In Erinnerung an Dan Lie bei Barbara Wien
18. Juni 2024 • Text von Katrin Krumm
Dan Lies Werke befinden sich in einem kontinuierlichen Wandel. Mit “Remains Remembering” bei Barbara Wien werden aus ehemals raumgreifenden Installationen immer wieder Einzelteile entnommen und neu präsentiert. Damit schafft Lie einen Gegenentwurf zum binären Denken in der Auseinandersetzung mit Leben und Tod – der auch im Werkbegriff fortgeführt wird.
An der Wand, als auch in der Mitte der Ausstellungsräume befinden sich sorgfältig umsäumte Stoffe in Gelbtönen, in wechselnden Größen und Konstellationen. Sie sind über feine Holzstäbe drapiert oder werden von hängenden, naturfarbenen Baumwollbahnen getragen. An einigen Stellen sind getrocknete Blumen angebracht: gelbe und weiße Chrysanthemen, Lavendel; an anderer Stelle ist ein Hanfseil aufgedreht an einem Stück Stoff. Auf dem Boden liegt ein Keramikgefäß, das von dicken, geknoteten Seilen umschlungen ist.
Durch das Zusammenspiel von Materialien, dem Einsatz von Blumengestecken und der Drapierung der Stoffe wirkt es, als ob man in “Remains Remembering” von Dan Lie bei Barbara Wien eine Gedenkstätte betritt.
Sorgsam umkreist dieser Ort einst da gewesene Körper, deren Existenz durch Stofflichkeit erinnert wird. Für die Arbeit “Untitled” nutzt Lie “Sambe”, ein Hanfstoff, der im Rahmen traditioneller südkoreanischer Beisetzungen verwendet wird. Aus dem Material werden sowohl Todeskleider für die Verstorbenen hergestellt, als auch Kleidung für die Hinterbliebenen. Das Werk entstand im Rahmen einer intensiven Auseinandersetzung mit Trauerritualen, die Lie für die Einzelausstellung “36 Months of Loss” in Seoul durchführte. Der Titel der Ausstellung bezieht sich sowohl auf die traditionell dreijährige Trauerperiode, als auch auf den dritten Jahrestag des Todes von Lies Vater.
Genauso wie auch die Trauer ein Prozess aus gegensätzlichen Kräften ist, entfernt Lie immer wieder Einzelteile größerer Installationen und präsentiert sie in veränderter Art und Weise. Einzelne Elemente von “Untitled” waren bereits Teil der Geneva Biennale – Sculpture Garden 2022, wovon dunkle Rückstände im gelb eingefärbten Stoff zeugen: Sie weisen auf den Kontakt mit der Rinde eines Mammutbaums hin.
Nichts ist von ewiger Dauer in Lies Praxis, so werden auch die mit Kurkuma eingefärbten Stoffe mit der Zeit verblassen und den Blick auf die ursprüngliche Farbe des Stoffs freigeben. Es ist eine mutige, sowie dem Denken über Kunst zuträgliche These, die Lie immer wieder physisch in den Raum stellt: Was ist, wenn Autor*innenschaft in der Kunst anders betrachtet wird? Wie sieht Kunst aus, in der sich die kunstschaffende Person vielmehr als Begleitung eines sich stets im Wandel befindenden Kunstwerks positioniert?
Lie geht dabei von einem offenen Werkbegriff aus, der sich aufgeschlossen für Veränderung zeigt, wie beispielsweise durch das Miteinbeziehen von Pilzkulturen, Bakterien oder biochemischen Vorgängen. Bestimmt durch die Grundannahme, dass ein Weiterleben immer wieder Transformation bedarf, begrüßt Lie sowohl Wachstum als auch Zerfall als integralen Bestandteil der Werke. Dies wird innerhalb der Ausstellung auch in den Malereien fortgetragen: Vor den pastellfarbenen, weichen Hintergründen finden sich Einzelteile der Rauminstallationen als figurative, skizzenartige Elemente wieder. So entsteht nach und nach ein Werkkomplex, in dem alles miteinander zusammenhängt.
Zentral ist auch die Beobachtung von Rahmenbedingungen, unter denen Gemeinschaft stattfindet – eine Rolle, in der sich Lie bereits in São Paolo in der künstlerischen Beteiligung an verschiedenen Events wiederfand, für die Lie ortsspezifische Rauminstallationen entwickelte.
In “Remains Remembering” führt Lie Regie in einer Zeremonie, die sowohl Lebendiges als auch Totes vereint. Es ist, als ob Lie eine Bühne für kleinste Mikrokosmen kreiert, in denen die Rahmenbedingungen mit einer unsichtbaren Zeitschaltuhr festgesetzt werden. Diese zeitlich festgelegte Begleitung der Szenen, sowie den ihnen inhärenten Materialien hat eine rituelle Qualität, wie sie auch in der Verarbeitung von Trauer und Verlust enthalten ist. Lies Praxis dezentriert den Menschen als ausführendes Subjekt und schließlich auch die kunstschaffende Person. Dies schafft sie, indem sie ihr sowohl alternative Rollen vorschlägt, als auch nicht-menschliche Lebensformen zur Kollaboration einlädt.
WANN: Die Ausstellung “Remains Remembering” läuft bis Samstag, den 24. August.
WO: Barbara Wien, Schöneberger Ufer 65, 10785 Berlin.