Besser kaputt als heile Das Mauerwerk des Liam Fallon
12. Mai 2020 • Text von Anna Meinecke
Backsteinmauern sind etwas Grundsolides, doch Liam Fallon bricht sie auf – nur um sie dann mit Schnallen, Zwirn und Reißverschluss gewissermaßen wieder zusammenzuflicken. Mit gallerytalk.net spricht er über die Ästhetik des Brüchigen, queere Codes und Plateauschuhe, mit denen man durch Fett laufen kann.

Liam Fallon: “Snag”, 2019, 60cm x 40cm x 8cm, Jesmonite, MDF, primer.
gallerytalk.net: Als ich “Liam Fallon” gegooglet habe, bin ich erstmal auf “Dynasty”-Recap-Videos hängen geblieben. Wie ist das so, wenn eine neu aufgelegte Fernsehserie die eigenen Suchergebnisse dominiert?
Liam Fallon: Da habe ich noch nie drüber nachgedacht! Glücklicherweise kommt der meiste Traffic auf meiner Website über meinen Instagram-Account, da gibt es einen entsprechenden Link. Aber vielleicht kann ich die “Dynasty”-Links ja noch weiter nach unten kicken, wenn ich mehr Interviews wie dieses hier gebe!
Meine Lieblingsarbeit von dir ist eine Backsteinwand mit Reißverschluss – ein Motiv, das bei dir abgewandelt immer wieder auftaucht. Was hat es damit auf sich?
Ich entwickle das Motiv bereits seit einigen Jahren. Ursprünglich sollte die Backsteinoptik einfach Architektur zitieren. Dann habe ich einen Text des Kunsthistorikers David Getsy über queere Abstraktion gelesen. Es ging um die Identifikation mit symbolisch aufgeladenen Objekten innerhalb queerer Kontexte, um Vorstellungen von Liebe, Verlust oder Begierde und darum, wie wir diese davor bewahren, in Vergessenheit zu geraten. Daraufhin habe ich angefangen, intensiv über die Eigenschaften von Objekten nachzudenken. Ich kann mir entwertete Objekte wie eine Mauer, eine Zigarette oder einen Reißverschluss aneignen und sie neu mit Bedeutung aufladen.

Liam Fallon: “A Near Miss”, 2020, Jesmonite, pigment, MDF, primer, 500mm x 400mm x 80mm. // Liam Fallon in his studio.
Wo ist dabei der Reiz?
Ich sehe mich in dem Prozess als die Person, die Licht in die Ecke eines Raumes wirft und damit die Aufmerksamkeit auf etwas lenkt, was anderen sonst vielleicht entgangen wäre. So offenbart sich eine Geschichte, die sich immer mehr entfaltet, je länger man meine Objekte betrachtet. Es ist egal, wer du bist und woher du kommst: Wir alle haben schon mal mit diesen Objekten interagiert und eine Beziehung zu ihnen aufgebaut.
Was ist denn hinter deinen Mauern?
Das wusste ich bis vor Kurzem selber nicht. Ich möchte nicht alles verraten, vielleicht so viel: Manchmal wächst man so sehr in eine künstlerische Praxis hinein, dass man ihre Beschränkungen erkennt. Gerade interessiert eben genau, was jenseits der Mauern existiert. Ich will in die Zukunft blicken.

Liam Fallon: “Past The Point Of Fixing”, 2020, jesmonite, pigment, MDF, primer, aluminium, 2400mm x 1700mm x 80mm.
Deine Mauerstücke zeichnen Risse. Wie würdest du die Ästhetik des Brüchigen beschreiben?
Ein kaputtes Objekt interessiert mich mehr als ein heiles. Es erzählt nämlich eine Geschichte. Ein Bruch referenziert das Voranschreiten der Zeit und markiert gleichzeitig einen spezifischen Vorfall. An einem kaputten Objekt oder – in meinem Fall – an einem Riss in einer Mauer werden die Folgen dieses Vorfalls offenbar. Indem ich solche Objekte herstelle, kann ich die Situation kontrollieren, die all dem vorangeht.
Zigaretten sind in deinem Werk sehr präsent. Bist du ein leidenschaftlicher Raucher, ein überzeugter Ex-Raucher oder wie kommt es, dass du ausgerechnet auf dieses Motiv immer wieder zurückgreifst?
Ich war mal einer! Aber vor zwei Jahren habe ich damit aufgehört. Mir gefällt es, Themen immer wieder weiter zu denken und das Ergebnis meiner Überlegungen in meine Arbeit einfließen zu lassen. Ich habe wahnsinnig viel Zeit damit verbracht, mir Bilder von alten Bars und anderen Locations in New York anzuschauen, besonders von den Chelsea Piers (Landungsbrücken am westlichen Ufer von Manhatten; Anm. d. Red.). Zigaretten stehen für eine Begegnung zwischen Menschen oder sie werden Gegenstand der Verführung. Es ist doch interessant, wie ein Objekt Bilder einer ganz bestimmten Situation hervorrufen kann.

Liam Fallon: “Tongue-tied”, 2019, silicone rubber, towel rail, neoprene, timber, 1800mm x 800mm x 400mm.
Du bist offenbar ein Fan von Symbolen. Weißt du noch, wie das angefangen hat?
Vor ein paar Jahren habe ich in Liverpool eine Ausstellung von David Hockney besucht. Da habe ich zum ersten Mal seine Malerei aus der Zeit am Royal College of Art gesehen. Die Arbeiten waren sehr gestisch und voll von Symbolen. Während Hockney studiert hat, war er total in Cliff Richards verknallt. Damals war es allerdings in Großbritannien noch nicht erlaubt, schwul zu sein (Das geschah erst 1967 mit dem Sexual Offences Act; Am. d. Red.). Um nicht aufzufallen, hat Hockney in seinen Bildern auf bestimmte Symbole zurückgegriffen, durch die er seine Sexualität thematisieren konnte, ohne dass alle Leute gleich Bescheid wussten. Oft hat er zum Beispiel Buchstaben mit Zahlen ausgedrückt – etwa 3.14 für C. R.. In dem Kontext ist mir die Macht von Symbolen und Zeichen bewusst geworden.
Auch du verhandelst deine eigene Queerness nicht explizit in deinen Arbeiten. Sie schwingt jedoch mit. Wie nährst du dich der Thematik?
Das Thema ist bis heute einigermaßen nischig besetzt. Ich habe immer im Hinterkopf, dass es auf manche Menschen befremdlich wirken könnte – das möchte ich natürlich nicht. Je älter ich werde, desto wohler fühle ich mich mit mir und meiner Identität. Aber mir ist dabei auch klar geworden, dass ich nicht immer alles explizit in einen bestimmten Kontext rücken muss.

Liam Fallon: “Slipping Away From Me”, 2020, jesmonite, pigment, MDF, primer, acrylic paint, aluminium, 1130mm x 890mm x 80mm. // Liam Fallon: “Black Brick”, 2020, jesmonite, pigment, MDF, primer, 500mm x 350mm x 80mm.
Wie meinst du das?
Ich bin ein schwuler Mann und entsprechend wird meine Arbeit immer auf ganz natürliche Weise mit Elementen meiner Identität aufgeladen sein. Schließlich basiert alles, was ich mache, auf dem, was ich erlebt habe. Es beruhigt mich, zu wissen, dass bestimmte Themen in meiner Arbeit von selbst sichtbar werden, ohne dass ich es darauf anlegen muss.
Deine Arbeiten verbreiten einen gewissen Pop-Art-Vibe. Was hältst du von dem Vergleich?
Ich sehe total, wo der Vergleich herkommt, und ich begrüße ihn. Ich kann allerdings nicht sagen, dass ich darüber jemals nachgedacht oder mich bewusst in diesem Kontext verortet hätte. Ich würde gern lesen, wie jemand anders diesen Bezug herstellt! Mir selbst fällt es schwer, nachzuvollziehen, woher die ganze Ästhetik überhaupt kommt. Gefühlt war sie einfach immer da!

Liam Fallon: “La Saudade”, 2019, jesmonite, MDF, polyurethane rubber, faux leather, pigment, timber, 1700mm x 900mm x 5000mm.
Stell dir vor du müsstest ein Mood Board ohne jede Beschränkung zusammenstellen – es können Bilder, Filme, Literatur, Freund*innen, Früchte oder was auch immer vorkommen. Wie sähe dein Mood Board in diesem Moment aus?
Ungepolsterte Stühle, Bauchnabel, Venen, Basketballfelder, klassische Architektur, Gummi-Pellets, Knetmasse, der Glossier Conceptstore in New York, die Regeln der Physik à la Road Runner und Wile E. Coyote (Zeichentrickfiguren von Chuck Jones; Anm. d. Red.), Masken, Lego-Werkzeuge, Bierdosen-Halter, Baugerüste, Screenshots von “Sophiechen und der Riese”, schlagende Cartoon-Herzen, Leitern, billiger, gravierter Schmuck, Fackeln, Vogelhäuschen, Plateauschuhe, Plateauschuhe, in denen man durch Fett laufen kann, “Unschlitt” von Joseph Beuys, Gesichtsprothesen, rote Vintage-Shorts von Adidas, ein Bund mit elastischem Einzug, Seifenfabriken.
Du befasst dich viel mit Kritischer Theorie. Welche Frage hat deine Lektüre zuletzt aufgeworfen?
Ich bin auf den Begriff der “Typologie des Raums” gestoßen. Seitdem interessiere ich mich dafür, wie wir unsere Umgebung begreifen. Wir betreten zum Beispiel einen Raum, sehen einen Kamin oder einen Couchtisch und schlussfolgern, dass wir uns in einem Wohnzimmer befinden. In dem Text, den ich gelesen habe, ging es darum, unsere Vorstellung von Räumen zu hinterfragen – was könnten all die Objekte darin sein? Die Frage begeistert mich!

Liam Fallon: “Handstand (English Rose)”, 2020, jesmonite, timber, polyurethene foam, spray paint, MDF, 1150mm x 710mm x 220mm. // Cathrin Hoffmann: “The Pretend Double-Check”, 2020, oil on canvas, 190 x170 cm.
In der Berliner Galerie Duve stellst du gemeinsam mit Cathrin Hoffmann aus. Ursprünglich solltet ihr 2019 für eine gemeinsame Residency in London sein. Es kam dann aber anders und ihr habt euch erst Anfang des Jahres kennengelernt. Was war dein erster Eindruck von ihr?
Ich hatte vorher schon oft via Skype mit ihr gesprochen. Und als wir uns persönlich kennengelernt haben, war sie ganz genau so: großartig! Sie ist sehr gewissenhaft, was ihre Arbeit anbelangt. Ihr Arbeitsethos ist unglaublich. Sie hängt die Latte da echt hoch. Ich hoffe, wir tauschen bald eine Arbeit!
Ich vermute, die gemeinsame Arbeit hat deine Kunst in irgendeiner Weise geprägt. Kann man das zum Beispiel an einem bestimmten Werk erkennen?
Auf jeden Fall! Eine meiner Arbeiten heißt “Handstand (English Rose)”. Auf der Oberfläche ist ein Abguss meines Bauchnabels zu erkennen und zwei MDF-Blöcke erinnern an Nippel. Als Cathrin und ich das erste Mal über Skype miteinander gesprochen haben, habe ich ihr einen Screenshot einer Zeichnung zu der Arbeit geschickt. Und es war sofort eine Verbindung zur ihr und ihrer Kunst da. Es ist eine meiner Lieblingsarbeiten überhaupt geworden.

Liam Fallon: “Blowback”, 2020, jesmonite, pigment, MDF, primer, pigmented silicone, 800mm x 700mm x 80mm.
Bei Duve zeigst du Arbeiten mit Titeln wie “Past the Point of Fixing”, “Slipping Away from Me” or “Falling Apart”. Welchen Wert haben Themen wie Nostalgie oder Sentimentalität für dich?
Sentimentalität spielt bei meiner Arbeit eine große Rolle – und ich glaube, wo Sentimentalität ist, ist Nostalgie nicht allzu weit! Bei vielen Arbeiten zu queerer Kultur wird dem Sexuellen besondere Bedeutung zugesprochen. So wichtig es ist, über diesen Aspekt zu sprechen: Ich glaube, dass noch mehr Bedarf besteht, in die Bereiche Sentimentalität und Nostalgie vorzudringen. Schließlich werden unsere Beziehungen zu Menschen und Objekten wesentlich von den Emotionen gesteuert, die wir ihnen gegenüber empfinden.
Nostalgie beiseite: Was wird das Beste an der Zukunft?
Im Moment ist mein Terminplan noch recht leer. Also freue ich mich darauf, mit neuen Ideen zu experimentieren. Langfristig? Da bin ich mir noch nicht sicher. Ich würde gern nach Europa ziehen und das mal ausprobieren!
WANN: Die Duo-Show “Somewhere Inbetween” von Cathrin Hoffmann und Liam Fallon eröffnet am 15. Mai und läuft bis zum Sommer. Eine Vernissage gibt es möglicherweise nachträglich – wir halten euch auf dem Laufenden.
WO: Duve Berlin, Michaelkirchstraße 15, 10179 Berlin.