CGI-Videokunst auf Instagram
Virtualitäten für unsere Realität der Zukunft

15. Juni 2021 • Text von

Dass die Grenze zwischen Realität und Virtualität fließend ist, ist mittlerweile allgegenwärtig. Wie das Ganze in der Zukunft aussehen wird, ist dann aber doch noch nicht eindeutig. CGI-Kunst entwickelt dafür Visionen. Die Künstler*innen Keiken, Jon Rafman, Hyojae Kim und Holly Herndon zeigen in verschiedenen Videoarbeiten, dass man auch auf Instagram Impulse für unsere zukünftige, virtuelle Welt setzen kann.

Hyojae Kim, Prenatal Care (胎敎): Dear Z ,2020, single channel video, Courtesy the artist. 

Wie sieht unsere Wirklichkeit der Zukunft aus? Eine physische Realität, in der wir uns unser virtuell-reales Sein mit CGI (Computer Generated Imagery) selbst gestalten? Virtualität und Realität werden bald vermutlich nicht mehr unterscheidbar sein. Sie werden so vielschichtig miteinander verkettet sein, dass es schlichtweg nicht mehr möglich sein wird, zwischen den beiden klar zu differenzieren. Dass virtuelle Phänomene schon jetzt ein untrennbarer Teil unserer Wirklichkeit sind, wird spätestens beim obligatorischen Instagram-Account glasklar – der ein Muss ist, wenn man nicht alles als Letztes erfahren will. Und wie sehen eigentlich Ausstellungsräume in der Zukunft aus? Mit Instagram haben Künstler*innen – und eigentlich ja auch alle anderen – die Möglichkeit, einen selbstkuratierten, digitalen Raum für ihre Kunst zu schaffen. Dass Feeds also durchaus auch Ausstellungen sein können, zeigen die folgenden Instagram-Accounts verschiedener Künstler*innen, die in einem futuristischem Mantel aus unseren (noch) aktuellen, real-physischen Strukturen ausbrechen: 

Keiken (@_keiken_), Wisdoms for Love 3.0, Instagram, Courtesy Keiken, Obso1337, Ryan Vautier, Sakeema Crook and Khidja.

Keiken: „We are building a Metaverse“

Hyper-voluminöse Lippen, überakzentuierte Wangenknochen und große Glubschaugen. Einige Wesen des Kollektivs Keiken erinnern daran, dass man es mit dem Streben nach einem vermeintlich ästhetischen Ideal auch übertreiben kann. In der Virtualität ist diese Ästhetik dann aber doch irgendwie wieder harmonisch. Genau darum geht es auch beim „world-building“, das neben Keiken auch die drei anderen hier erwähnten Künstler*innen als Praxis haben: Mithilfe von ästhetischen Überspitzungen, physischen Extremen und transzendenten Visionen setzen sie ein Narrativ für die Zukunft. Neben Face-Filtern, mit denen wir schonmal ausprobieren können, wie wir wohlmöglich bald aussehen, produziert Keiken auch Filme, die als NFTs gelauncht werden sowie interaktive Online-Games. Im neuen Spiel „Wisdoms for Love 3.0“, in dem gläserne Babys in mystischen, pferdeartigen Wesen gebrütet werden, können Spieler*innen digitale Kunst erleben während sie mit Moralität als Währung Transaktionen durchführen, um das nächste Level zu erreichen. Zahlen wir an der Supermarktkasse zukünftig also mit Moralität statt Euro?

Jon Rafman (@jonrafman), Instagram, Courtesy the artist.

Jon Rafman: „Rarely has reality needed so much to be imagined“

Magenkrank machen Jon Rafmans Videos, die er in regelmäßigen Abständen teilt. Füße, die von schmierigen Schnecken belagert werden, Tauben, die breiiges Erbrochenes picken, eine Ratte, die mit ihrem halben Körper in den Mund eines Menschen kriecht. Die Videos sind Hardcore Memes. Sie sind auf eine so exzentrische Weise abstoßend und bizarr, dass man trotzt des Ekels einfach nicht wegschauen kann – und auch nicht möchte. Der Künstler verwendet reale Bilder und verfremdet und animiert sie im Anschluss. Die kriechenden Schnecken sind mit einem knirschend schmatzenden Sound gespickt, der das Ganze noch unbehaglicher macht. Die Videos auf dem Account des Künstler erscheinen wie ein brutales Extremisieren von Bildern, die so wirklich existieren könnten. Genau deswegen sind die Videos wohl auch so unangenehm anziehend. Das zu Sehende ist wirklich – gleichzeitig aber auch nicht.

Hyojae Kim (@prenatal_care_center), Instagram, Courtesy the artist.

Hyojae Kim: „Human Host: @cxxion_cxxion“

„It’s not me, it’s definitely you“. Schuld auf andere schieben ist ein bewährtes Mittel, um sich der Verantwortung zu entziehen und ein bisschen weniger moralische Last auf den Schultern zu tragen. Das haben auch schon Hyojae Kims Babys, die im Prenatal Care Center entstehen, erkannt. In diesem Center wachsen sie zur Generation der Zukunft heran. Eine Generation, deren Fundament fest in der Virtualität verankert ist, deren Identität aus Virtualität besteht: „They stole my phone, my apps and my soul“. Handys als ausschlaggebender Teil unserer Seele, als Teil unserer Identität? Oder vielleicht sollte man besser von Identifizierung sprechen, um den immanenten Prozess, der Identität beinhaltet, hervorzuheben. Auch Kims Babys befinden sich im Prozess herauszufinden, wer sie sind und in welcher Welt sie leben wollen. 

Holly Herndon (@holly_herndon), Mat Dryhurst, Crossing the Interface (DAO), Instagram, Courtesy the artists.

Holly Herndon: „Computer Art meets Interdependence“

In Holly Herndons neuer Arbeit „Crossing the Interface“, die als NFT auf der Plattform Foundation verkauft wurde, arbeiteten sie und der Künstler Mat Dryhurst mit einem Text des Philosophen Reza Negarestani. Dieser vertritt die Position, dass das Konzept vom Menschen nicht ausreichend erforscht ist und mithilfe von Theorie und Fiktion neu konzipiert werden muss. Wir befinden uns also unentrinnbar in einem Prozess, der etwas Neues entstehen lässt. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch kontinuierlich immer mehr fiktive Ideen im realen Raum Fuß fassen. Das soll natürlich nicht dazu führen, dass alternative Fakten, die tatsächlich nur in der Vorstellung existieren, zu Fakten erklärt werden. Es kann aber Anregung dafür geben, umzudenken und Gedanken, die sich zunächst nur als Fiktion abzeichnen, nicht sofort als unerreichbare Utopien zu verdammen. Herndons Gestalten, deren Form fließend ist und die teilweise eins mit ihrer Umgebung werden, verdeutlichen, dass wir in der Zukunft wahrscheinlich keine klar fassbaren real-physischen Strukturen mehr haben, sondern alles ein einziges virtuell-reales Mischmasch sein wird.