Gottes neue Häuser
Aufgeschlossene Kirchenräume im DG Kunstraum

25. Januar 2023 • Text von

Was soll mit einer Kirche passieren, wenn keine Gläubigen mehr kommen? Theoretisch aber auch rein praktisch. Kirchliche Gebäude sind ein bauhistorischer und kultureller Schatz, Kirchen können identitätsstiftend sein und prägen das Ortsbild ihrer Gemeinden, sind oft deren Zentrum. Im DG Kunstraum in München werden unter dem Titel “Kirche Raum Gegenwart” künstlerische und architektonische Entwürfe für aufgeschlossene Kirchenräume präsentiert.

Ausstellungsansicht: Wilibald Ketteneder, Studienkirche St. Josef in Burghausen, Foto: Gerald von Foris.

Wie zeitgenössische Kunst und sakrale Architektur einander ergänzen können, kann man im Gebäudeensemble St. Agnes in Berlin erleben. In der ehemaligen brutalistischen Kirche in Kreuzberg dient der 800 m² große Kirchenraum seit 2015 als Ausstellungshalle der König Galerie. Dass eine Profanisierung und kulturelle Nutzung aber nur eine Möglichkeit für die erweiterte Nutzung kirchlicher Räume im Kontext der zeitgenössichen Kunst ist, kann man in der Ausstellung Kirche Raum Gegenwart im DG Kunstraum in München erfahren. Die Kirchen sind nicht nur mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen konfrontiert, sie stehen auch durch interne Problemkomplexe vor notwendigen Veränderungen. Kirchengebäude, Pfarrhäuser und Grundstücke müssen gepflegt und erhalten werden, auch wenn immer weniger Gläubige zu Messen kommen und die Zahl der Kirchenmitglieder zunehmend schrumpft.

Aber Kirchenräume sind auch wertvolle öffentliche Räume, die durch einen Prozess der Transformation erweitert genutzt werden können. Die Ausstellung im DG Kunstraum präsentiert exemplarisch vier ortsspezifische Projekte für vier Kirchengemeinden, die jeweils von einem Duo aus Kunstschaffenden oder Architekt*innen im Dialog mit der Gemeinde vor Ort entwickelt wurden. Die vier gezeigten Projekte folgen sehr unterschiedlichen Ansätzen, gemein ist ihnen aber, dass sie die Kirchen nachhaltig transformieren wollen und dies nicht nur über architektonische Eingriffe, sondern auch mittels neuer konzeptioneller Denkweisen geschehen soll.

Li.: Fabulous Lätare Neuperlach, Konzept: Jutta Görlich und Peter Haimerl, Rendering: Edward Beierle;nLi.: Ansicht: ,Wengenkirche‘ St. Michael, Ulm, Rendering: Empfangshalle.

Die Ergebnisse werden in Form von Renderings, Texten und Modellen präsentiert. Für die Gemeinde St. Martin in Leutkirch im Allgäu stand der Wunsch im Zentrum, den Kirchenraum flexibler zu nutzen. Ursula und Tom Kristen haben dafür eine Reihe unterschiedlicher Neu-Konfigurationen entwickelt und diese digital erfahrbar gemacht. Karina Kueffner und Ludwig Hanisch haben die Mitglieder der Gemeinde St. Wendelin in Langenprozelten am Main mit einem selbst entwickelten Fragebogen kontaktiert, um deren Wünsche und Sorgen zu benennen. Dies war der Anfang eines Dialogs, der sowohl im Kirchenraum als auch digital unter dem Hashtag #43Engel für eine Wiederbelebung des Gemeindelebens sorgen soll.

Die evangelische Lätarekirche in München-Neuperlach wird hingegen jetzt schon vielfach genutzt, für Kinoangebote, Konzerte oder für einen Mittagstisch für Bedürftige. Jutta Görlich und Peter Haimerl wollten diese offene Nutzung nun mehr in das Bewusstsein der Nachbarschaft bringen: Eine selbstbewusste und gleichzeitig niederschwellige LED-Lichtinstallation im öffentlichen Raum soll für Aufmerksamkeit im Viertel sorgen. Corbinian Böhm und Michael Gruber vom Künstlerduo Empfangshalle hatten für die Wengenkirche, St. Michael in Ulm andere Pläne. Auf einem Laufband im Kirchenraum ist digitales Pilgern möglich. Dies soll das Seelenheil und das körperliche Wohlbefinden steigern und die durch körperliche Arbeit erzeugte, elektrische Energie ermöglicht ein karitatives Angebot für Bedürftige. Neben diesen vier Projekten wird auch eine Auswahl von 14 bereits umgesetzten Transformationen von Kirchenräumen im süddeutschen Raum vorgestellt.

Hier zeigt sich die gesamte Bandbreite der Neu- und Umnutzungsmöglichkeiten für Kirchenräume, von Büros und Wohnungen, zu Ausstellungräumen und Kunstdepots. Ob als entweihte Orte, die anders genutzt werden, oder als offene Kirchen, die sich den neuen Gegebenheiten stellen wollen, haben die bestehenden Kirchen und Sakralbauten ein enormes gesellschaftliches Potential. In Zeiten des demographischen Wandels und der stetig schrumpfenden Zahl der Kirchenmitglieder stehen die institutionellen Kirchen jedoch vor einschneidenden Veränderungen und müssen sich anpassen. Die Ausstellung im DG Kunstraum gibt einen guten Einblick in einen anstehenden Umwandlungsprozess, der nicht nur die Kirchen als Institutionen sondern auch unsere Städte und Gesellschaft beeinflussen wird.

WANN: Die Ausstellung ist bis Donnerstag, den 16. März zu sehen.
WO: DG Kunstraum, Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst, Finkenstraße 4, 80333 München.

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