Colere
Über Mensch-Umwelt-Verhältnisse im Bethanien

16. April 2018 • Text von

Im Bethanien verhandeln seit Freitag 16 Künstler*innen den Einfluss von Mensch und Ökonomie auf unsere Umwelt und formulieren Fragen nach Verantwortlichkeit: Eindrücklich, humorvoll und zum Teil sogar unheimlich.

Madison Bycroft, In Praise of Ignorance: Taxonomy Table, 2016, installation view Westfälischer Kunstverein, Photo: Thorsten Arendt, Courtesy the artist

Das Wort „Kultur“ kommt von dem lateinischen Verb „colere“, das unter anderem den Zustand der Dominanz der Menschen über Tiere und Natur beschreibt. Übersetzt bedeutet es „bewahren, pflegen und beherrschen“ und bezeichnet damit  die Dualität von Herrschaft, nämlich nicht nur über das Beherrschte zu verfügen, sondern auch Verantwortung für dessen Fortbestehen zu tragen. Die aktuelle Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg/ Bethanien widmet sich unter dem vielschichtigen Titel „Capitalo, Chthulu and a much hotter compost pile“ dem Verhältnis von Mensch und Umwelt in einer globalisierten Welt. In einem komplexen theoretischen Bezugsrahmen werden 16 künstlerische Positionen ausgestellt, die sich mit der Verantwortung der Menschen an der irreversiblen Mutation des Klimas und der Bewohnbarkeit des Planeten Erde beschäftigen.
Die Künstler*innen der Ausstellung bedienen sich verschiedenen Formen der kreativen Aneignung von wissenschaftlichen Fakten, öko-politischen Zusammenhängen und populären Bildern. Oftmals steht die Übertragung von Wissen aus anderen Kontexten in den Ausstellungsraum in Mittelpunkt der Auseinandersetzung.

So fertigt Michael E. Smith zwei Vinyl-Renderings von Hundeköpfen basierend auf Computertomografien des Tierkopfes an, die er auf dem Boden des Ausstellungsraums platziert. Während auf formaler Ebene zeitgenössische Bildtechniken, wie die zirkuläre Übertragung vom Organischen ins Digitale und vice versa, der Arbeit eine skulpturale Präsenz und gleichzeitig eine technische Undefiniertheit verleihen, wird die mediale Reflexion um die Realität von Versuchstieren in Laboratorien und der Erweiterung von Humanmedizin auf nicht-menschliche Spezies erweitert.

Michael E. Smith, Untitled (still), 2016, Courtesy the artist and KOW, Berlin.

Tue Greenfort verwendet in „Horeshoe Crab, Companion Species YOUTUBE Series I“ Found Footage von Youtube und anderen Plattformen, auf denen sich Tourist*innen mit Pfeilschwanzkrebsen am Stand und in künstlichen Umgebungen in Videos zur Schau stellen. Der Pfeilschanzkrebs ist ein Gliederfüßler, ein Wirbeltier, dessen Form – Außenskelett, segmentierter Körper – seit fast 500 Millionen Jahren unverändert ist und der deshalb als lebendes Fossil bezeichnet wird. Zwischen wissenschaftlicher Faszination, finanziellen Interessen der Biomedizin und Touristenattraktion werden die kleinen krebsartigen Tiere hochgehoben, angefasst, erschrocken fallen gelassen und als historisch-wissenschaftliches Artefakt zu einem lebendigen Status- und Repräsentationsobjekt. Die reale Aneignung von Wissen durch die Anatomie des Tieres, die Aneignung seines blaufarbenen Bluts durch die Medizin findet ihre Spiegelung in der Aneignung der Videos mit Pfeilschwanzkreben durch den Künstler.

Ana Alenso, Fake Supply (detail), 2016, installation view Addaya Centro de Arte, Courtesy the artist.

Auch Bram Kuypers überträgt nicht-künstlerische Objekte in den Ausstellungsraum, um das Publikum zu einer emotionalen Reaktion angesichts normalerweise nicht-sichtbarerer Realität zu verleiten. Im Bethanien hat er den Holzboden eines Geflügelstalls installiert. In einem abgedunkelten Raum stolpert man über den unebene Boden, die Spuren des früheren Gebrauchs des Holzgitters liegen in der Luft. Die An- und Abwesenheit von Leben, einerseits in einem biologischen Überlebenssinn, andererseits in der Frage nach einem würdevollen Leben für Nutztiere, findet in „The Road to Success“ eine gleichermaßen einprägsame wie einfache Form.

Das eindrücklichste Werk der Ausstellung ist der von Anne Duk Hee Jordan gestaltete Raum. Im Halbdunkel sind links und rechts zwei Videos zu sehen: Auf der einen Seite ein Zusammenschnitt von Interviews mit Meeresbiologen, die über Kopfhörer angehört werden können, auf der anderen Seite eine Videoarbeit über Fischerotik, wandfüllend projiziert. Auf drei Sockeln stehen Mobile-artige Skulpturen, die sich um sich selbst drehen und in regelmäßigen Abständen Steine und Fossilien an Metallstangen befestigt klangvoll aufeinanderschlagen lassen. Über den Teppichboden bewegt sich die „Robotic Waste Crab“, im Raum verstreut liegen leere Dosen und anderer Müll. Die mechanische Krabbe sammelt den fiktiven Abfall aus den Ozeanen auf und frisst ihn. Das Klirren ihrer Beine, das Drehen ihrer mechanischen Augen und das spinnenartige Fortbewegen über den Boden hält die Betrachter*in auf Distanz. Zwischen der organischen, farbenfrohen Schönheit der projizierten Bilder, der mechanischen Unheimlichkeit des Cyborgs und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Leben unter Wasser und der Verschmutzung der Gewässer, entsteht ein eindrücklicher Erfahrungsraum über die Realitäten unter der (Meeres-)Oberfläche.

Marta Leite: Myriad, 2011-2018. Courtesy of the artist.

Diese verschiedenen Formen der kreativen Aneignung von nicht-künstlerischen Bildern, Wissen und Praktiken sind nicht nur symptomatisch für die zeitgenössische Kunstproduktion, sondern entsprechen per se auch der übergeordneten Fragestellung der Ausstellung. So werden die Begriffe „Anthropozän“, eine neue geologische Epoche, die sich durch die erheblichen Auswirkungen menschlichen Handelns auf die biosphärische Stabilität der Erde auszeichnet, sowie „Kapitalozän“, die demselben Zustand hauptsächlich dem fehlenden strukturellen Verantwortungsbewusstsein multinationaler Konzerne und neoliberaler Finanzeliten zuschreibt, gegeneinander gestellt. Indem die ausgestellten Arbeiten immer wieder die Zugehörigkeit ihrer Bilder und Themen zu verschiedenen Kontexten hinterfragen beziehungsweise durchbrechen wird der Unübersichtlichkeit und Uneindeutigkeit der globale Verantwortung am Klimawandel und einer Veränderung der Lebensbedingungen auf dem Planeten in ihrer Komplexität dargestellt.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis zum 10. Juni 2018 und ist täglich von 11 bis 20 Uhr geöffnet.
WO: Kunstraum Kreuzberg/ Bethanien, Mariannenplatz 2, 10997 Berlin. Weitere Infos, auch zum umfangreichen Begleitprogramm findet ihr hier.

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