Kunst von morgen für Menschen von heute Die Jahresausstellung 2016 in der AdbK Nürnberg
13. Juli 2016 • Text von Constanze Hofmann
Vor der Sommerpause das Kunstgewitter: 16 Klassen zeigen ihre Arbeiten in und auf dem Hochschulcampus der Akademie der Bildenen Künste mit einer Flut von Performances Screenings, Vorträgen und Veranstaltungen. Überblick? – Keine Chance. Wir machen mit euch einen Streifzug.
Ein erstes Innehalten gleich im Foyer: Vor dem Mosaik der Aula hängt hinter reihenweise Lufterfrischern Claudia Holzingers „Helpless when she smiles“. „She“ trägt einen lila Morphsuit und eine blonde Perücke, präsentiert sich auf einem weiß bepolsterten Sofa mit Schaffell. Holzinger inszeniert und abstrahiert die Darstellung einer Frau; zählt Reize und Weiblichkeit zur Schau, um sie durch die anonyme Erscheinung und Lufterfrischer zu sterilisieren.
Daneben Prähistorisches: Wirbel für Wirbel schlängeln sich Kleiderbügel durch den Flur, begleitet amorphen Folienquallen, die dem Luftzug folgen. Ein luftiges Urzeitmeer von Angelika Huber und Elisabeth Thallauer auf dem Weg zu den Ausstellungsräumen. Die sperrigen Kleiderbügel werden beschwingte Skelettteile, elegante Wirbelsäulen, die in einiger Ferne ihre ganze Wirkung entfalten.
In der Ausstellungshalle der Klasse Teller zelebriert Lilly Urbat einen Abschied. Liebeskummer (Martin) heißt die düstere Installation. Ein schwarz bezogener Tisch mit Vasen voller Beerdigungsblumen, darauf das schwarze, großformatige Buch, das nur mit weißen Handschuhen durchgeblättert werden darf. Urbat feiert darin Seite für Seite ihren Liebeskummer, die Schnappschüsse darin sind und sollen komisch sein. Sie gehören zu dem Abschiedsritual, das sie nach Würzburg führt, um am Grab des Walter von der Vogelweide ihren Schmerz zu vergessen.
Am Ende des Raumes öffnet sich ein Retabel der „Nuclear Family“, die Kernfamilie von Alexandre Karaivanov. Linke Tafel mit jungem Mann, rechte Tafel mit alter Frau in der Mitte, dazwischen das Hauptmotiv: offene, vollgekackte Windel mit Babypopo – hurra, ein Junge! Weniger die traditionelle Form des Retabels als die Darstellung gibt hier den Hinweis zur Auslegung. Zwischen Party und Parkinson liegt ein kleines Kind in seinem unschönsten Zustand.
Hast du dir wehgetan? Die Minirakete von Dagmar Nast und Johanna Stief ist im Schlingerkurs über das Akademiegelände gerast, bevor sie eingeschlagen ist. „Die Kapitulation vor der Akzeptanz des Scheiterns“ ist ein greifbares Bild für Katastrophen jeglicher Art. Bevor der Einschlag kommt, konnte man lange dem Sinkflug zusehen und ist doch überrascht, wenn es knallt.
Im Multifunktionsraum spricht Margareta Pauckner sieben Minuten lang über das Ende von Truthühnern, über deren Beschaffenheit im toten Zustand und untersucht, befühlt und bespielt dabei eingehend die übrig bleibenden Füße des Puters. Das Dehnen und Betasten der Geflügelfüße lässt das Unbehagen im Betrachter mit jeder Minute wachsen. Sich wiederfinden und wegsehen in „failing“ geht das zusammen und alles schief. Sabine Raab lässt alles misslingen und ist dabei weit weg von Internetfails. Sie gönnt jeder alltäglichen Handlung ihr Unheilpotenzial und untermalt es meditativ mit Meeresrauschen und Mövenrufen. Eine Geschickte für sich ist die „Episode“, die uns in das nächtliche Leben eines Hauses einführen. Eric Pahl und Linhardt Froelig filmen durch Fenster, wie der Protagonisten nach einem Rausch benommen auf der Toilette aufwacht und auf seinem Weg durch das Haus in allerlei schrägen Situationen ausgesetzt ist.
Im Fluss zwischen materiell und immateriell mäandert „Entering the flow“, eine Ausstellung, die von Simone Neuenschwander und Judith Grobe kuratiert wurde. Basierend auf dem gleichnamigen Essay des Kulturtheoretikers Boris Groys stellen die Kuratorinnen Fragen nach dem zeitgenössischen Verhältnis zu Wert und Wirkung von Materialien. Gold, Sanitärkeramik, Haltestellen, Tonarbeit, Kuschelkissen, Videoscreen – in diesen Räumen werden die Materialgrenzen getestet und Wertvorstellungen auf links gedreht. Besonders ausgezeichnet wurde Mizu Sugai mit dem DAAD-Preis für “all matter ist spiritual tissue”.
Marie Julie Lörch und Martin Kufieta aus der Projektklasse Interaktive Kunst und Design haben ein Platzwunder geschaffen, in dem mindestens drei Personen schlafen, lesen, lagern und klettern können. Die Mischung als Klettergerüst, Baumhaus und moderner Wohnlösung hat den dritten Akademiepreis erhalten – Platz da, für das innere Kind!
Zeit für Kontemplation hält Elizabeth Thallauers Werk bereit. Sie experimentiert mit Kristallen auf dunkler Oberfläche und erhält immer neue Muster und kristalline Strukturen, ein Werk, das sich ewig fortsetzen ließe. “A Tale about Unicorn and flying Corn” hat damit den zweiten zauberhaften Preis gewonnen.
Um dich, genau dich, geht es Jonas Tröger. Die 3-D-Hand auf weißem Hintergrund weist auf den Betrachter und ist vor dem Getränkeautomaten angebracht. Wer sich traut, bekommt trotzdem sein Sprudel und Tröger den ersten Akademiepreis.