Die Metamorphose des Victor Alaluf
26. November 2015 • Text von Gast
Betrachtet man die Arbeiten des argentinischen Künstlers Victor Alaluf, so wird man zunächst von seltsam durchmischten Gefühlen erfasst. Schwermütig und beschwingt zugleich wirken die feingliedrigen „Kollagen der Realität“, wie er seine Werke nennt. Mit uns sprach er über seine Wirklichkeit, seine Vergangenheit und über die vielen Schichten und persönlichen Referenzen in seiner Kunst, hinter der eine besondere Weltanschauung und Auffassung von Tod und Vergänglichkeit liegt. Text: Eva Beck.
gallerytalk.net: Die Zerbrechlichkeit und Endlichkeit des Daseins scheint ein zentraler Aspekt deines Schaffens zu sein. Es überträgt Elemente von Tod und Vergänglichkeit, Schmerz und Körperlichkeit in ästhetische Form. Das sind extrem persönliche Themen. Was ist dein Bezug zu diesen?
Victor Alaluf: Meine Kunst ist grundsätzlich sehr persönlich. Um sie heute verstehen zu können, muss man meine Vergangenheit kennen. Ich sehe diese als Rucksack. Um meine Arbeit zu begreifen, musst du meinen Rucksack aufmachen und sehen, was sich darin befindet. Als Kind war ich immer geplagt von Allergien und Asthma, weshalb ich nie draußen spielen konnte. Deswegen habe ich die meiste Zeit im Haus mit meiner Großmutter verbracht, die eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt hat und gestorben ist, als ich noch jung war. Ich war daher von klein auf stark konfrontiert mit Krankheit und Tod. Ich habe viel Zeit im Krankenhaus verbracht, was einerseits Angst einflößend war, aber auch faszinierend sein kann, der menschliche Körper, der Tod… In Südamerika haben wir in Bezug auf die Todesthematik eine viel positivere Mentalität als in Europa, wir sehen ihn als Schritt in ein anderes, besseres Leben. Und das übertrage ich auch in meine Kunst. Sie ist daher nicht düster, sondern hoffnungsvoll. Ich empfinde den Verfall des menschlichen Körpers nicht als hässlich wie in vielen anderen Kulturen. Ich sehe Schönheit in Dingen, die anderen Angst einflößen. Ich behandle dunkle Themen in positivem Licht. Manchmal stehe ich dem Tod sogar schon fast ironisch gegenüber, wie in meiner Serie „Orgy in Hell“. Die Skelette feiern eine Party in der Hölle, sie trinken, sie heiraten, sie haben Sex. So wie wir!
Versuchst du, indem du diese heiklen Gegenstände in Kunst umwandelst, die Grenzen sozialer Tabus zu brechen oder deren Grenzen zu erweitern? Oder sind es eher persönliche Grenzen, die du mit deinem eigenen Körper zu überwinden versuchst?
Vielleicht beides. Ich arbeite teilweise mit Materialien und Themen, die viele im Kunstkontext – oder überhaupt – nicht gerne sehen, da es sich um Tabus handelt. Wir haben Haare, Blut, Knochen, Fingernägel und „düstere“ Inhalte wie den Tod. Als mir in meinem zweiten Jahr an der Uni in Israel Leukämie diagnostiziert wurde, habe ich die Krankheit zunächst als Tabu behandelt, als Geheimnis das ich nicht erzählen wollte, weil ich mich von innen verschmutzt fühlte. Als ich schließlich meinem Professor davon erzählte und der mir riet, das Problem künstlerisch anzunehmen, machte ich aus meiner Krankheit mein Abschlussprojekt. Das Werk ist riesig, sieben Meter lang und fünfeinhalb Meter hoch, denn ich wollte das innere Ausmaß der Krankheit veranschaulich. Das Werk heißt „AB minus“, meine Blutgruppe, und zeigt den Strom meines verschmutzten Blutes auf abstrakte Weise. Das Material was ich hier benutzt habe ist Kopfhaar. Zu dem Zeitpunkt verlor ich aufgrund der Chemotherapie massenhaft Haare, was furchtbar für mich war. Dabei fiel mir erstmals auf, dass Haare, in dem Moment in dem sie ausfallen und zu Boden gehen, von Menschen tatsächlich als eklig angesehen werden, obwohl sie am Kopf anhaftend noch als schön empfunden wurden. Ich wusste, ich muss etwas mit Haaren machen und habe beutelweise Haare im Krankenhaus eingesammelt. Haare sind für Juden ein sehr empfindliches Thema, da es stets eine Konnotation vom Holocaust trägt, was noch heute als Tabu behandelt wird. Aber ich will nicht mit der Vergangenheit spielen, für mich ging es darum etwas aufzunehmen, was mir persönlich wiederfahren ist und etwas Schönes aus dem zu machen, was ich im Begriff war zu verlieren. Die Arbeit behandelt nicht den Holocaust, sondern meine Krankheit. Auch in anderen meiner Werke mögen die Betrachter verschiedene Anspielungen entdecken, doch hier geht es nur um meine eigenen Erfahrungen.
Motive, die bei dir immer wieder auftauchen, sind der Totenkopf und die Schmetterlinge, manchmal auch in Kombination. Was ist deren Bedeutung in deinem Ouevre? Interagieren diese als Symbole?
Ich glaube, der Totenkopf stammt noch aus meiner Kindheit, ich liebe Totenköpfe. In Südamerika feiern wir jährlich den Tag der Toten, und es gibt überall Totenköpfe aus Zucker zu kaufen. Diese Frage hat mich beschäftigt: Wie kann etwas so Düsteres so süß sein? Ich glaube, der Körper ist die perfekte Maschine, alles ist an seinem Platz. Und wenn dieser Körper verwest, dann ist das erst der Anfang eines neuen Lebens. Warum kann daraus nicht sogar etwas noch Schöneres werden? Nur weil Totenköpfe allgemein als morbide gelten, müssen es meine Totenköpfe nicht sein. Ich sehe darin ein neues Leben. Ich finde die Form einfach schön, auch die Beschaffenheit der Knochen, die Höhlungen, die Zähne. Auch der Schmetterling ist ein wichtiges Symbol für mich. Im Norden von Argentinien, wo ich aufgewachsen bin, gab es sie das ganze Jahr über. Es beschäftigte mich schon als kleiner Junge, wieso etwas so Wunderschönes nur so kurz leben durfte. Was mich daran aber am meisten faszinierte, war deren Metamorphose aus dem Kokon. Aus dem allgemein hässlichen Wurm entwickelt sich etwas Schönes, so wie ich es mir auch beim Totenschädel denke. Ich bin besessen von Schmetterlingen. Sie sind einerseits so zart, dass man sie zerdrücken könnte, aber die Macht ihrer Schönheit ist stark. Ich sage immer wieder, dass meine Kunst stets eine Kombination aus dem Harten und dem Weichen ist. Wenn ich die Schmetterlinge beispielsweise mit meinen Scheren kombiniere, so ist der Stahl der Schere kalt und hart und kann den Schmetterling zerstören. Doch die grazilen Flügel des Schmetterlings gleichen diese Härte aus und geben der Schere Gebrechlichkeit, während der Stahl den Flügeln Stärke gibt. Das Gleiche gilt für den Schädel und den Schmetterling. Diese Spannung, die ist es, die ich zeigen will. Das Leben wird oft als so selbstverständlich angenommen, dabei ist es so fragil! Man denkt, der Körper wäre so stark – und das ist er auch -, aber gleichzeitig ist er auch sehr zerbrechlich. Harte und weiche Materialien zu kombinieren ist meine Leidenschaft. Darum geht es in jeder meiner Arbeiten.
Dein Werk umfasst unterschiedlichste Medien: Zeichnungen, Skulpturen, Videokunst, ebenso wie antik anmutende Objekte wie ein Metronom oder alte Uhren. Wo findest du diese Teile und was hat es damit auf sich?
Ich bezeichne meine Arbeiten als Kollagen der Realität. Warum? Sie bestehen aus unterschiedlichen Teilen, die ich im Alltag finde. Das meiste finde ich auf Flohmärkten oder Hausauflösungen. Manche Menschen empfinden es als markaber, dass ich mit den Gegenständen toter Menschen hantiere. Ich sehe das anders. Ich verändere diese nicht groß, ich mache sie höchstens sauber und poliere sie, aber ich möchte ihren aufgefundenen Zustand samt Löchern und Kratzer und Risse bewahren. Ich glaube daran, dass diese Objekte Erinnerungen, eine Geschichte in sich tragen, die ich erhalten möchte, um daraus Schönheit für die Zukunft zu kreieren. Hier sind wir wieder beim Schmetterling. Man findet ihn rau und roh, doch dann beginnt die Metamorphose. Indem ich mit diesen Teilen eine neue Skulptur schaffe, bringe ich eine solche Metamorphose in Anlauf. Ich sehe die Objekte als tote Körper, denen ich neues Leben einhauche. Ich mag alles, was glänzt wie Bronze oder Metal, ganz besonders wenn es verrostet ist. Ich liebe Rost, denn Rost ist ein Hauch einer Erinnerung, eine Übersetzung von Zeit. Zeit ist ein großes Motiv meines Schaffens, denn ich weiß nicht, wie viel ich davon noch habe. Besonders gern mag ich Uhrengehäuse, das Skelett der Uhr, der Essenz des Objekts. Die Essenz des Materials ist das Wichtigste, weshalb ich alles so bewahren will, wie ich es finde.
Du bist in Argentinien aufgewachsen und nach Israel gezogen, als du 18 warst. Dort hast du über zehn Jahre gelebt, bevor es dann vor vier Jahren nach Berlin ging. Inwiefern ist es einfacher, seinem künstlerischen Weg in Deutschland nachzugehen als in Argentinien oder Israel? Diese Länder sind wohl mit drängenderen Themen als Kultur beschäftigt. Inflation oder Krieg beispielsweise. Aber sind nicht diese schwierigen Umstände oft die besten Inspirationsquellen?
Sicherlich, aber Schwierigkeiten gab es für mich auch hier. Meine Vorstellung von Deutschland, bevor ich herzog war sehr düster. Als Jude sieht man Deutschland aus der Distanz noch als Schauplatz des Holocaust, als Ort, an dem so viele Juden sterben mussten. Daher war der Gedanke nach Deutschland zu ziehen anfangs ziemlich unheimlich für mich. Aber dann wurde er zu meiner eigenen Transformation, ich musste mich meiner Angst stellen, um wieder blühen zu können. Ich bin in Berlin zu vielen Erkenntnissen gekommen. Zum Beispiel, dass jeder eine zweite Chance verdient. Dieses Land hat mir so viel gegeben. Berlin ist kosmopolitisch, offen und multikulturell. Die Stadt hat aus ihren Fehlern gelernt. Wir lernen zu vergeben. Nicht zu vergessen, aber zu vergeben. Hier kann man sich weiterentwickeln, in einer guten Gegenwart, hin zu einer noch bessern Zukunft.
Viele deiner Arbeiten sind in Israel entstanden. Versteckt sich in diesen auch eine Auseinandersetzung mit den politischen Problemen des Landes?
Meine „Borders“ Serie setzt sich ganz speziell mit dem Konflikt zwischen Israel und Palästina auseinander. Ich habe die Materialien hierzu sehr bedacht gewählt, um meinen Schmerz und meine Frustration über diese Situation, meine inneren Wunden zum Ausdruck zu bringen. Ich wollte nicht wörtlich werden, mit Waffen und Geschossen. Papier kann hart und fest sein, einem gar Schmerz zufügen, aber in dem Moment, in dem ich es mit Tinte berühre, wird es gebrechlich, wie ein Mensch der von einer Waffe berührt wird. Anstatt von Blut habe ich Tinte verwendet: Sie gerinnt wie Blut, ist aber schwarz. Für die Wunden habe ich mit rotem Baumwollfaden gearbeitet, für jedes Werk genau eine Rolle. Eine Fadenrolle hat einen Anfang und ein Ende, ist wie unser Leben klar begrenzt. Und hoffentlich wird dieser Krieg auch ein klares Ende finden. Stacheldraht steht für die Grenzen, die die Länder trennen. An manchen Stellen ist dieser unsichtbar, an anderen bricht er laut und bedrohlich spitz hervor. Es ist mir wichtig zu betonen, dass ich kein Politiker bin. Ich will auf keiner Seite der Grenze stehen, alles was ich will, ist Fragen aufzuwerfen, eine Diskussion zu eröffnen. Ich sehe es als meine Aufgabe, die Realität aufzuzeigen, eine für mich sehr schmerzvolle. Ich will der Gesellschaft zeigen wie beschädigt ich dadurch innerlich bin und wie frustriert ich bin, dass ich nichts dagegen tun kann. Das Einzige was ich machen kann, ist sie in Bildern aufzuzeigen.
Verspürst du kulturelle Unterschiede in der Rezeption deiner Werke? Identifiziert sich beispielsweise ein Israeli mit deinen Arbeiten anders als ein Deutscher?
Oh ja! Ich kann mir vorstellen, dass man an manchen Orten denken könnte, ich nehme das Leben nicht ernst oder mache Witze. Aber das ist nicht meine Intention. Ich versuche lediglich, mich selbst, meine Gedanken und Gefühle, oder – wie im Falle der „Borders“ Serie – eine Situation zu zeigen. Wenn ich diese Serie in Deutschland oder Europa zeige, wird sie womöglich schneller akzeptiert, da hier von außen auf das Problem geschaut wird. In Israel hingegen müsste ich gleichzeitig Stellung beziehen, eine Position einnehmen, pro-arabisch oder pro-israelisch. Das möchte ich aber gar nicht. Die Menschen, die meine Arbeiten betrachten, sind die, die eine Entscheidung treffen können. Ich zeige die Realität, und du kannst mit deinem Gewissen entscheiden, auf welcher Seite du stehen möchtest. Oder du bleibst bei mir in der Mitte. Als Künstler bin ich immer neugierig und will wissen, wie die Leute zu meiner Kunst stehen. Du kannst es mögen oder nicht. Das ist die Freiheit, die wir haben. Es steht in meiner Freiheit, die Kunst zu schaffen und in deiner, mich zu verurteilen. Du kannst mich für verrückt erklären, das ist deine Entscheidung. Du bist hier der Zuschauer.
Für alle, die sich angesprochen fühlen: Victor Alaluf ist Vertragskünstler der Agentur Bernheimer Contemporary. Seine Werke sind in wechselnden Ausstellungen vertreten, so wie derzeit unter dem Thema The Taste of Addiction – Cups, Capsules, Recipes and the Taste of Yemeni Coffee.
Infos zu laufenden Ausstellungen findet ihr hier.