Wenn der Schrank lebendig wird
Daniel Dewar und Grégory Gicquel bei Jan Kaps

30. November 2022 • Text von

In der Galerie Jan Kaps besitzen die Möbel Zehen, Köpfe, Brustkörper, als ob Menschen, Tiere darin eingeschlossen wären, eins mit dem Eichenholz geworden sind. Ein faszinierender Grusel, wenn vor dem Auge aus hölzerner Struktur menschliche Gliedmaßen und Tierkörper wuchern, sich schichten, reifen zu verwunschenen Zwiewesen. Wen würde es wundern, wenn die seltsamen Möbelstücke des Künstlerduos Daniel Dewar und Grégory Gicquel sich plötzlich bewegen, sobald sie unbeobachtet sind?

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Daniel Dewar & Grégory Gicquel, Oak cabinet with giant Flanders rabbit and feet, 2022, oak wood, 103.5 x 120 x 60.5 cm, photo: Simon Vogel, courtesy: the artists and Jan Kaps, Cologne.

Manchmal tief in der Stille hört man die Dinge, das Mobiliar in der Wohnung beinah atmen. Wer kennt es nicht? Je länger die Möbelstücke angestarrt werden, desto mehr meint man, ein Heben und Senken auszumachen, den kurzen Moment, wenn die Luft im Brustkorb stumm verharrt. Ähnlich geht es den Besuchenden der Kölner Galerie Jan Kaps, wenn die ausgestellten Gegenstände im Licht zu schlafen scheinen und erst nachts erwachen, sobald sie unbeobachtet sind. Sie dann geheimnisvoll murmeln, knarzen, sich in Träume schleichen, ein Eigenleben führen, wenn die Welt im Dunkel begriffen ist.

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Daniel Dewar & Grégory Gicquel, Oiled Oak Bodies and Cinnabar Stitches, 2022, Jan Kaps, Cologne, installation view, photo: Simon Vogel, courtesy: the artists and Jan Kaps, Cologne.

An jedem Tag leben wir mit unseren Möbeln zusammen, den stummen Zaungästen, die uns räumlich so nah wie Familienmitglieder sind. Immerzu besehen wir sie und doch rücken sie in den Hintergrund, sind nach langer Zeit am gleichen Ort nicht mehr präsent. Manchmal sind sie Freunde, welche die Leere einer dunklen Wohnung füllen und manchmal wachsen sie bis unter die Decke, scheinen uns erschlagen zu wollen mit ihrer ungebrochenen Anwesenheit. Das schwere Eichenholz wird dann lebendig, sodass die Besitzenden dazwischen umherwandern können wie in einem verwunschenen Märchenwald. Was lauert wohl im Innern, wenn der Schrank geöffnet wird? Ob die Besitzenden es ihren Möbeln gleichtun und sich öffnen in diesem Moment?

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Daniel Dewar & Grégory Gicquel, Oak bench with swallowtail butterflies, mallow flowers and snails, 2022, oak wood, embroidery on cushion, 60 x 148 x 68 cm, photo: Simon Vogel, courtesy: the artists and Jan Kaps, Cologne.

Es ist die dritte Ausstellung des britisch-französischen Duos Daniel Dewar und Grégory Gicquel in der Galerie Jan Kaps. In “Oiled Oak Bodies and Cinnabar Stitches” präsentieren die beiden Künstler neue Werke, die sich irgendwo zwischen Gebrauchsmöbeln und autonomen Kunstwerken verorten lassen, gleichsam beides sind. Fünf Bänke zum Beispiel, die zum Träumen einladen, wenn Schnecken sich aus dem Holz regen, es überwuchern und mit ihren muschelartigen Gehäusen wie Voluten zieren. Maschinell genähte Kissen zeigen dekorative Blumen und Schmetterlinge in Reih und Glied, deren Blütenblätter und Flügel aus bunten Stichen flackern, als würden sie draußen vom Wind umspielt. All diese seltsamen Dinge sind funktional, aber scheinbar nach Bauplänen aus Märchenbüchern konstruiert.

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Daniel Dewar & Grégory Gicquel, Embroidered quilt with swallowtail caterpillars and butterflies, 22 punctata beetles, poppy flowers and sewing machines, 2022, embroidery on linen, cotton batting, 186 x 237 x 7 cm, photo: Simon Vogel, courtesy: the artists and Jan Kaps, Cologne.

Staunend lässt sich die handwerkliche Technik des Künstlerduos betrachten, ihr Umgang mit dem Material, wenn sie der Maserung wertschätzend folgen, die Zehen sich übereinanderlegen wie das Fell des flandrischen Riesenkaninchens, das man ebenso respektvoll in eine Richtung nur streicheln darf. Die Wände des White Cubes werden von vier Quilts bedeckt, die geometrische Muster auf grünem Leinen zeigen, aber auch Schmetterlinge, Nähmaschinen, Sicherheitsschuhe, welche als eine Art Bild im Bild die vermeintliche Trennung zwischen Kunst und Handarbeit thematisieren. Die Galerieräume verwandeln sich so in ein Kuriositätenkabinett, werden zu Wunderkammern oder Zauberbuden. Profan scheint alles, was Besuchende verstauen würden – und doch auch nicht, wenn es vom Schrank verdaut, im Innern ebenso lebendig, sich zum Teil der Eingeweide formt. Bekommen die Besitzenden ihre Dinge vom Schrank zurück oder sind sie für immer darin verschluckt?

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Daniel Dewar & Grégory Gicquel, Oiled Oak Bodies and Cinnabar Stitches, 2022, Jan Kaps, Cologne, installation view, photo: Simon Vogel, courtesy: the artists and Jan Kaps, Cologne.

Alles befindet sich im Prozess: Zinnober-Raupen neben Motten und Schwalbenschwanz-Raupen neben Schmetterlingen erzählen von Metamorphose, wenn alles in einem sich ständig wiederholenden Werden begriffen ist. Visuelle Analogien veränderten in der Frühen Neuzeit die Auffassung von Natur, führten zum Verständnis der Eigenschaften von Pflanzen, bereicherten die Medizin. Daniel Dewar und Grégory Gicquel stehen in dieser Tradition, wenn sie die Natur ergründen, sie als dem Menschen nicht untertänig, sondern ebenbürtig ansehen. Grenzen lösen sich auf, werden unscharf, sobald der Mensch nicht mehr im Zentrum allen Seins steht. Vielleicht eine Chance zurückzugelangen zu einem so wichtigen Einklang mit der Natur? Das menschliche Wissen in Rückbesinnung zu revolutionieren?

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Daniel Dewar & Grégory Gicquel, Oiled Oak Bodies and Cinnabar Stitches, 2022, Jan Kaps, Cologne, installation view, photo: Simon Vogel, courtesy: the artists and Jan Kaps, Cologne.

Menschen und Tiere sind im Holz wie in Bernstein eingeschlossen. Vielleicht sind es Vorbesitzende, die mit ihren Dingen bereits verschmolzen sind? Wer weiß schon, wie lange so manche Möbel existieren – auch noch, wenn ihre ursprünglichen Besitzenden längst vergangen sind. Überall sprießen Muster in bunten Farben, die trotzdem etwas schwer Ahnendes in sich tragen. Denn es scheint, als könnten die Schnecken jederzeit von ihren festgefügten Plätzen fliehen und über die erschrocken liderlosen Augen der Träumenden kriechen. Vielleicht sind es aber auch weder Menschen noch Tiere, sondern vielmehr für sich stehende, hybride Zwiewesen, in denen sich menschliche und tierische Anmutungen vereinen, um das private Refugium der Wohnräume zu infiltrieren. All diese heimlichen Fabelwesen, die tatsächlich aus geölten Eichenholzkörpern und Zinnoberstichen existieren, als würde man im Fiebertraum fantasieren – und doch auch nicht.

WANN: Die Ausstellung “Oiled Oak Bodies and Cinnabar Stitches” läuft noch bis Samstag, den 21. Januar 2023.
WO: Jan Kaps, Lindenstraße 2, 50674 Köln.

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