Anwesenheit durch Abwesenheit "Nosy Neighbours" von Daniel Stubenvoll bei zqm
12. August 2024 • Text von Carolin Kralapp
In “Nosy Neighbours” im zqm reflektiert Daniel Stubenvoll sowohl den Ausstellungsraum als auch die Idee des architektonischen Modells. Die In-Situ-Lichtinstallationen, Wandskulpturen und Fotografien verfolgen philosophische und soziopolitische Ansätze mit dystopischen Tendenzen: Wie zugänglich ist Architektur und welche Rolle spielt der Mensch dabei? Ist eine Welt ohne Architektur für Menschen überhaupt vorstellbar? Ein großes Gedankenexperiment auf kleinem Raum.
Im Hinterhof eines zunächst unscheinbaren Wohnhauses in Berlin-Friedrichshain verbirgt sich im Seitenflügel des ersten Obergeschosses zqm. Der Name ist Programm: Auf zwanzig Quadratmetern präsentiert der Projektraum sein wechselndes Programm. Der Raum spielt für die dort gezeigte Kunst eine essentielle Rolle; die Künstler*innen reagieren meist auf ihn oder arbeiten bewusst mit ihm. Das Haus ist in die Jahre gekommen, und der Hausflur hinauf zum zqm wirkt etwas unheimlich: Der Putz blättert von den Wänden, ein markanter Geruch steigt in die Nase, und keine Menschenseele ist in Sicht – die menschliche Präsenz trotzdem noch spürbar.
Die aktuelle Ausstellung “Nosy Neighbours” – sinngemäß “neugierige Nachbarn” – von Daniel Stubenvoll thematisiert ein ähnliches Phänomen. Auf den ersten Blick erscheint sie wie eine Werkschau im White Cube, der keine Hinweise auf die Zeit und Umgebung gibt und kein natürliches Licht hineinlässt. Doch die Ausstellung beginnt bereits im kleinen Flur, der zum Hauptraum führt. Die Lichtinstallation “Interim Lamp” hängt in einer Wandnische oberhalb von Treppenstufen, die in die Wand und damit ins Nichts führen. Sie taucht die Eingangssituation in ein sattes Violett. Die Installation besteht aus Metallstreben, die sich in der Ausstellung mehrfach wiederfinden.
Stubenvoll liefert zur Ausstellung “Nosy Neighbours” nicht nur die Exponate, sondern auch eine eigene Geschichte in einem Artist Zine mit dem Titel “WORLF”, die sich damit auseinandersetzt, ob und wie eine Welt ohne Architektur für Menschen denkbar wäre. In der Geschichte bezieht sich der Künstler unter anderem auf den Science-Fiction-Film “The Langoliers” von 1995, in dem Wesen auftauchen, die der Zeit vorauseilen und die Welt verschlingen. Eine Gruppe von Flugzeugreisenden landet genau in diesem dystopischen Moment der allmählichen Auflösung von Welt und Materie und versucht, ihrem Schicksal zu entkommen. Diese Geschichte lässt sich in der Ausstellung als übergeordneten Untersuchungspunkt verstehen, welcher die Arbeiten umrahmt.
Vorbei an der ersten Installation verändert sich die Lichtstimmung drastisch zu einem grell-weißen, unnatürlichen Licht. Auf dem Boden befindet sich eine zweite Lichtarbeit. Diese Installationen bilden das verbindende Element zwischen dem Ausstellungsraum und den weiteren Werkgruppen. Auch die Metallstreben spielen eine verbindende Rolle: Fünf unregelmäßig verteilte Metallstreben, die mit dickem Pinselstrich weiß übermalt wurden, gliedern die Wände und damit die Präsentationsflächen der “Entity Logs” – kleine skulpturale Wandobjekte aus Messing, Holz, Ton oder Fußmattenfasern, die dem Raum einen Hauch von Leben und Natur verleihen und an ein Draußen erinnern. Die filigranen Bauelemente an den Wänden sind essenziell für das Einsetzen von Rigipsplatten und somit auch für das Entstehen von Architekturen. Auch die Wandskulpturen fügen sich zu Mikroarchitekturen zusammen und fordern die Besucher*innen dazu auf, nah an sie heranzutreten, um sie vollständig zu erfassen.
Die übermalten Metallstreben sind nicht als eigenständiges Werk zu verstehen, unterstreichen jedoch das Modellhafte der Ausstellung und erzeugen kraftvolle Gegensätze: Einerseits unterteilen sie den Raum, brechen mit der Ordnung und schaffen neue Bereiche in dem ohnehin schon kleinen Raum. Andererseits verbinden sie die Objekte aufgrund ihrer Materialität miteinander und halten das Gefüge, auch visuell, zusammen. Die pastosen, intuitiven Pinselstriche lassen sich zudem wie Spuren lesen, die von menschlicher Präsenz zeugen.
Den “Entity Logs” gegenüber hängen drei fotografische Arbeiten mit dem Titel “Colour Edge”. Sie zeigen einen Drucker aus unterschiedlichen Perspektiven und rufen Assoziationen zu einem Bürogebäude hervor – jedoch ist auch hier kein Mensch zu sehen. Visuell fügen sich die kleinformatigen Arbeiten in das Gesamtgefüge ein: Die Lichtinstallation auf dem Boden könnte Bestandteil eines Druckers sein, und das kalt-weiße Licht, das von ihr ausgeht, könnte ebenso aus dem Drucker stammen. Das Violett der Installation im Eingangsbereich findet sich wiederum auf den Fotografien wieder.
Die Ausstellung zeigt deutlich das Interesse des Künstlers am psychologischen Moment, in dem sich Menschen in einer Welt wiederfinden, in der sie sich nicht gesehen fühlen, und hinterfragt die Bedeutung dieses Erlebens. Wie relevant ist es noch, sich gesehen zu fühlen, wenn alles um einen herum verschwindet, wenn es keinen Raum mehr gibt, den Menschen nutzen können? In seinen Arbeiten verhandelt er die Zugänglichkeit und Machtverteilung von und durch Architektur mithilfe unterschiedlicher Medien und Formate, die theoretisch unendlich weitergeführt werden könnten.
Stubenvoll thematisiert die Beziehung zwischen Architektur und Menschsein. Obwohl in seiner Kunst keine Menschen direkt dargestellt werden, sind ihre Spuren dennoch präsent – wie Relikte aus einer vergangenen, unbekannten Ära. Die Ausstellung “Nosy Neighbours” lädt die Besucher*innen ein, über die Rolle von Architektur und Menschsein in einer sich auflösenden Welt nachzudenken. Dabei gelingt es Stubenvoll, ein Gefühl von Anwesenheit durch bewusste Abwesenheit zu evozieren und gleichzeitig gezielt auf den ungewöhnlichen Ausstellungsraum zu reagieren.
WANN: Die Ausstellung “Nosy Neighbours” läuft noch bis Freitag, den 23. August, und kann nach Vereinbarung via mail@zqmberlin.org besichtigt werden. Die öffentliche Finissage findet am 23. August von 17 bis 21 Uhr statt, bei der auch eine kleine Kunstbuchmesse veranstaltet wird.
WO: zqm, Petersburger Straße 73, Seitenflügel 1. Stock , 10249 Berlin.