Verschwunden geglaubt
Christian Frosi im GAMeC

29. Juni 2022 • Text von

Manchmal will man einfach verschwinden und sich in Luft auflösen. Der italienische Künstler Christian Frosi hat genau das konsequent getan. Inmitten einer vielversprechenden internationalen Karriere hat er beschlossen, kein Künstler mehr zu sein. Er beantwortete keine Nachrichten mehr, ging nicht auf Anfragen ein und suchte sich einen neuen Beruf. Eine Ausstellung im GAMeC in Bergamo widmet sich nun seiner Arbeit.

Christian Frosi – La Stanza Vuota Veduta dell’installazione – GAMeC, Bergamo, 2022 Foto: Lorenzo Palmieri Courtesy GAMeC – Galleria d’Arte Moderna e Contemporanea di Bergamo.

Schaum und Sand, Licht und Schatten. Skulpturale Körper, die fragil sind und zart. Christian Frosi verbindet in seiner Arbeit unterschiedlichste Materialien und schafft Werke, die poetisch, lakonisch und durchaus humorvoll wirken. Mit einer fast kindlich scheinenden Offenheit nutzt er Elemente des Alltags, arrangiert diese neu und kreiert so Skulpturen, die ihren offensichtlichen Unsinn bewusst ausstellen. Durch scheinbar einfache Eingriffe verleiht Christian Frosi der Banalität der Welt einen fast unergründlichen metaphysischen Reiz. Die Arbeiten wirken dabei fast tröstlich in ihrer Unbekümmertheit und verspielten Ästhetik. Doch auf den zweiten Blick wird eine existenzielle Ebene erkenntlich.

Christian Frosi – La Stanza Vuota Veduta dell’installazione – GAMeC, Bergamo, 2022 Foto: Lorenzo Palmieri Courtesy GAMeC – Galleria d’Arte Moderna e Contemporanea di Bergamo.

Christian Frosi galt in den späten 1990er-Jahren als herausragendes künstlerisches Talent in der Mailänder Kunstwelt. Er war ein gefragter Künstler, hatte Einzelausstellungen in renommierten Galerien, Artikel über ihn erschienen in der internationalen Presse. Im Jahr 2012 hörte er, ohne ersichtlichen Grund, auf, Künstler zu sein. Er produzierte keine Kunst mehr, er nahm nicht mehr an Ausstellungen Teil und machte sich langsam aber endgültig unerreichbar. Durch seinen bewussten Rückzug entfernte er sich aus der Kunstwelt, war kein Akteur mehr, sondern ein Aussteiger, nicht mehr verortbar. Seine bis dahin produzierte Kunst aber blieb bestehen, in privaten und öffentlichen Sammlungen, in den Lagern von Galerien und im Internet.

Christian Frosi – La Stanza Vuota Veduta dell’installazione – GAMeC, Bergamo, 2022 Foto: Lorenzo Palmieri Courtesy GAMeC – Galleria d’Arte Moderna e Contemporanea di Bergamo.

In der aktuellen Ausstellung im GAMeC sind mehr als 30 dieser Arbeiten zu sehen, die in einer Periode von etwas mehr als zehn Jahren entstanden sind. Im Licht seiner späteren Entscheidung fällt sofort auf, dass ein Gefühl für Vergänglichkeit ein konstantes Element in seiner künstlerischen Produktion ist. Die Skulpturen vermitteln eine gewisse Instabilität, ihre Körperlichkeit ist unsicher und kreist um die Thematik der Flüchtigkeit. Nach fast zehn Jahren der öffentlichen Unsichtbarkeit haben diese Arbeiten nun wieder eine Bühne erhalten und einen neuen, auch zeitlichen Kontext. Denn neben dem speziellen Werdegang ihres Schöpfers haben die Arbeiten eigene Qualitäten, die sie gut haben altern lassen. Sie wirken nach wie vor aktuell, relevant und zeitgenössisch.

Christian Frosi – La Stanza Vuota Veduta dell’installazione – GAMeC, Bergamo, 2022 Foto: Lorenzo Palmieri Courtesy GAMeC – Galleria d’Arte Moderna e Contemporanea di Bergamo.

Die große anthologische Ausstellung, die den vielsagenden Titel “La Stanza vuota”, auf Deutsch der leere Raum, trägt ist gar nicht leer. Sie ist gefüllt mir Arbeiten, die sich ihre eigene Sprache bewahrt haben, auch wenn sich der Künstler, der sie geschaffen hat, bewusst entscheiden hat, zu schweigen. In einer künstlerischen und gesellschaftlichen Gegenwart der permanenten Erreichbarkeit und der ständigen Kommunikation ist Unsichtbarkeit die wohl radikalste Strategie, die man wählen kann. Aus dieser Perspektive betrachtet, sind die Arbeiten von Christian Frosi hochaktuell.

WANN: Noch zu sehen bis Sonntag, den 25. September 2022.
WO: GAMeC – Galleria d’Arte Moderna e Contemporanea di Bergamo, Via San Tomaso 53, 24121 Bergamo, IT.