Bereits vor dem Betreten der ersten Blackbox wird in diesem Ausstellungsraum der Kern von Omer Fasts künstlerischen Schaffen vorweggenommen. Der israelische Künstler bedient sich seiner realen Umgebung, wobei er die Möglichkeit der filmischen Realitätserzeugung über die Grenzen des digitalen Bildes in die körperliche Gegenwart des Betrachters zurückführt. So wird die zweidimensionale Erzählung seiner Filme und Videos von weiteren raumgreifenden Installationen durchsetzt: In der Wartehalle eines Flughafens oder dem Wartezimmer eines Arztes sitzend, blättert der Besucher durch eine Reihe von Illustrierten. Die Zeitschriften scheinen auf den ersten Blick im Einzelhandel erwerblich, imitieren jedoch lediglich die grafische Aufmachung von Klatschmagazinen und fungieren eigentlich als Ausstellungskatalog.

Die mit schwarzem Filz überzogenen Wände, die den Parcours der Ausstellung dominieren, gewähren den filmischen Kunstwerken Omer Fast die räumliche Präsenz, die sie verdienen. Anfang des 21. Jahrhunderts wurden anlässlich des Einzugs der Videokunst in Museen die ersten wissenschaftlichen Texte zu dem Problem veröffentlicht, dass sich nun sowohl Ausstellungsbesucher als auch Bild bewegen, wodurch der historisch stilisierte Moment der kontemplativen Betrachtung in Gefahr ist. Inzwischen ist es alltäglich maximal zwei Minuten vor einer Videoarbeit innezuhalten, unsere Aufmerksamkeitsspanne hat sich auf die Länge eines Snapchats verkürzt.

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Omer Fast: Continuity, 2012. 40 Minuten, Ein-Kanal-Videoinstallation, im Loop. Courtesy Galerie Arratia Beer/ gb agancy/ Dvir Gallery/ James Cohan Gallery/ Filmgalerie 451. Copyright: Omer Fast.

Doch vor der Projektion des Filmes „Spring“ von Omer Fast sitzen die Besucher dicht gedrängt und regungslos auf dem Boden. Die insgesamt 85 Minuten lange Videoarbeit besteht aus zwei Teilen, die im Loop abgespielt werden und inhaltliche Bezüge zueinander aufweisen. Die zirkuläre Struktur der Handlung erschließt sich jedoch erst, wenn die erste Szene sich wiederholt. Die Geschichte eines Ehepaares Mitte 50 – Reihenhaus, hauseigenes Schwimmbad, deutsche Vorstadtsiedlung – wird in der Ästhetik eines Thrillers erzählt; die Spannung durch die sexuelle Begegnung von Mutter und Sohn, durch den Tod des Sohnes bei einem Autounfall, durch Joints, IS-Videos und eine permanente Janusköpfigkeit der Protagonisten zusätzlich verstärkt. Aber es ist das Fehlen jeglicher Kausalität in einer an sich geschlossenen Narration, die das Gehirn auf Hochtouren laufen und den Körper als leere Attrappe in der Blackbox sitzenbleiben lässt. Im Ende lässt sich das Gesehene zumindest logisch begreifen, denn – im Gegensatz zu dem Spielfilm „Remainder“ von Omer Fast – gibt es ein Heureka.  Fast weitet mit „Continuity“ die Indienstnahme der Realität über die Verwendung von gefundenem Material hinaus aus, indem er einzelne Aspekte der politischen Wirklichkeit zu einer fiktiven Bizarrerie unter dem Deckmantel einer bürgerlichen Familienidylle verwebt. Die Schnittstelle von Fakt und Fiktion wird zu dem Kosmos einer eigenständigen Wirklichkeit.

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Omer Fast: Everything that Rises Must Converge, 2013. 56 Minuten, Vier-Kanal-Videoinstallation, im Loop. Courtesy Galerie Arratia Beer/ gb agancy/ Dvir Gallery/ James Cohan Gallery Copyright: Omer Fast.

Der mental-geistigen Effekt der Filme von Omer Fast wird im letzten Ausstellungsraum in den Körper des Betrachters zurückgeführt. Das Video „Everything that Rises Must Converge“ ist für Besucher unter 18 Jahren nicht geeignet, da es pornografisches Material enthält. In der Dunkelheit der Ausstellungsarchitektur stöhnen, lutschen und bumsen Pornodarsteller – und Darstellerinnen. Mit vollkommen Fremden einen Porno zu schauen, lediglich durch den geschützten Wirkungskontext des Museum von einer schamvollen Reminiszenz an die Pubertät bewahrt, ist eine Zerreißprobe unseres Schamgefühls. Es bedarf der Ästhetik des Schocks, um aus den sicheren Sphären des digitalen Bildes in unseren Körper zurückzukehren. Alle Erklärungslücken, die Omer Fast im Martin-Gropius-Bau zwischen der komfortablen Vieldeutigkeit zeitgenössischer Kunst und uns selbst wie tödlich Gletscherspalten aufreißt, werden letztlich durch als unsittlich stigmatisierte Bilder von dem sicheren Pfad der Ratio in unseren Körper zurückgeführt. Das Warum hallt nach, wenn die Erregung bereits verflogen ist.

WANN: 18. November 2016 bis 12. März 2017, Mittwoch bis Montag 10-19 Uhr.
WO: Martin-Gropius-Bau Berlin, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin. Preis und alles weitere hier.  

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