Bares für Rares
Christoph Büchel in der Fondazione Prada

9. Oktober 2024 • Text von

Im 19. Jahrhundert eröffnete ein venezianisches Pfandhaus im prächtigen Palazzo Ca’ Corner della Regina, der heutigen Fondazione Prada – ein sogenannter Monte di Pietà. Mit seiner gleichnamigen Ausstellung geht Christoph Büchel mit dem Gebäude den Zeitstrahl zurück. Staub und Gepfändetes, anhand dessen sich die großen Fragen der Gesellschaft reflektieren lassen, stapeln sich, werden Mahnmal der Schuldfrage. Wer den Biennale-Endspurt jetzt noch nutzt, sollte diesen Ort nicht auslassen.

8   Fondazione Prada Monte di Pietà Christoph Büchel
PradaInstallation view of “Monte di Pietà” A project by Christoph Büchel Fondazione Prada, Venice Photo: Marco Cappelletti Courtesy: Fondazione Prada.

Der Staub kribbelt in der Nase. Die ersten Schritte in das Halbdunkel des Palazzo Ca’ Corner della Regina wirbeln scheinbar lange liegende Staubkörner auf. Diffuses Licht fällt durch die feingliedrigen Fenster, fällt auf einen Richterhammer, der auf einem Resonanzblock balanciert und vor einem massiven Holzmobiliar vergangene Gerichtsszenen andeutet. Ein kleiner Raum, angeschlossen an die opulente Eingangshalle, birgt Hunderte Madonnen, Christusfiguren, Kreuze, elektrische Kerzen sowie Prothesen, Rollstühle und Krücken bis hoch an die Decke. Ein hallendes Niesen stört die andächtige Stille, die allgemeine Verwirrung. Was ist das hier? 

Mit seiner Ausstellung “Monte di Pietà” dreht Christoph Büchel die Zeit zurück und geht ins Jahr 1834, als der Palazzo Palazzo Ca’ Corner della Regina, die heutige Fondazione Prada, in Besitz des Papstes Pius VII. zur Monte di Pietá, einem Berg der Barmherzigkeit, wurde. Dieser Begriff bezeichnete Pfandhäuser im ganzen Land, die den Armen der Gesellschaft die Möglichkeit boten, sich gegen Abgabe von persönlichen Wertsachen und zu niedrigen Zinsen einen Kredit zu erhalten. Das venezianische Pfandhaus hielt sich immerhin 35 Jahre, andere schlossen schneller, da sich das Kapital, das wohltätigen Spendern zu verdanken war, schnell erschöpfte.

28 27  Fondazione Prada Monte di Pietà Christoph Büchel
Installation view of “Monte di Pietà” A project by Christoph Büchel Fondazione Prada, Venice Photo: Marco Cappelletti Courtesy: Fondazione Prada.

Büchels rekonstruierter “Monte di Pietà” ist bankrott. Der Hammer wurde lange nicht angerührt, der eingelassene Geldautomat ist nicht mehr funktionstüchtig. Feldbetten stehen um die Marmortreppe im Eingangsbereich herum, durch das Glas der Vitrinen sind die Wertsachen kaum noch zu erkennen. Besucher*innen haben Herzen und Buchstaben in den Staub geschrieben. Im Innenhof stapeln sich alte Fahrräder, eine Kasse spuckt einen vergilbten ellenlangen Bon heraus, ein winziger Fernseher flimmert und dröhnt auf einem maroden Schreibtisch. 

Jeder Gegenstand ist inszeniert, als gehörte er jemandem, einer Person oder Familie, die erst Sorgen hatte, dann Schulden und ihn endgültig zurücklassen musste. Die Frage der Schuld ist hier omnipräsent. Kann verzweifelten Menschen geholfen werden, wenn sie dafür im Gegenzug ihr letztes Hemd geben müssen? Macht dieses Konzept, egal in welchem Kontext, nicht immer auch die vermeintlich Helfenden, Barmherzigen zu Schuldigen?

10   Fondazione Prada Monte di Pietà Christoph Büchel
Installation view of “Monte di Pietà” A project by Christoph Büchel Fondazione Prada, Venice Photo: Marco Cappelletti Courtesy: Fondazione Prada

Die weiße Marmortreppe hochschreitend lässt sich das eingelagerte Elend kurz ausblenden. Oben auf einer Balustrade liegen Selfiesticks, auf einer Decke auf dem Boden Taschen, die vortäuschen, Designeraccessoires zu sein. Die Verkäufer*innen sind nicht zu sehen. Vermutlich mussten sie sich schnell verstecken, ihr illegales aus der Not geborenes Geschäft von ihrer Person trennen so gut es eben noch geht. Ironisch, dass Besucher*innen hier oben auf dem schicken Balkon tatsächlich Selfies machen: “Hast du das Deckenfresko mit drauf?” 

Wie sich die kapitalistische Welt hier im staubigen Pfand selbst parodiert, es ist bewegend, es ist unausweichlich. Das Konzept dieser Ausstellung, einen Ort historisch zu reflektieren, ist nicht bahnbrechend, die Umsetzung aber konsequent, wie es mir selten begegnet ist. Und ihre größte Stärke ist die vermeintliche Abwesenheit der Kunst. Kleiderberge, Kloschüsseln und Waschmaschinen stapeln sich bis zur Decke, Bücher so dick und nur 200 Jahre jünger als die Steine der Rialtobrücke. Die monetären Werte der Dinge sind alle verschieden, sie eint der persönliche Wert, dass sie suggerieren einmal jemandem gehört zu haben und die Wertlosigkeit, die ihnen der angedeutete Fakt verleiht, dass sie im Pfandhaus ihre Besitzer*innen verloren haben. 

2   Fondazione Prada Monte di Pietà Christoph Büchel
Installation view of “Monte di Pietà” A project by Christoph Büchel Fondazione Prada, Venice Photo: Marco Cappelletti Courtesy: Fondazione Prada.

Nummeriert sind die wertvollsten Gegenstände im ersten Stock, in Vitrinen, an den Wänden, Kleiderständern, Regalen und auf Schreibtischen. Die Nummer 019 baumelt an einem Heinz-Gurkenglas mit der Aufschrift “Kosher Dill Pickles”. Dieses mit Cent-Münzen gefüllte Glas ist eine Arbeit von Andy Warhol aus dem Jahr 1974. Er schenkte sie seinem Freund Victor Hugo zum Geburtstag. Auf dem Geld-Spar-Glas ist ein Alarm angebracht, der losgeht, sobald es geöffnet wird.

Daneben mit der Nummer 020 das “Trump: The Game”, ein Gesellschaftsspiel, das von der Person gewonnen wird, die am meisten Geld anhäuft. Unzähligen Holzschlitten, Rettungswesten und Koffern haftet das Thema der Bewegung an, ob aus Spaß einen Berg herunter oder aus der Not heraus in ein anderes Land. Der Gedanke daran, dass die Rettungsweste jemandes wertvollster Gegenstand war oder ist bedrückt und klatscht einem im Gegenüber von Sparschwein oder Trump-Spiel die bedrohlichen Auswirkungen unserer kapitalistischen Realität ins Gesicht.

Über einem unordentlichen Schreibtisch mit flachem Computerbildschirm hängt ein Porträt der Königen Caterina Cornaro von Zypern als Heilige Katharina von Alexandrien, gemalt von Tiziano Vece im Jahr 1542. Auf einem anderen Schreibtisch liegt zwischen Stiften und Post-its ein aufgeschlagenes Buch, ein Inventar sogenannter “entarteter Kunst” von circa 1942. Der Wert dieses historischen Dokuments kam neben dem Post-it sehr unerwartet. Werte treten hier allgemein an unerwarteten Stellen auf, wirken daher erst recht wie Schätze.

12   Fondazione Prada Monte di Pietà Christoph Büchel
Installation view of “Monte di Pietà” A project by Christoph Büchel Fondazione Prada, Venice Photo: Marco Cappelletti Courtesy: Fondazione Prada

Entsteht so Wert? Steigert er sich an der Stelle, an der er unerwartet war? Ist nicht der Dachbodenfund immer noch der wertvollste? Oder doch das Geschenk? Das, was verloren geglaubt war und dann wiedergefunden wurde? Wert ist an Geschichten geknüpft, somit ist das Wertvollste immer aus anderen Gründen lieb und teuer. Es wird jedoch klar – und das sollte zu denken geben: Oft ist es das, was in der Not noch bleibt, sei es ein Bügeleisen, eine Fotografie oder ein löchriger, aber dennoch wärmender Pullover.

Unter Christoph Büchels Staub, der tatsächlich das magische Elixier dieser Ausstellung ist – wie kam der bitte hier rein? – Ist alles gleich viel oder wenig wert, er ebnet die Dinge, flacht Hierarchien unter den Gegenständen ab und spiegelt darin die Peinlichkeit jeglichen Statussymbols, den Kapitalismus, der selbst vor der Barmherzigkeit nicht Halt macht. Und daher rührt mich diese Show derart, dass ich sie, wenn auch late to the party, noch besprechen musste. Sie sickert mit jedem Raum, mit jedem Ding und Staubkorn tiefer in die Poren. Sie hinterfragt Werte und die Art wie die Menschheit nach ihnen strebt, abhängig und auch fasziniert von ihnen ist und das Dinge an Wert verlieren, wenn es zu viele sind. “Hatschi!”, “Gesundheit.”

WANN: Die Ausstellung “Monte di Pietà” ist noch bis Sonntag, den 24. November zu sehen.
WO: Fondazione Prada, Ca’ Corner della Regina, Calle de Ca’ Corner, Santa Croce 2215, 30135 Venedig.

Weitere Artikel aus Venedig