Darf Kunst unterhaltsam sein? Roman Signer im Kunsthaus Zürich
7. Mai 2025 • Text von Louisa Behr
Wer sich regelmäßig Kunst anschaut, wird über die Missstände der Welt in Kenntnis gesetzt. Immer und immer wieder. Muss Kunst mutmaßlich bereits Aufgerüttelte ununterbrochen weiter aufrütteln? Oder darf sie auch einfach unterhaltsam sein? Roman Signers Ausstellung im Kunsthaus Zürich ist das perfekte Beispiel für ein freudvolles Erleben von Kunst ohne Erkenntnisgewinn.

Wir leben in schwierigen Zeiten. Das muss in der Kunstwelt derzeit in jedem Kontext erwähnt werden, so scheint es – jedenfalls in einem Nebensatz. Wohin man schaut, überall werden die Krisen der Gegenwart thematisiert: in Ausstellungs- und Wandtexten, in Pressemitteilungen und redaktionellen Beiträgen. Fast wirkt es, als müsse man das tun – ja, als würde man andernfalls ausgeschlossen aus dem sich für sein politisches Engagement auf die Schulter klopfenden Kreis. Ich würde allerdings behaupten, dass sich die Lesenden besagter Texte der Missstände mehr als bewusst sind. Wem hilft der ständige Hinweis darauf? Oder handelt es sich hierbei nicht viel eher um eine Art Ego-Streicheln?
Ich möchte keinesfalls das politische Engagement von Kunstschaffenden schmälern, auch ich verarbeite meinen Weltschmerz in Texten. Ich frage mich lediglich, ob eine Ausstellung eigentlich auch einfach nur unterhaltsam sein darf? Einmal kurz raus aus der ständigen Wut und dem unaufhörlichen Grübeln! Kunst erleben – um der Unterhaltung willen. Das könnte durchaus auch politisch sein: ein Akt prinzipieller Verweigerung von Zeigefinger-Content und stattdessen was Schönes fürs Auge ausstellen.
Zugegeben, es klingt, als hätte diesen Text ein Anti-Wokeness-Boomer geschrieben. Nun, das bin ich beileibe nicht. Ich möchte nur die Möglichkeit von Kunst als Entertainment in den Ring werfen. Erinnern wir uns nicht alle noch an Erwin Wurms Skulpturen im österreichischen Pavillon auf der Venedig Biennale 2017? Oder an Rudolf Stingel 2019 in der Fondation Beyeler? War das nicht gut – wenn auch inhaltlich dünn?

Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Während ich diese Zeilen tippe, bemerke ich den Fehler: Es handelt sich bei meinen Beispielen ausnahmslos um über 60-jährige, weiße Männer. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum ich den tieferen Sinn abseits der Selbstreferenzialität à la „Schaut, was ich kann“ und dem Unterhaltungswert nicht ausmachen kann. Wie viele strukturellen Steine wurden diesen Künstlern, die im florierenden westlichen Patriarchat arbeiten, schon in den Weg gelegt?
Zu meinen Überlegungen inspiriert hat mich die Ausstellung „Landschaft“ von Roman Signer im Kunsthaus Zürich – ebenfalls Ü60, ebenfalls weiß. Seine Werke spielen mit gewohnten Perspektiven und stellen sie infrage. Er inszeniert alltägliche Objekte in atemberaubenden Landschaften, baut experimentelle Gerätschaften, beispielsweise einen Stuhl mit Düsenantrieb, oder zerlegt ein Kanu in einzelne Teile, um diese im Ausstellungsraum neu anzuordnen.
Signers erweiterter Skulpturenbegriff um die Dimension der Zeitlichkeit führt zu unterhaltsamen Werken. Elemente aus der Natur wie Wasser, Feuer und Wind spielen eine Rolle, wenn er beispielsweise einen Tisch durchs Eismeer gleiten lässt. Das Kunsthaus Zürich besingt die Neugier und Experimentierfreude des Künstlers. In seinen Werken habe Signer die Ordnung der Welt auf den Kopf gestellt, heißt es im Ausstellungstext. So weit würde ich persönlich nicht gehen, aber das Experimentieren mit Perspektiven in Signers Werk macht durchaus Freude, auch wenn ich die Ausstellung ohne beachtlichen Erkenntnisgewinn über die Verfasstheit der Welt verlasse.

Signers Werk transportiert wie das von Wurm oder Stingel etwas Freudvolles und zeigt die Neugier der Künstler am Material, an Perspektiven und am Experimentieren. Diese Herangehensweise als künstlerisches Genre dürfte sicherlich diverser besetzt sein, was wieder zu Fragen führt wie „Dürfen nur alte weiße Männer einfach Spaß haben und dieser Spaß im Museum ausgestellt sein?“. Theoretisch nicht, aber realistisch gesehen führen strukturelle Bedingungen und die Selbstverständlichkeit des weißen cis-heteromännlichen In-der-Welt-Seins irgendwie doch dazu.
Für den Audioguide zur Ausstellung hat Signer einige seiner Werke kommentiert, wie beispielsweise den abhebenden Stuhl: „Also das ist ein Turbinenstuhl. Da kann ich hineinsitzen, das sind richtige Turbinen mit je 40 Kilogramm Schubkraft. Also zusammen 80 Kilogramm. Kerosin. Ich bin halt reingesessen und dann bin ich also hochgegangen.“. Ihm zuzuhören, ist unterhaltsam. „Das perfekte Dinner“ auf Vox schauen übrigens auch. Und ich finde, das ist total OK.
WANN: Die Ausstellung “Landschaft” von Roman Singer läuft bis zum 17. August.
WO: Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1/5, 8001 Zürich.