Kreier dir deine Welt Künstlerische Spielwelten im Zeppelin Museum Friedrichshafen
5. Juni 2024 • Text von Julia Anna Wittmann
Eskapismus und Emanzipation, Propaganda und Macht – das Phänomen des Spiels und die darin inhärenten sozialen und gesellschaftlichen Möglichkeitsräume stehen im Fokus der Ausstellung “Choose your Player. Spielwelten von Würfel bis Pixel” im Zeppelin Museum Friedrichshafen. Die Arbeiten von Larry Achiampong, Keiken, LuYang und Afrah Shafiq sind eingebettet in eine kritische Überblicksschau, die von Zeppelinspielen aus dem frühen 20. Jahrhundert bis hin zu Gaming Klassikern reicht.
Der UterusMan hat eine wichtige Mission: Er muss auf einer benutzten Damenbinde surfend bösartigen Krebszellen ausweichen und rote Blutkörperchen und XY-Chromosome einsammeln. Die Besucher*innen können ihm dabei helfen. Auf einem Motorradrennsimulator sitzend navigieren sie den UterusMan durch das gefährliche Terrain, sobald eine Krebszelle getroffen wird beginnt das Spiel von vorne. Der UterusMan ist der Protagonist der gleichnamigen, spielbaren Videoarbeit von LuYang und nur einer von vielen Avataren, die in der immersiven und interaktiven Installation “NetiNetiArcade” zu finden sind, eine bunt blinkenden Spielhalle, ausgestattet mit Bildschirmen, Arcade-Spielen und Tanzstationen.
Im Zeppelin Museum dreht sich alles um das Spiel. Dabei werden historische Spiele der Museumssammlung, die im Zusammenhang mit dem Zeppelin stehen, in den Kontext von prägenden Video- und Konsolenspielen gesetzt und immersiven zeitgenössischen künstlerischen Arbeiten gegenübergestellt. Die Installation “NetiNetiArcade” ist formal an einer klassischen Spielhalle orientiert, inhaltlich und ästhetisch jedoch mit LuYangs eigener Fiktion gefüllt, welche von Anime, Cyber Feminismus, Buddhismus und Neurowissenschaften geprägt ist. Zwischen surrealen Gottheiten und Cyborgs bricht LuYang binäre Geschlechterrollen auf und zeichnet ein futuristisches Bild des Posthumanen.
LuYang nutzt das emanzipatorische Potential von Spielen und kreiert eine eigene Welt, losgelöst von den vorherrschenden gesellschaftlichen oder physikalischen Parametern. Im Gegensatz dazu stehen die historischen Zeppelinspiele aus dem frühen 20. Jahrhundert. Diese wurden zu propagandistischen Zwecken entwickelt und versuchen ein eigenes Weltbild zu vermitteln. Brettspiele wie “Europa-Reise”, bei dem die Spielenden mit Hilfe von zukunftsgewandten Transportmitteln wie dem Zeppelin europäische Länder erkunden sollten, zeigen die damalige Sowjetunion als riesige leere Fläche ohne Kultur und ohne Bevölkerung. Das Spiel aus dem Jahr 1936-1937 propagiert Berlin als Ausgangspunkt allen Fortschritts und macht eine kolonialistische NS-Ideologie deutlich.
In Larry Achiampongs Rauminstallation “Mama’s Bootleg Fight Club” rekonstruiert der Künstler sein Jugendzimmer und fordert die Besucher*innen dazu auf stereotypische und rassistische Weltbilder kritisch zu hinterfragen. Protagonist*innen aus ikonischen Computer- und Konsolenspielen wie “Legend of Zelda”, “Halo” oder “Street Fighter” werden von ihm malerisch neu in Szene gesetzt und erhalten neue Missionen und Charaktereigenschaften. Achiampongs Gemälde sind umgeben von Technik und Möbeln aus den 1990ern, umrahmt von Comic Heften, Skateboards und Instant Ramen Nudeln. Sein Portrait von Ganondorf, dem Dämonenkönig und einzigem Schwarzen Mann in der Welt von “Legend of Zelda”, zeigt keinen bösen Antagonisten, vielmehr einen hoffnungsvollen Widerstandskämpfer.
Die Besucher*innen der Ausstellung sind dazu angehalten, selbst aktiv einzugreifen. Afrah Shafiqs Drei-Kanal-Videoinstallation “Where Do the Ants Go” simuliert den Lebenszyklus einer digitalen Ameisenkolonie, die mal mehr, mal weniger erfolgreich agieren, basierend auf dem Einfluss der Besucher*innen. Die interaktive Videoarbeit befindet sich in einer von großen braunen Klötzen erbauten Höhle in Minecraft Ästhetik. Über ein Tablet können die Besucher*innen ihre Gedanken einspeisen, welche wiederum das Überleben der Ameisenkolonie steuern. Die überspitzte Darstellung des kurzen Lebenszyklus und der externen Einflussnahme macht deutlich, wie schnell Informationen ausgetauscht und Ökosysteme ins Wanken gebracht werden können.
Komplett losgelöst von unserer Realität erscheint das immersive Videospiel “Morphogenic Angels: Chapter One” des Künstlerinnenkollektivs Keiken. Die Welt, die uns Keiken zeigt, wird von transhumanen Organismen bevölkert, die im ständigen Austausch mit ihrer Umgebung leben. Besucher*innen können in einem weißen Bällebad Platz nehmen und wortwörtlich eintauchen. Mit Hilfe eines Controllers wird von dort aus ein post-menschliches Wesen auf der Leinwand gesteuert, welches sich durch ein ständig weiterentwickelndes Universum bewegt. Anstatt sich durch diese ungewöhnliche Welt zu kämpfen, geht es darum, Energien auszutauschen und mit einem nicht-menschlichen Bewusstsein in Kontakt zu treten.
Die Entwicklung eigener Spiele und komplexer, digitaler Welten im Kontext der zeitgenössischen Kunst bietet das Potential, alternative Möglichkeitsräume zu erstellen, losgelöst von herrschenden patriarchalen, stereotypischen und physikalischen Normen. Im Sinne des Worldbuilding kreieren Larry Achiampong, Keiken, LuYang und Afrah Shafiq jeweils eigene, komplexe Welten, in denen kein Platz ist für rassistische Stereotype, transhumane Lebewesen agieren, non-binäre Figuren existieren und sich ganze Zivilisationen entwickeln – ein Eskapismus der Spaß macht und hoffen lässt.
WANN: Die Ausstellung “Choose your Player. Spielwelten von Würfel bis Pixel” läuft noch bis zum 27. April 2025.
WO: Zeppelin Museum Friedrichshafen, Seestraße 22, 88045 Friedrichshafen.
Vielen Dank für die Presse-Einladung nach Friedrichshafen und die Übernahme der Reisekosten.