Warum hast du einen Bart?
Cihan Cakmak und Moshtari Hilal in der Basis

31. Juli 2022 • Text von

Haare, aber nicht hässlich. Eine Pose, nicht unbedingt männlich. Cihan Cakmak und Moshtari Hilal inszenieren sich jenseits dessen, was zur Norm erhoben wurde. Beim Besuch der Ausstellung „Selbstähnlich“ in der Basis erinnert sich unsere Autorin an kindlichen Schmerz – sie verlässt sie gestärkt.

Selbstaehnlich. Cihan Cakmak & Moshtari Hilal, installation view basis e.V., Courtesy the artists, Foto Bernd Euring, © basis e.V. (Raum 1.1).

Ich sitze im Badezimmer und bin verzweifelt. Es ist 2007, ich bin in der siebten Klasse und morgen muss ich ungewollt wegen eines Klassenausfluges ins Freibad. Ich habe Angst und mir kommen die Tränen. Ich muss jetzt auf der Stelle was gegen meine dunkle Behaarung machen, denkt mein 13-Jähriges Ich. Also greife ich zum Rasierer und rasiere meinen ganzen Körper: mein Gesicht, mein Hals, meine Brüste, mein Bauch, mein Rücken (so gut es geht), meine Beine und meine Füße.

Ich habe meinen Haaren, meinem Körper den Kampf angesagt. Ich bin fremdbestimmt und mein Selbst lehne ich ab. Die Angst, von den Jungs aus der Klasse „entdeckt“ zu werden, ist zu groß – wie schon im Klassenzimmer, als sie mich auslachten und zu mir sagten: „Warum hast du einen Bart?“.

Selbstaehnlich. Cihan Cakmak & Moshtari Hilal, installation view basis e.V., Courtesy the artists, Foto Bernd Euring, © basis e.V. (Raum 1, Detail)

Frankfurt am Main. Es ist 2022 und ich gehe in die Ausstellung „Selbstähnlich“ von Cihan Cakmak und Moshtari Hilal in der Basis. Oder sollte ich sagen: Ich fühle durch die Ausstellung?

Ich stehe einem Selbstportrait von Hilal gegenüber: Jedes Haar im Gesicht wurde unter die Lupe gelegt und hat sich als selbstbewusster schwarzer Strich auf hellem Papier emanzipiert. Zwischen Panikattacke und erlösender Bewunderung betrachte ich jeden einzelnen Strich, den die Künstlerin mit minutiöser Sorgfalt gezeichnet hat, doch werden Haare am Körper mich für immer nervös machen.

Moshtari Hilal: Eine Berührung in Kleidern, 2020. Copyright the artist. // Moshtari Hilal: Modar, 2022. Copyright the artist.

Die moderne Ästhetik des Glatten weicht hier einer unrasierten Ästhetik, die keine Hässlichkeit kennt und Haare nicht als unhygienisch und unzivilisiert sterilisiert. Vermeintlich westliche Schönheitsstandards werden zerschmettert. Hilals Profil lenkt die Aufmerksamkeit nicht nur auf ihre Haare, sondern auch auf ihre Nase. Weiblich und männlich gelesene Merkmale sind fluide und lösen sich letztlich auf und ich bewundere das Selbstverständnis der Künstlerin. Mein Panikzustand wechselt in einen neugierigen und zuversichtlichen Modus. 

Die Auflösung von Identität und Aneignung von Identitäten ist in den Selbst-Portraits von Cakmak zu spüren. Auf einem Teppich liegend schaut sie mit einem stoischen Blick in die Leere. Ihre Körperhaltung ähnelt einer Statue, ihr Blick ist undurchlässig und derb, die Pose wirkt wie anerzogen.

Cihan Cakmak: Frau in Gold mit Lilie, 2019. Copyright the artist.

In einem anderen Selbstportrait verlässt die Künstlerin die männlich gelesene Haltung und schlüpft in ein anderes Selbst, dass zärtlich und verletzlich ist. Ihr Körper bewegt sich von Foto zu Foto, von Identität zu Identität, von Gefühl zu Gefühl. In den verschiedenen Szenerien stülpt Cakmak sich eine andere Hülle über und verwandelt sich. Sie zeigt auf, welche Rollen eingenommen werden und werden müssen, um Rassismus, Klassismus, Sexismus und patriarchale Systeme entschwinden oder überleben zu können.

Ich frage mich, ob meine persönliche Erfahrung in einem Text über die Ausstellung Platz haben sollte oder ob ich die Assoziationsketten nicht doch für mich behalten sollte, da ich nicht von Rassismus betroffen bin. Aber wenn ich nicht fühle, wie kann ich dann etwas verstehen?

Selbstaehnlich. Cihan Cakmak & Moshtari Hilal, installation view basis e.V., Courtesy the artists, Foto Bernd Euring, © basis e.V. (Raum 6).

Sollte es vielleicht heißen:

Wie fühle ich mich, wenn mir Sexismus erfährt? Und nicht: Wie verstehe ich Sexismus?

Wie fühle ich mich, wenn mich Klassismus betrifft? Und nicht: Wie verstehe ich Klassismus?

Wie fühle ich mich, wenn mich patriarchale Systeme unterdrücken? Und nicht: Wie versteh ich patriarchale Systeme?

All diese Fragen werden in der Ausstellung verhandelt, beleuchtetet und das Auslösen diverser Gefühle geht an die Substanz meiner selbst. Damit arbeitet die Ausstellung, man kann sich ihr nicht entziehen. Vielleicht gedanklich, aber nicht emotional.

Ich bediene mich einer stereotypisch weiblich gelesenen Herangehensweise: Ich fühle etwas. Denn Gefühle sind sozial, Gefühle sind vorstellbar, Gefühle sind inkludierend.

WANN: Die Ausstellung „Selbstähnlich“ von Cihan Cakmak und Moshtari Hilal läuft bis Sonntag, den 7. August.
WO: Basis, Gutleutstraße 8-12, 60329 Frankfurt am Main.

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