Der Stoff aus dem die Normen sind
Nilbar Güreş im Badischen Kunstverein

8. Mai 2019 • Text von

In Nilbar Güreş Einzelausstellung „Lovers“ im Badischen Kunstverein in Karlsruhe mobilisiert die Künstlerin traditionelle Textilien, um gesellschaftliche Imperative offenzulegen und diese auf lustvoll-vehemente Weise in queere Gegenbilder umzudeuten.

Nilbar Gueres: Lovers, Badischer Kunstverein.

Verschiedenartiges Textil ist der zentrale Werkstoff der Künstlerin Nilbar Güreş, mit welchem sie Malerei, Fotografie und Bildhauerei durchquert, um gesellschaftliche Zu- und Einschreibungen zu beleuchten. So ist das zu Beginn stehende und titelgebende Skulpturenpaar „Lovers“ aus jenen Dekorstoffen gefertigt, die in der Türkei für die Fertigung des von Braut & Bräutigam zu teilende Kissen der Hochzeitsnacht Verwendung finden. Den Stoff, der sonst die Häupter der Frischvermählten bettet, hat Güreş in das Liebespaar selbst transformiert. Nilbar Güreş verweigert allerdings eine binäre Einteilung, wodurch sie das heteronormative Paradigma erschüttert, aus welcher das Textil stammt. Beide Figuren überschreiten stereotypische Geschlechtszuschreibungen, weil beide mit Brusthaaren, Perlenkette oder der Zartheit der Stoffe bestimmte Attribute vereinen, und so jeden Binarismus unterlaufen. Dadurch werden die „Lovers“ zu einem prägnanten Gegenbild queerfeministischer Emanzipation.

Nilbar Güreş LOVERS, Badischer Kunstverein, Karlsruhe, 12.04. – 23.06.2019

Die Nähe zum Körper und zum Alltag ist es, was Textilien zum Verkünder menschlicher Lebenswirklichkeiten erhebt. In den allermeisten Gesellschaften erfüllen Stoffe und Gewebe sowohl pragmatische, wie auch kulturelle Aufgaben. Das Textile wirkt damit wie eine Membran zwischen persönlicher Intimität und kollektiver Sozialität. Nilbar Güreş aktiviert in ihrer künstlerischen Praxis diese Mehrbedeutungen des Stofflichen und findet quer durch die Ausstellung nuancenreichen Einsatz für das textile Medium. Ihre jüngsten Stoffcollagen verweben gedruckte und gemusterte Textilien mit zum Teil gestisch-expressiven zum Teil feingliedrig-detailaufmerksamen Pinselstrichen. Die Bilder speisen sich aus Güreş Aufmerksamkeit für ihre türkischen und kurdisch-alevitischen Familiengeschichten, aber vor allem auch aus spätkapitalistischen Verwertungsmotiven wie Bunny-Häschen oder Einhörnern.

Nilbar Güreş: LOVERS, Badischer Kunstverein, Karlsruhe, 12.04. – 23.06.2019.

Aus dem poetisch-verspielten Anschein tritt jedoch stets eine vehemente Agenda hervor, die Widerspruch erhebt und für Emanzipation eintritt. Diese emanzipatorischen Gesten werden mitunter drastisch formuliert: „Self-Defloration“ (2006) preist etwa den bezeichneten Akt bildnerisch an. Hier treten poetische Nuancen hinter einer lustvoll forcierten Vehemenz zurück. Das Geschehen in der „Hochzeitsnacht“ wird als verschleierter Gewaltakt enttarnt und stattdessen als feministische Geste autonom verwirklicht. Zu den Textilbildern treten Fotoserien, die auf ganz unterschiedliche Weisen das Feld zwischen Solidarität und Intimität erörtern. Mit der Fotoserie „Çırçır“ (2010) kehrt Güreş in den Stadtteil Istanbuls zurück, in welchem sich das Elternhaus eines Familienteils befand. Das Viertel weicht den administrativen Plan rund um die dritte Bosporus-Brücke. Entsprechend hat sich der Kindheitsort bereits in eine ins Gigantische übersteigerte Bauwüste verwandelt.

Nilbar Güreş: LOVERS, Badischer Kunstverein Karlsruhe, 12.04. – 23.06.2019

Nilbar Güreş inszeniert ihre weiblichen Familienangehörigen nun in den Residuen des einstigen Zuhauses – auf den letzten Stücken grünen Rasens, im Gegenüber grauer Schuttberge. Auch hier stehen die Frauen* eng umschlungen und vielfach betont eine Decke oder ein Tuch ihre Verbindung. Es liegt nahe, hierin ein feministisches Zusammenstehen im Angesicht der von Männern beschlossenen Zerstörung zu erblicken. Doch bleibt die Episode nicht ohne Pointe: Der Staat entschädigt alle Familienangehörige zum gleichen Anteil für die Enteignung. Im Normalfall wären die Töchter gemäß dem traditionellen Erbrecht leer ausgegangen. Güreş setzt sich in dieser und in einer weiteren Serie mit Orten ihrer Familie auseinander, zu welchen sie als Künstlerin zurückkehrt. Dass aber das Motiv der Rückkehr aus queerer Perspektive immer auch ambivalent besetzt ist, wird besonders deutlich, nimmt man die Istanbuler Serie gemeinsam mit der Serie „trabZONE“ (2010) in den Blick.

Nilbar Güreş: LOVERS, Badischer Kunstverein Karlsruhe, 12.04. – 23.06.2019.

Dem Anschein nach eröffnet sich hier ein ländliches Idyll mit Heuernte und Obstbäumen. Männer sind aus Güreş Bildern verbannt, einzig Frauen verrichten alle Arbeiten. Anders als in „Çırçır“ erscheint die Störung der Struktur hier nicht als offene Wunde in der Landschaft, doch künden beide Serien von der einschnürenden Gegenwart des Patriarchats, in dem Frauen aufgefordert sind, männliche Entscheidungen zu ertragen und queere Lebensweisen keinen Platz haben. Nilbar Güreş’ Blick zurück auf diese Orte, ist somit auch angereichert mit der Erinnerung an erlittene Verletzungen, aufoktroyierte Beschränkungen und deren Überwindung. Die in den Bildern inszenierte Nähe zwischen den Frauen durchzieht damit ebenfalls ein widersprüchliches Moment: Sind sie es doch häufig, die die Durchsetzung patriarchaler Strukturen im Inneren der Familie organisieren; und zugleich ist es die weibliche Solidarität die Widerstand und Emanzipation ermöglicht.

Nilbar Güreş: LOVERS, Badischer Kunstverein Karlsruhe, 12.04. – 23.06.2019.

Im Rahmen ihrer künstlerischen Praxis hat sich Güreş den Lebensweisen queerer Menschen in unterschiedlichen Kontexten zugewandt. So sind für die La Paz-Biennale weitere Fotografien entstanden, für welche sie den Kontakt zu trans Frauen of Color gesucht und den Versuch unternommen hat, sich mit ihnen künstlerisch in Beziehung zu setzen. In den traditionell gemusterten Stoffen entdeckt sie deutliche Übereinstimmungen mit den Textilien, die sie zeitlebens umgeben. Diese Koinzidenz mobilisiert Güreş als verbindungsstiftendes Element: ein weiteres Mal sind es damit Textilien, die als Mittler von Intimität und Solidarität fungieren.

Nilbar Güreş: LOVERS, Badischer Kunstverein Karlsruhe, 12.04. – 23.06.2019.

Die „zweite Haut“ des Textilen vermag es also Verbindungen zu stiften, als auch gesellschaftliche Nomen subtil mitzuführen. Doch gilt dies insbesondere auch für die „erste Haut“, den physischen Körper einer jeden einzelnen Person. Die Arbeit „Blank Space“ (2019) trennt zwei Ausstellungsräume wie ein dicker Vorhang. Berührt man das Kunstwerk, um die Schwelle zu überqueren, so fühlt es sich an, als spüre man den glatten Leib eines menschlichen Körpers. Die Rückseite des Vorhangs erinnert haptisch an menschliche Haut; die Betrachtung offenbart, dass die Kehrseite der Arbeit eine transmännliche Brust darstellt. Kunstleder bildet die Körperpartie nach, aus Filz sind Brustwarzen aufgesetzt. Darunter befinden sich zwei breite horizontale Einschnitte, die die typischen Narben der angleichenden Operation darstellen. Nilbar Güreş hat sie in rosafarbenen Stoff mit Küken-Motiv umgesetzt. So wie Textilien ein spezifisches Repertoire an Motiven immer und immer wieder wiederholen, so reproduziert und legitimiert auch die gesellschaftliche Norm nur einige bestimmte Lebensweisen. Güreş künstlerische Praxis zeigt, dass sich tradierte Muster hartnäckig halten. Doch kann sich das gewobene Textil vom heteronormativen Paradigma lösen, und so kann das auch der stoffliche Leib.

Nilbar Güreş: LOVERS, Badischer Kunstverein Karlsruhe, 12.04. – 23.06.2019.

Parallel präsentiert der Badische Kunstverein mit „unspeakable home, enchanting companions“ ein Programm aus Performances, Filmvorführungen und künstlerischer Dokumentation, dass sich mit queeren und feministischen Aktivismus in Überschneidung mit Bildender Kunst auseinandersetzt.

WANN: Noch zu sehen bis 23. Juni 2019.
WO: Badischer Kunstverein, Waldstraße 3, 76133 Karlsruhe.

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