Bierchen mit Beigeschmack
Fotografische Kneipengeschichte in der Kommunalen Galerie Berlin

3. April 2023 • Text von

Was haben der Magendoktor, die Kupferscheune und der Sterntaler gemeinsam? Sie alle gehören zu Berlins schrumpfender Kneipenlandschaft. In “Chez Icke. Die Kneipe – ein paralleles Universum” in der Kommunalen Galerie Berlin nehmen sich Stefanie Schweiger, Friederike von Rauch und Anna Lehmann-Brauns in Foto- und Videoarbeiten der Kulturgeschichte Berliner Kneipen an und porträtieren Orte, die zunehmend aus der Hauptstadt verdrängt werden.

@Anna Lehmann Brauns  Mierendorffplatz  2022  Fine Art Print Kommunale Galerie gallerytalk
© Anna Lehmann-Brauns, Mierendorffplatz, 2022, Fine Art Print.

Kneipen sind fest verwoben mit der Berliner Kiez- und Kulturgeschichte. Mit ihrem Eichenholzmobiliar, klebrigen Tischen, Juke Boxen und Spielautomaten gehören sie zu Berlin wie der Fernsehturm. Hier scheint die Zeit still zu stehen. Sie sind Orte der Zuflucht und der Beständigkeit, der Gemeinschaft und des Rausches. Ihnen widmet die Kommunale Galerie Berlin aktuell eine Ausstellung mit dem Titel “Chez Icke. Die Kneipe – ein paralleles Universum”. Die Künstlerinnen Stefanie Schweiger, Friederike von Rauch und Anna Lehmann-Brauns nehmen sich den traditionellen Berliner Kneipen an, besuchen die geheimnisvollen Orte und Menschen und halten sie in Foto- und Videoarbeiten fest bevor auch die wenigen in der Stadt verbliebenen der Gentrifizierung und den stetig steigenden Immobilienpreisen weichen müssen. “Chez Icke”, wie die verbliebenen Ur-Kneipen im Berliner Stadtraum auch bezeichnet werden, bezieht sich dabei auf eine Wortschöpfung der Künstlerin Gesine Danckwart aus dem Jahre 2009.

@Anna Lehmann Brauns  Sterntaler  2022  Fine Art Print Kommunale Galerie gallerytalk
© Anna Lehmann-Brauns, Sterntaler, 2022, Fine Art Print.

Hinter den etwas eingestaubten und klebrigen Fassaden der Berliner Ur-Kneipen verbirgt sich neben Spirituosen, Glücksspiel und Zigarettenqualm häufig auch ein soziales Gefüge, das in den künstlerischen Arbeiten thematisiert und in der Ausstellung zum Ausdruck kommt. Stefanie Schweiger nähert sich den Menschen in ihren Werken und porträtiert sie auf sensible und respektvolle Weise. Sie schafft es, rund um die Protagonist*innen Geschichten zu kreieren, die gleichermaßen einen dokumentarischen Charakter haben und dennoch viel Raum für Interpretationen lassen. Die individuellen Geschichten zum Ort Kneipe werden nicht auf dem Präsentierteller – oder auf dem Billardtisch – serviert, sie klingen leise mit und werfen eine geheimnisvolle Stimmung um die dargestellten Personen herum auf. Die Kneipe ist ein Ort an dem Menschen mit unterschiedlichsten Lebensläufen und Biografien aufeinandertreffen.

@Friederike von Rauch@Stefanie Schweiger  Kupferscheune  2022  Video Still Kommunale Galerie gallerytalk
© Friederike von Rauch & Stefanie Schweiger, Kupferscheune, 2022, Video Still.

In ihrer ersten gemeinsamen Arbeit “Haze, Lace & Doppelkorn” zeigen Friederike von Rauch und Stefanie Schweiger in der Kommunalen Galerie ein Video aus verschiedenen Kneipen der Stadt, unter anderem der Kupferscheune. Zum Beispiel durch einen schimmernden goldenen Vorhang aus Lametta werden die Betrachter*innen eingeladen, den Klängen des Treibens zu lauschen. Mit einer bewegungslosen Kamera nehmen die Künstlerinnen das Publikum mit auf dem Weg durch Berlins Kneipen. Die zum Teil menschenleeren Szenerien im Zusammenspiel mit einem dumpfen Nachhallen von Musik hinterlassen beim Zuschauen eine melancholische und nachdenkliche Note. Die Künstlerinnen haben sich durch ihre eigene Auseinandersetzung mit dem Kulturort Kneipe und das detailverliebte Beobachten eine neue Perspektive auf die eigene Stadt erarbeitet und einen nahbaren visuellen Ausdruck dafür gefunden.

@Friederike von Rauch@Stefanie Schweiger  Magendoktor  2022  Video Still Kommunale Galerie gallerytalk
© Friederike von Rauch & Stefanie Schweiger, Magendoktor, 2022, Video Still.

In ihren Einzelwerken in der Ausstellung setzt sich Friederike von Rauch mit den architektonischen und atmosphärischen Aspekten des Raumes auseinander. Sie zeigt in ihren Fotografien bewusst und präzise gewählte Ausschnitte aus den Kneipen und stellt Teile ihrer Raumwirkung besonders in den Fokus. Im Vergleich zu den anderen beiden Positionen, sind diese Fotos in ihrer Bildsprache und Komposition deutlich reduzierter und aufgeräumter. Sie faszinieren mit ihrer ästhetischen, inszenierten Bildsprache und vermitteln eine visuell stimulierende Atmosphäre. Von klebrigen Tischen, Zigarettenstummeln oder gar alkoholisierten Menschen fehlt hier jede Spur.

Anna Lehman-Bruns Werke in der Ausstellung fallen besonders durch ihre intensive Farbigkeit und den Kontrastreichtum auf. Sie begegnet der Kneipe als einen Ort der Erinnerung, den sie visuell in ihren Fotos einzufangen versucht. Ihre Raumbilder aus den Kneipen sind menschenleer und spielen mit einem besonderen Lichteinfall. Ähnlich zu den Arbeiten von Friederike von Rauch wird der Raum kuratiert und ästhetisch inszeniert – jedoch in größeren Ausschnitten. Es sind ebenso ruhige Momente des Kneipenraumes, der jeden Augenblick durch Menschen und Musik belebt werden könnte.

@Stefanie Schweiger  Chez Hardy  2022  Fine Art Print Kommunale Galerie gallerytalk
© Stefanie Schweiger, Chez Hardy, 2022, Fine Art Print.

Die Künstlerinnen in “Chez Icke” präsentieren uns die noch bestehende Berliner Kneipenszene und nehmen dabei nicht die vermeintlichen Schattenseiten, die Alkoholismus oder Glücksspiel mit sich bringen können, in den Blick. Sie erzählen stattdessen warmherzige Geschichten von Orten des Zusammenkommens. Sie sind sowohl soziale als auch räumlich-architektonische Studien des Kulturortes Kneipe, der auf den ersten Blick etwas merkwürdig erscheinen kann, sich aber spätestens auf den zweiten als gemütlicher, authentischer und nicht elitärer Zufluchtsort herausstellt. Vielleicht geht’s das nächste Mal nicht in die hippe Szene-Bar in Berlin-Mitte, sondern auf ein frisch Gezapftes in die Kneipe um die Ecke.

WANN: Die Ausstellung läuft bis zum 28. Mai 2023.
WO: Kommunale Galerie Berlin, Hohenzollerndamm 176, 10713 Berlin.



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