„Das Denken ist ein eminentes Narkotikum“
Walter Benjamin und Bertolt Brecht im Gespräch

13. Dezember 2017 • Text von

Archiv und Kunst im Dialog. Zwei große Denker des 20. Jahrhunderts. Der Kritiker Walter Benjamin (1892-1940) und der Dichter Bertolt Brecht (1898-1956). Wie sie einander fasziniert, geprägt und abgelehnt haben.

Emil Hesse-Burri, Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Bernard und Margot von Brentano am Strand von Le Lavandou, Juni 1931
Foto: unbekannt. © Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv

„Die Freundschaft Benjamin-Brecht ist einzigartig, weil in ihr der größte lebende deutsche Dichter mit dem bedeutendsten Kritiker der Zeit zusammenkam. Und es spricht für beide, dass sie es wussten“, so pointiert formulierte die Philosophin Hannah Arendt die besondere Verbindung der beiden Denker, die diese Ausstellung ins Licht rückt. Arendt spricht hier nicht über das Geniale, das dem Denken beider innewohnt. Vielmehr scheint sie ein Wissen um die eigenen Schwächen zu meinen, ein sich Bewusstsein um das Gefängnis der eigenen Realität, das sich in der Suche nach dem jeweils Anderen zeigt. Mit nahezu archäologischer Präzision macht die Ausstellung diese wechselseitige Beziehung greifbar. Entstanden ist so eine Ausstellung über das Denken selbst.

Zitate und Audioaufnahmen von Zeitzeugen und Wegbegleitern führen den Besucher an die komplexe Gedankenwelt Benjamin-Brecht heran. Der erste Raum im Obergeschoss der Akademie der Künste fungiert als eine Art Filter. Hier wird die Konstellation Benjamin-Brecht zu Beginn zunächst aus zweiter Hand beleuchtet, was ein Gefühl für die Umstände des Kennenlernens vermittelt: Die Zeit, die Hintergründe und jeweiligen Denkansätze.

Es ist Benjamin, der auf ein Treffen mit Brecht drängt. Er ist fasziniert von der gegenwärtigen Dringlichkeit, die dem jungen Brecht innewohnt. Eine Faszination, die ihn bis zu seinem Selbstmord 1940 in Bann halten wird. Bei einem ersten Treffen 1924 funkt es aber noch nicht direkt. Erst im Mai 1929 zahlt sich Benjamins Beharrlichkeit aus. Die beiden planen erste gemeinsame Projekte: „Heidegger zertrümmern“, ein Kriminalroman, die Zeitschrift Krise und Kritik.

Bertolt Brecht und Walter Benjamin spielen Schach, 1934, Skovsbostrand/Dänemark. Foto: unbekannt. © Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv

Anhand von sechszehn Schlagwörtern – „Bruchstücke“ genannt – geht es nun auf in das Benjaminsche-Brechtsche Gedankenuniversum. Schicht um Schicht, Stellwand um Stellwand. Die Präsentation ist dem Kuratorenteam durchaus gelungen. In Vitrinen finden wir Schriften und Objekte aus den Archiven, welche die Akademie der Künste beide verwaltet. Ein kurzer Begleittext liefert den nötigen Kontext. Der Blick über die Archive hinaus, nach vorne, offenbart an Sperrholzwänden dokumentierte und kuratierte Zitate sowie Gesprächsverläufe. Dass der Gesprächsfaden nicht abreißt, zeigt sich auch in der fortwährenden Brisanz der Themen – damals wie heute. Wer nicht nur in Vergangenem verweilen will, kann jederzeit in eine der multimedialen Installationen zeitgenössischer KünstlerInnen ausweichen, die dieses Gedankendickicht säumen.

Die Aufzeichnungen aus den Archiven ermöglichen dem Ausstellungsbesucher, die Positionen beider Denker, ihre gegenseitigen Bezüge und Einflüsse, aber vor allem ihr Auseinanderstreben nachzuvollziehen. Das macht die Arbeit mit dem Archiv so wichtig. Die Versatzstücke des Denkens beider Autoren veranschaulichen somit eine spezielle Art und Weise zu denken. Eine Form des Denkens, das sich seiner impliziten Affirmationen bewusst ist – ein kritisches Denken. Das Schachspiel avanciert somit nicht nur zum pressefreundlichen Aufhänger der Ausstellung, sondern auch zum Sinnbild einer Freundschaft und Arbeitsgemeinschaft, deren jeweils nächster Schritt sich vom Standpunkt des Anderen aus entwickelt hat – unabhängig von Zuspruch oder Ablehnung.

Detail, Holzschnitt aus Steffen Thiemanns Graphic Novel Mord im Fahrstuhlschacht nach Benjamin und Brecht, 2017. © Steffen Thiemann

„Die beiden ins Gespräch bringen“, so beschreibt Erdmut Wizisla, der Leiter des Kuratorenteams, die Intention der Ausstellung. Ein Gespräch bleibt offen, ohne Ausgang und voller Widersprüche, und kann sich somit jederzeit neu entzünden. Genau das machen auch die, teils eigens für die Ausstellung  konzipierten, künstlerischen Kommentare. Sie führen das Gespräch fort. So bezieht sich Steffen Thiemann auf das Bruchstück „Krimi“. Im Herbst 1933 planen Benjamin und Brecht gemeinsam einen Kriminalroman zu schreiben. Thiemann hat die in den Archiven enthaltenen Notizen und Fußnoten beider Autoren in Holz geschnitten und in die Graphic Novel „Mord im Fahrstuhl“ – im Benjaminschen Sinne des Wortes – übersetzt. Holzschnitt und Druck stehen sich nun gegenüber und der Besucher kann sich auf eine eigene Spurensuche begeben. So mag man im Zweifeln gegenüber der Gesetzeskraft des Detektivs Lexer an Benjamins Schriften zur Gewalt denken oder in der Grobheit der Holzschnitte die Brechtsche Vehemenz erkennen.

„Denken in Extremen“, so der Titel der Ausstellung. Aber wie lässt sich Denken ausstellen? Der Philosoph Marcus Steinweg hat es diagrammatisch erfasst. Zugegebenermaßen verliert sich selbst der mit der Materie vertraute Leser schnell in diesem Diagramm aus Schlagworten und Namen, Kommentaren und Querverweisen. Aber genau das macht ein Diagramm aus: Chaos und Ordnung zugleich. Es versinnbildlicht das Denken an sich, das eingreifende Moment des Gedankens an sich.

Trotz ihrer Differenzen, verbinden Benjamin und Brecht zentrale Themen. Wie einer gesellschaftlichen Krise begegnen? Welche radikale Rolle spielt die Kunst? Beide haben sich stets als Künstler und Intellektuelle, nie als Politiker begriffen. Ihre Darstellung der Realität war stets eine literarische und theatralische, auch wenn Brecht im Theater durchaus das Weltliche suchte. Ihr Denken betont die Wichtigkeit einer klaren, kritischen Sprache. Heute sieht man, wie sich „politisch sein“ als Paradigma der zeitgenössischen Kunst etabliert hat. Das Resultat ist dabei zu oft dogmatisch. Der Denkimpuls geht verloren, es geht vielmehr darum, bestimmte Weltansichten zu propagieren. Die Kunst entrückt sich selbst. Die Ausstellung „Benjamin und Brecht. Denken in Extremen“ sucht ebendiese Denkimpulse, die im Zusammendenken von Kunst und Politik entstehen können. Ziel ist dabei keine neue Ideologie, sondern ein sich bewusst werden im Brechtschen Sinne – ein sich bewusst werden durch (An)Teilnahme.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 28. Januar 2018 zu besichtigen. Mehr Infos zum Begleitprogramm hier.
WO: Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin.

 

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