Gallery Weekend Berlin 2022 14 Ausstellungen, die ihr nicht verpassen solltet
27. April 2022 • Text von Anna Meinecke
Zum Gallery Weekend läuft der Berliner Galeriebetrieb auf Hochtouren. So viele Ausstellungen, so wenig Zeit? Wir haben vorsortiert und präsentieren 14 hervorragende Gründe, wieso ihr euch am Wochenende unbedingt auf Kunst-Tour begeben solltet.
Rachel Youn bei Soy Capitán
Willkommen in der Pflanzen-Disko. In buntes Licht getaucht vibrieren Plastikgewächse auf ausrangierten Massagegeräten. Für ihre Ausstellung „Revival“ bei Soy Capitán hat Rachel Youn Objekte zweckentfremdet und damit womöglich eine viel bessere Bestimmung für sie aufgetan. Irgendwo zwischen Hedonismus und Karambolage, Schönheit und Schrottprodukt offenbaren Youns Arbeiten eine unvorhergesehene Sinnhaftigkeit.
WANN: Die Ausstellung „Revival“ von Rachel Youn ist von Freitag, den 29. April, bis zum 25. Juni zu sehen.
WO: Soy Capitán, Prinzessinnenstraße 29, 10969 Berlin.
Jagoda Bednarsky & Felix Kultau bei Grisebach
Gin Fizz und holzige Gerüche, Gurkenscheiben auf die Augen – klingt eigentlich entspannt. Doch bei Jagoda Bednarsky und Felix Kultau ist Wohlfühlatmosphäre vom Unheimlichen durchtränkt. Ihre Duo-Show „Nachtstücke“ bei Grisebach ist eine Kooperation mit der Frankfurter Galerie Philipp Pflug Contemporary. Dort sind die Soda-Kapseln aufgebraucht, die Räucherstäbchen abgebrannt und „Wellness“ steht auf dem Kopf. Sie probt eine Verortung von Sehnsüchten in der sogenannten Gegenwart.
WANN: Die Ausstellung „Nachtstücke“ von Jagoda Bednarsky und Felix Kultau eröffnet am Mittwoch, den 27. April, von 18 bis 21 Uhr. Sie läuft bis Freitag, den 13. Mai.
WO: Grisebach, Fasanenstraße 25, 10719 Berlin.
Adrian Ganea in der Galeria Plan B
Einen virtuellen Wald voller Totenmasken präsentiert Adrian Ganea Besucher*innen der Ausstellung „Ghost Trade“ in der Galeria Plan B. Denn wie Totenmasken verbleiben 3D-Scans von Bäumen, Sträuchern und Steinen heute in Online-Bibliotheken zum Download verfügbar: als Repräsentationen von Natur, geschaffen für Fantasie und Fiktion. Ganea modelliert digitale Objekte nach hölzernen Auswüchsen und verpflanzt sie in einen Garten, der weniger düster wirkt, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Hier stimmen die Geister ein Lied der Hoffnung an.
WANN: Die Ausstellung „Ghost Trade“ von Adrian Ganea eröffnet am Freitag, den 29. April, von 18 bis 21 Uhr. Sie läuft bis zum 25. Juni.
WO: Galeria Plan B, Potsdamer Str. 77-87, 10785 Berlin.
Lea Draeger bei Ebensperger
Prominenz Papst, Keimzellen Papst, Schweige Papst, Selfisten Papst, Kolonial Papst, Bratwurst Papst, Kommunen Papst, Ihr Kinderlein kommet Papst, Wundbohrer Papst, Sardinen Papst, Medusa Päpstin, Schwestern Päpstin, Missonars Papst, Melke Papst, Papst mit Hungerndem auf Ansichtskarte – das sind nur einige der Geistlichen, die im Kontext der Ausstellung „Ökonomische Päpste und Päpstinnen“ von Lea Draeger bei Ebensperger zu erspähen sind. Einmal quer durch den Raum über den Boden, dann die Wand hochgekachelt finden sich kleinformatige Zeichnungen, die ganz neue Perspektiven auf den in Abwesenheit Jesu Christi stellvertretend installierten Obergetauften ermöglichen.
WANN: Die Ausstellung „Ökonomische Päpste und Päpstinnen“ von Lea Draeger eröffnet am Freitag, den 29. April, von 18 bis 21 Uhr. Sie läuft bis zum 19. Juni.
WO: Ebensperger, Plantagenstraße 30, 13347 Berlin.
Rocco Ruglio-Misurell bei Dzialdov
Überbleibsel, Abgüsse und Eindrücke sind die Materialien, aus denen die Arbeiten von Rocco Ruglio-Misurell gemacht sind. Seine Ausstellung „In Material Worlds“ bei Dzialdov erzählt vom Schaffen im Atelier – von dem, was geschehen ist, von dem, was noch fehlt, und von dem, was längst abgeschlossen ist. In Schattierungen von Pastellfarben und Schwarz, weich und hart, vertraut, doch fremd, futuristisch, aber irgendwie angebraucht bewohnen Ruglio-Misurells Objekte den Ausstellungsraum als Zwischenwesen, deren Geschichte präsent scheint, obwohl sie verborgen bleibt.
WANN: Die Ausstellung „In Material Worlds“ von Rocco Ruglio-Misurell eröffnet am Donnerstag, den 28. April, von 19 bis 22 Uhr. Sie läuft bis zum 5. Juni.
WO: Dzialdov, Maybachufer 43, 12047 Berlin.
Conny Maier bei Société
Schaum vor dem Mund und eine solide Portion Aggression – besser, nichts würde sich nach Tollwut anfühlen, doch der Titel von Conny Maiers Einzelausstellung bei Société legt genau das nahe: „Feels like rabies“. Die Figuren der Künstlerin wirken entsprechend alles andere als ausgeglichen. Die Münder weit aufgerissen, die Augenhöhlen pechschwarz pulsiert die Emotion durch ihre Leiber. Einzig welche, das wird nicht abschließend aufgelöst. Es präsentiert sich ein unbestimmtes Ringen mit den Umständen: ein Schubsen, ein Trauern, ein Suchen, ein Streben – in geballter Abgründigkeit erstaunlich schön.
WANN: Die Ausstellung „Feels like rabies“ von Conny Maier eröffnet am Freitag, den 29. April. Sie läuft bis zum 4. Juni.
WO: Société, Wielandstraße 26, 10707 Berlin.
aaajiao bei Wannsee Contemporary
Pass auf, was du ins Internet stellst, sagen sie. Es wird für immer bleiben. Bei aaajiao war das nicht der Fall. 2020 wurde sein Account auf der chinesischen Social-Media-Plattform Weibo gelöscht, die Spuren seiner Online-Präsenz vernichtet. Erzwungenes Verschwinden statt maximaler Sichtbarkeit im Zeitalter konstanter Überwachung. Was ist ein Künstler, Aktivist und Blogger ohne virtuelle Identität? Ein Schneemann, eine U-Bahn-Tür, zwei Würstchen – die Ausstellung “I was dead on the Internet“ bei Wannsee Contemporary vereint Schnappschüsse wie fragile Spuren eines zerschlagenen Ganzen.
WANN: Die Ausstellung “I was dead on the Internet“ von aaajiao eröffnet am Sonntag, den 1. Mai, von 12 bis 18 Uhr. Sie läuft bis zum 16. Juli.
WO: Wannsee Contemporary, Chausseestraße 46, 14109 Berlin.
Shuang Li bei Peres Projects
Rastlos dazwischen, zwischen Orten, zwischen Screens, gilt es den Körper zu verorten. Vor zwei Jahren, im Februar 2020, reist Shuang Li für ihre erste Einzelausstellung bei Peres Projects von China nach Deutschland. Bis heute ist sie nicht zurückgekehrt. So verhandelt sie mit ihrer zweiten Solo-Show in der Galerie, „nobody’s home“, den Schwebezustand, den die Pandemie Alltag werden ließ. Mit glossy Oberflächen, Muschel-Motiven und Anime-Elementen blitzen in Lis Arbeiten Nostalgie und Witz, Entfremdung und Sehnsucht nach Geborgenheit auf.
WANN: Die Ausstellung „nobody’s home“ von Shuang Li eröffnet am Freitag, den 29. April, von 11 bis 20 Uhr. Sie läuft bis zum 27. Mai.
WO: Peres Projects, Karl-Marx-Allee 82, 10243 Berlin.
Lena Schramm bei Kai Erdmann
Bock auf Rave? Hier wären schon mal die passenden Teile. Lena Schramm präsentiert im Rahmen ihrer Ausstellung „Ecstasy“ in die Galerie Kai Erdmann die motivische Vielfalt der Partydroge. Die kommt längst nicht mehr nur als Smiley daher. Luxus-Symbole wie das Rolex- oder das Tesla-Logo werden ebenso in Pillen gepresst wie das Skype-Icon oder das Konterfei von Kermit dem Frosch. Schramm präsentiert auf großformatig kombinierten Tafeln die Widersprüche des Spaßkonsums zwischen kapitalistischer Warenästhetik und synthetischer Emotion.
WANN: Die Ausstellung „Ecstasy“ von Lena Schramm eröffnet am Freitag, den 29. April, von 15 bis 21 Uhr.
WO: Galerie Kai Erdmann, Schweidnitzer Straße 17, 10709 Berlin.
Elif Saydam bei Tanya Leighton
Blümchen-Verzierung, zarte Muster, in der Bildmitte rauchende Füße. Elif Saydam versteht sich auf den strategischen Einsatz des Dekorativen. Niedliche Motive und Ornamente kollidieren in Saydams Arbeiten mit Trash-Bildchen und Absurditäten, sodass die Sicherheit vertrauter Symbolik trügerisch erscheint. Ein neuer Kontext verlangt womöglich eine neue Lesart. Die Galerie Tanya Leighton zeigt in der Ausstellung „F*rgiveness“ acht neue großformatige Malereien, ein geballtes Klagen wider die Produktivität.
WANN: Die Ausstellung „F*rgiveness“ von Elif Saydam eröffnet am Freitag, den 29. April, von 17 bis 20 Uhr. Sie läuft bis zum 25. Juni.
WO: Tanya Leighton, Kurfürstenstraße 25, 10785 Berlin.
Marilia Furman bei PSM
Es ist, wie so oft, entweder zu viel oder zu wenig. Überproduktion und Mangel gleichermaßen indizieren die nahende Katastrophe. Marilia Furman verhandelt den Spätkapitalismus, indem sie durch Aneignung und Umdeutung von Objekten und Bildern versucht, Machtstrukturen zu gestalten. Ein erdolchter Polizeihelm, ein zum Werkzeug umfunktionierter Gehstock – oder ein veredelter Hammer? Ein Fokus der Ausstellung „MONSTROUS“ in der Galerie PSM stellt dabei die Auseinandersetzung mit dem politischen System Brasiliens da. Furman betrachtet dies eingebettet in einen globalen Kontext sozialen Verfalls und materieller Zerstörung.
WANN: Die Ausstellung „MONSTROUS“ von Marilia Furman eröffnet am Freitag, den 29. April, von 18 bis 21 Uhr. Sie läuft bis zum 20. Juni.
WO: PSM, Schöneberger Ufer 61, 10785 Berlin.
Nona Inescu bei Peles Empire
Kaum jemand gewährt einen zärtlicheren Blick auf Steine als Nona Inescu. Die Künstlerin lässt sie in Lederriemen baumeln, fasst sie ein in Metall, sodass sie weich wirken entgegen ihrer physischen Verfasstheit. Bei Peles Empire erscheinen sie ganz im Sinne des Ausstellungstitels „Relics. Quarries. Reliquaries.“ als erbeutete Heiligtümer geradezu übernatürlichen Charakters.
WANN: Die Ausstellung „Relics. Quarries. Reliquaries.“ von Nona Inescu eröffnet am Sonntag, den 1. Mai, von 13 bis 18 Uhr. Sie ist bereits vorab nach Vereinbarung geöffnet und läuft bis zum 12. Juni.
WO: Peles Empire, Karl-Marx-Straße 58, 12043 Berlin.
Andy Kassier in der Weserhalle
Was macht eigentlich der Schwamm an der Decke? Ein bisschen wie der im Zeitalter der Smartboards gerade historisch anmutende Schüler*innenscherz funktioniert der Titel von Andy Kassiers Einzelausstellung in der Weserhalle: „read that twice.“ Der Kopf folgt der Anweisung, noch ehe der Groschen fallen kann. Den deutschen Winter hat Andy Kassier auf der Suche nach der Erleuchtung von Mexiko und Südafrika aus passieren lassen. Nun ist er zurück; bereit, neu gefundene Weisheiten mit seinem Berliner Publikum zu teilen.
WANN: Die Ausstellung „read that twice.“ eröffnet am Mittwoch, den 27. April, von 18 bis 21 Uhr. Sie läuft bis Mittwoch, den 25. Mai.
WO: Weserhalle, Weserstraße 56, 12045 Berlin.
Sofía José Salazar Rosales im Bungalow von ChertLüdde
Ein Sack Lebensmittel wie ein Fossil, liegen geblieben für die Ewigkeit oder jedenfalls für die Dauer der Ausstellung. Sofía José Salazar Rosales bespielt mit „Hay cuerpos cansados por el viaje que buscan enraizarse (There are bodies tired from the journey seeking to root)” den Bungalow der Galerie ChertLüdde. Die Künstlerin verhandelt über Waren und Transportgüter die sozialen und ökonomischen Implikationen transatlantischen Handels. Das Gewicht von Kolonialismus und Spätkapitalismus lastet auf dem Raum wie das der Betonbananen im übergroßen Netz, das ihnen die Künstlerin gewebt hat.
WANN: Die Ausstellung „Hay cuerpos cansados por el viaje que buscan enraizarse (There are bodies tired from the journey seeking to root)” von Sofía José Salazar Rosales eröffnet am Freitag, den 29. April. Sie läuft bis zum 3. September.
WO: ChertLüdde, Hauptstraße 18, 10827 Berlin.
Das Gallery Weekend Berlin findet von Freitag, den 29. April, bis Sonntag, den 1. Mai, statt. Nicht alle Ausstellungen in diesem Artikel sind Teil des offiziellen Programms. Eine Übersicht über die Ausstellungen in den teilnehmenden Galerien findet ihr hier.