Das Salz in der Suppe
"Beneath The Salt" ist Ausstellung und TV-Set in einem

20. April 2017 • Text von

Ein Raum, der Ausstellung und TV-Set zugleich ist. Arbeiten, die zwischen Kunstwerken und Requisiten changieren. Die von Conglomerate organisierte Schau “Beneath The Salt” verfolgt die Geschichte des Salzes und macht vor, wie Kunst von morgen funktioniert.

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Joe Clark, Claudia Comte, Lauryn Youden: Beneath the Salt, 2017, Installation view, Kinderhook & Caracas, Berlin, Organized by Conglomerate. Photos: Trevor Good.

Ostersonntag: Ich sitze am Küchentisch und streue mir Salz auf mein Frühstücksei. Ohne schmeckt es nicht oder zumindest nur halb so gut. Was nicht an dem Ei, sondern daran liegt, dass Salz im Kontext der Nahrungsmittelaufnahme einfach überall dazugehört. Deshalb wird man auch erst einmal stutzig, wenn man vor dem Projektraum Kinderhook & Caracas steht und durch das Fenster schaut: Ein ganzes Sammelsurium unterschiedlichster Salze ist dort aufgebahrt, vom Deutschen Markenjodsalz bis hin zum Salzkristall. In der Galerie hätte man eine solche Produktpalette eher nicht erwartet. Aber nein, man hat sich nicht an der Tür geirrt.

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Joe Clark, Claudia Comte, Lauryn Youden: Beneath the Salt, 2017, Installation view, Kinderhook & Caracas, Berlin, Organized by Conglomerate. Photos: Trevor Good.

Die Installation im Fenster ist Teil der aktuellen Schau „Beneath The Salt“ bei Kinderhook & Caracas, die nicht nur als Ausstellung, sondern zugleich auch als TV-Set fungiert. Hier wird in den nächsten Wochen eine Serie gedreht, in der ein Professor namens Richard James-Anthony der Geschichte des Salzes und damit auch der unserer Zivilisation auf den Grund geht. Hinter dem Salz nämlich steckt viel mehr als das kleine weiße Körnchen auf dem Ei: Salz – und da wird die ganze Sache spannend – wird seit jeher viel gehandelt und hoch versteuert, weshalb seine Geschichte eng mit gesellschaftlicher Klassentrennung und damit auch sozialer Ungleichheit verbunden ist. Professor Richard James-Anthony spürt diesem Verhältnis sowohl im historischen als auch im zeitgenössischen Kontext nach und hält zugleich Heilmethoden bereit, den aus der Ungerechtigkeit folgenden psychischen Belastungen Abhilfe zu schaffen. Die dabei zutagetretenden Erkenntnisse basieren hierbei auf den tiefgreifenden Recherchen der Künstlerin Lauryn Youden.

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Joe Clark, Claudia Comte, Lauryn Youden: Beneath the Salt, 2017, Installation view, Kinderhook & Caracas, Berlin, Organized by Conglomerate. Photos: Trevor Good.

Doch zunächst noch einmal zurück zum Anfang: Warum eine Fernsehserie und für was? „Beneath The Salt“ ist Teil des Web-TV-Projektes „Conglomerate“, das die Berliner Künstler und Betreiber von Kinderhook & Caracas Sol Calero und Christopher Kline gemeinsam mit dem Installationskünstler Ethan Hayes-Chute, der Videokünstlerin Dafna Maimon und dem Filmemacher Derek Howard zum Leben erweckt haben. Nachdem es bei den Ausstellungseröffnungen meist so proppenvoll war, dass die Kunstwerke gewissermaßen im Menschenmeer versanken, beschlossen die fünf in der digitalen Sphäre einen Raum zu kreieren, in dem Kunst mal ganz anders, nämlich im Fernsehformat, präsentiert werden kann. Auf Conglomerate.tv kann man nun von Künstlern gemachte Telenovelas, Shows und Serien verfolgen, die witzig, gerissen und ästhetisch explosiv sind. So baut Ethan Hayes-Chute in der Heimwerkerserie „New Domnestic Woodshop“ beispielsweise aus zwei Herdplatten einen Ofen für Tiefkühlpizza. Für „Beneath The Salt“ haben die GründerInnen nun die KünstlerInnen Joe Clark, Claudia Comte und Lauryn Youden eingeladen, eine eigene Ausstellung und Serie zu realisieren. Wo wird wieder beim Salz angelangt wären.

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Joe Clark, Claudia Comte, Lauryn Youden: Beneath the Salt, 2017, Installation view, Kinderhook & Caracas, Berlin, Organized by Conglomerate. Photos: Trevor Good.

Das nämlich findet sich im Projektraum überall: Da ist ein großer Sandkasten aufgebaut, bloß ist der mit Salz gefüllt. An der Wand hängen Rechen in unterschiedlichen Formen, mit denen die Besucher Muster in das Weiß ziehen können. Eine meditative Übung, mit der Professor Richard James-Anthony die Seelenleiden seiner Patienten zu heilen gedenkt. Claudia Comte hat die Wände des Raumes mit ihrem Team aus Assistenten in weiche Pastellfarben gehüllt, aus denen sich geometrische Formen schälen. Diese Ästhetik wird sich als Hintergrund der Aufnahmen nicht nur klasse machen, sondern lässt den Besucher sich auch gleich wohlfühlen.
Immer wieder muss man sich daran erinnern, dass die ausgestellten Objekte nicht nur Kunstwerke, sondern zugleich auch Requisiten sind. So dienen Joe Clarks Spiegelskulpturen beispielsweise dazu, bestimmte cinematografische Effekte ohne digitale Nachbearbeitung zu erzielen. Besonders deutlich wird die Doppeldeutigkeit der Objekte anhand eines kleinen Salzfeuers, das mitten im Raumes auf einer Säule brennt. Das Lupenglas, das vor der Flamme angebracht ist, lässt deren nervöses Züngeln nahezu physisch spürbar werden und hätte allein aus ästhetischen Gründe seine Daseinsberechtigung. Aber nein, auch hier handelt es sich um einen filmischen Kniff, der später beim Dreh seinen Einsatz finden wird.

Joe Clark, Claudia Comte, Lauryn Youden: Beneath the Salt, 2017, Installation view, Kinderhook & Caracas, Berlin, Organized by Conglomerate. Photos: Trevor Good.

Joe Clark, Claudia Comte, Lauryn Youden: Beneath the Salt, 2017, Installation view, Kinderhook & Caracas, Berlin, Organized by Conglomerate. Photos: Trevor Good.

Ebenso wie „Conglomerate“ ist auch „Beneath The Salt“ ein äußerst vielschichtiges Gesamtkunstwerk, in dem Kontext, Konzept und Format gleichberechtigt nebeneinander stehen. Was man als Besucher bei Kinderhook & Caracas ebenso fasziniert wie verwirrt anschaut, darf man wohl – Vorsicht: großes Wort – Kunst von morgen nennen: Werke, die mühelos von der physischen in die digitale Sphäre gleiten und dort für jedermann zugänglich werden. Sind alle Grenzen verwischt, bleibt eine mäandernde, sich ständig in neue Richtungen ausbreitende Struktur, die, ob nun Ausstellung, Fernsehshow oder beides zusammen, jede Form annehmen kann. Abgesehen davon, dass wir bisher eher selten mit einem Rechen Muster in ein Salzbett gemalt haben, finden wir das schon sehr visionär.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis zum 30. April und kann nach Vereinbarung besichtigt werden. Die Serie wird voraussichtlich im Sommer ausgestrahlt.
WO: Kinderhook & Caracas, Kreuzbergstraße 42e, 10965 Berlin.

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