Auf alternativen Wegen
Das Angewandte Festival nutzt neue Formate

22. Juni 2020 • Text von

Welche Alternativen haben die Kunstakademien, um auf die veränderten Bedingungen der Produktion und Rezeption zu reagieren? Die Universität für angewandte Kunst in Wien geht mit gutem Beispiel voran. Das Angewandte Festival findet im virtuellen und öffentlichen Raum statt und beweist dadurch eine kritische wie proaktive Haltung.

Hybridform AInimals von Studierenden der Abteilung Grafik Design von Pauline Jocher, Marlene Kager, Maris Nisu, Maximilian Prag für das Angewandte Festival 2020.

AInimals von Studierenden der Abteilung Grafik Design (Pauline Jocher, Marlene Kager, Maris Nisu, Maximilian Prag) für das Angewandte Festival 2020.

Die Universität für angewandte Kunst in Wien verlegt die Jahresausstellung ihrer Studierenden in diesem Jahr in den virtuellen und öffentlichen Raum. Das Angewandte Festival reagiert damit kritisch und proaktiv auf die aktuell erschwerten Bedingungen der Kunstproduktion und ihrer Rezeption. Mit einem umfassenden Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm öffnet die Universität das Format unter dem Motto „AInimals“. So entsteht eine virtuelle Hybridstruktur, die referenziell für das umfassende Festival aller Studiengänge steht.

Eine eigens dafür kreierte Website überträgt vier Tage lang ein Live-Programm mit Video-Screenings, Performances, Sounds, Führungen, Workshops und der Präsentation der Abschlussarbeiten. Darüber hinaus wurden verschiedene Ausstellungsformate entwickelt, die Kunst öffentlich verteilt über alle Wiener Bezirke, interaktiv wie auch privat erlebbar machen. Wir sprachen mit Lena Kohlmayr, der Leiterin des kuratorischen Teams, und der Vizerektorin für Ausstellungen und Wissenstransfer, Eva Maria Stadler, darüber, wie alternative Präsentationsformen unsere Zukunft im Umgang mit Mobilität, in der künstlerischen Auseinandersetzung und im sozialpolitischen Handeln verändern können.

Faktisches Niemandsland. Verlassene Zivilisation. Was ist zu Hause? – eine Plakatserie in Kooperation mit der Kunsthalle Wien von Studierenden der Abteilung Transmediale Kunst.

Faktisches Niemandsland. Verlassene Zivilisation. Was ist zu Hause? – eine Plakatserie in Kooperation mit der Kunsthalle Wien von Studierenden der Abteilung Transmediale Kunst. Foto: Transmediale Kunst.

gallerytalk.net: Welche Rolle spielt das diesjährige Sujet der „AInimals“?
Lena Kohlmayr: Die „AInimals“ wurden eigentlich schon Anfang des Jahres von Studierenden der Abteilung Grafik Design entwickelt, also bevor Corona überhaupt ein Thema war. Sie sind eine kritische und zugleich humorvolle Auseinandersetzung mit digitalen Prozessen, Artificial Intelligence und künstlich generierten Visualisierungen.
Eva Maria Stadler: Die Ereignisse der letzten Monate rücken aber noch eine andere Lesart in den Vordergrund, die das Sujet umso relevanter und aktueller und daher fast programmatisch macht: Übergänge von Mensch zu Tier, die Zoonosen und die unendlich vielen unterschiedlichen visuellen Ergebnisse bei der Generierung.

AInimals von Studierenden der Abteilung Grafik Design (Pauline Jocher, Marlene Kager, Maris Nisu, Maximilian Prag) für das Angewandte Festival 2020.

Eine wichtige Bedeutung kommt in diesem Jahr der Festival-Page zu, die als offene und visuell aufgebaute Web-Struktur das gesamte Angebot live überträgt. Welche neuen Möglichkeiten bieten sich so für die Präsentationen der Abschlussarbeiten und das Rahmenprogramm?
LK: Die größte Herausforderung ist, sehr unterschiedliche Medien und Projekte über eine Kommunikationsplattform zu vermitteln und sich dabei nicht in einer zu komplizierten Struktur zu verschachteln, die sich dann vor die künstlerischen Arbeiten stellt. Gemeinsam mit der Webagentur 101 haben wir die Website, also das Gefäß entwickelt, das bis zum Festival-Start am 23. Juni mit unterschiedlichen Beiträgen der Studierenden befüllt wird und zur Teilnahme am Angewandte Festival einlädt.

Ausstellungsansicht Unter Flaschen – Die Fledermaus in der Bar du Bois von Ann Muller, Die fleissigen Totengräberinnen und ihr Werkzeug in der Universität für angewandte Kunst Wien.

Ausstellung Unter Flaschen – Die Fledermaus in der Bar du Bois, Ann Muller, Die fleissigen Totengräberinnen und ihr Werkzeug, 2020.
Foto: kunst-dokumentation.com, © Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien.

Ein Festival lebt von einem großen Angebot, dass parallel unterschiedlichste Programmformate anbietet und so auch eine breite Zielgruppe erreicht. Wie ist das in die Website integriert und gibt es Interaktionsmöglichkeiten?
EMS: Wir glauben nicht, dass unser digitales Angewandte Festival das erfüllen kann, was das Festival im Vorjahr war, ein pulsierendes soziales Ereignis – aber die aktuelle Situation hat alternative Strategien notwendig gemacht, die natürlich auch einen Einfluss auf die Arbeiten und Projekte hatten. Was das heurige Festival sehr wohl schafft, ist die Arbeiten der Studierenden öffentlich zu präsentieren.
LK: Die Interaktion ist wohl das, was uns in den letzten Monaten am meisten gefehlt hat und uns auch beim Festival abgehen wird. Wir steuern mit einer virtuellen Bar, die über die Festival-Website besucht werden kann, dagegen und hoffen so auf ein paar zufällige Begegnungen. Unser Ziel ist es außerdem, dass man auf der Website auch Dinge findet, nach denen man nicht gesucht hat, aber an denen man vorbeikommt und die dann wie im echten Leben das Interesse spontan wecken.

Ansicht einer Performance im Freien mit dem Titel Campingperformance und Lückenfüller von der Gruppe Bussi, Studierende der Abteilung Ortsbezogene Kunst und andere.

Campingperformance und Lückenfüller – Gruppe Bussi, Studierende der Abteilung Ortsbezogene Kunst und andere. Foto: Gruppe Bussi.

Die strengen Maßnahmen und Kontaktbeschränkungen der Corona-Bekämpfung haben sich auch extrem auf die künstlerische Produktion, die Lehre und den Austausch an der Uni ausgewirkt. Sie sprachen auch davon, dass Sie die Körper verloren hätten. Wie können diese substituiert werden?
EMS: Die Körper können wir zum Glück nicht ersetzen – obwohl, wenn ich überlege – den Studierenden fällt dazu schon etwas ein. Das Sommersemester war und ist ein sehr besonderes Semester. Wir haben trotz der Beschränkungen wahnsinnig viel gelernt und es sind aus meiner Sicht sehr interessante künstlerische Arbeiten entstanden, die auf die Situation reagieren. Auf der Festivalpage werden auch einige davon zu sehen sein. Aber klar ist, dass das Soziale ein sehr hohes Gut ist, das zu teilen, wir kaum erwarten können.

Foto einer bespielten Litfaßsäule im zweiten Bezirk in Wien. Projekt 23 Bezirke, 23 Litfaßsäulen der Abteilung Social Design für das Angewandte Festival 2020

23 Bezirke, 23 Litfaßsäulen – Abteilung Social Design in 1020 Wien für das Angewandte Festival 2020. Foto: Gabi Pichler.

Sie haben aber auch neue Präsentationsformen für den öffentlichen Raum konzipiert, wodurch der soziale Austausch durchaus gefördert wird und Kunst für viele erlebbar macht. Wie wird das Festival in den Stadtraum geöffnet?
LK: Wir gehen in alle 23 Bezirke Wiens. In jedem Bezirk wurde eine Litfaßsäule durch eine künstlerische Abteilung gestaltet. Auch wenn wir heuer nicht die Straße vor der Universität für den Verkehr sperren können, gehen wir in die Stadt und nehmen temporär Raum und Flächen ein. Andere Projekte bespielen Schaufenster, Plakatwände, Baulücken oder lassen die mobile Ausstellung auf Kleinlastern durch die Stadt fahren.

Ihr Konzept umfasst nicht nur eine Erweiterung in den öffentlichen Raum, sondern auch den Rückzug ins Private. Kommt die Jahresausstellung nun auch ins eigene Wohnzimmer?
LK: Ja, im Rahmen des Projekts „Kunst geht nach Hause“ werden Kunstwerke von Studierenden der Abteilung für Malerei und Animationsfilm temporär verliehen, um in privaten Haushalten einen neuen Kontext zu erfahren. Ganz im Sinne von: Wenn die BesucherInnen nicht zu uns kommen, kommen unsere Kunstwerke zu ihnen. Und die Angewandte kommt zu den Studierenden, Lehrenden, den MitarbeiterInnen und dem Publikum auch per Post, Zeitungsbeilagen und Video-Streams.

Fotografie eines Salattellers mit Insekten mit dem Titel Overcoming Disgust von Studierenden der Abteilung Industrial Design 2 von Barbara Katarzyna Ejds, Claudia Montalvo, Leo Mühlfeld und Paul Mairböck.

Overcoming Disgust – Studierende der Abteilung Industrial Design 2 (Barbara Katarzyna Ejds, Claudia Montalvo, Leo Mühlfeld, Paul Mairböck), 2020.   Foto: Universität für angewandte Kunst Wien.

Wie reagieren die Studierenden auf die alternativen Ausstellungswege? Halten Sie das neue Format für zukunftsweisend?
EMS: Es gibt ja bereits eine Reihe von digitalen Plattformen, die für unterschiedliche Formen der Präsentation genutzt werden. Die Ausstellung hat kein analoges Alleinstellungsmerkmal. Zukunftsweisend sind vielleicht die Art und Weise der Kommunikation von Ausstellungen, die Verknüpfung von Zeit und Raum, von Grenzen und Nationen in Bezug auf Live-Ereignisse.
LK: Die Zeit und die veränderten Umstände werden Spuren hinterlassen, im Umgang mit Mobilität, in der künstlerischen Auseinandersetzung und im sozialpolitischen Handeln.

WANN: Das Angewandte Festival findet von Dienstag bis Freitag, 23. bis 26. Juni 2020, statt.
WO: Im virtuellen Raum unter www.angewandtefestival.at und verteilt über den öffentlichen Stadtraum in Wien.

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