Es geht ums Ganze
Caro Jost bei Britta Rettberg

9. Januar 2023 • Text von

Sammeln, Archivieren, Dokumentieren, Interpretieren und in einen neuen Kontext bringen. Die Konzeptkünstlerin Caro Jost nutzt Spuren und Gefundenes als Basis für ihre künstlerischen Strategien. Mittels spezieller Techniken formt sie Alltägliches zu abstrakten Reflexionen über die Abbildung von Zeit, Raum und Ereignis. Bei Britta Rettberg zeigt sie unter dem Titel “All in one” eine breite Auswahl neuer und älterer Arbeiten, die sich an den Grenzen von Bild, Skulptur und Poesie bewegen.

Caro Jost: All in One, 2012, Velcro on stretcher frame in wall installation; courtesy the artist and Galerie Britta Rettberg, Foto: Dirk Tacke.

Eine große Installation dominiert den Ausstellungsraum in der Galerie Britta Rettberg. Eine Fototapete zeigt einen weiblichen Körper an einem weißen Sandstrand, der Himmel und das Meerwasser strahlen in unterschiedlichen Blautönen. Doch in diesem Bildraum ist eine weitere Arbeit platziert, eine kompakte mittelgroße Leinwand, die mit einem schwarzen Klettband vollständig umwickelt ist. Das Klettband scheint dabei gleichzeitig etwas schützend abzudecken und fest einzuschnüren. Das Foto und das skulpturale Objekt stehen in einem Spannungsverhältnis, das Bild zeigt einen Körper, der frei ist, die Skulptur wirkt dagegen wie gefangen. Die weibliche Figur auf dem Foto ist die Künstlerin Caro Jost selbst, die entschieden hat, dieses Bild von ihr in diesem Kontext zu zeigen. Der skulpturale Körper, eingebunden und umwickelt, wirkt wie eine zweite Ebene, eine Ergänzung, die ein Bild vervollständigt.

Caro Jost: MOVE TO LOVE, 2022 (left); ADMIRE, 2022 (middle); ZERO, 2022 (right); courtesy the artist and Galerie Britta Rettberg, Foto: Dirk Tacke.

Caro Jost arbeitet mit Spuren aus der Vergangenheit, persönlichen und öffentlichen. Dabei legt sie Schichten des Erinnerns übereinander und schafft so dichte bildliche Kompositionen. Die Künstlerin überträgt Gefundenes auf Bildträger, dekonstruiert das Ausgangsmaterial, verfremdet es und setzt es in einen neuen Kontext. Dabei eignet sie sich auch historische Themenfelder an und interpretiert diese aus ihrer individuellen Perspektive neu. Durch diesen Schritt schafft sie eine Verbindung zwischen unterschiedlichen Zeitebenen. Aber auch ihre persönliche Geschichte findet in ihren Arbeiten Raum, subtil und reflektiert. Über Schrift und die Titel der Werke ergänzt sie ihre künstlerische Praxis zudem um eine poetische Ebene.

Caro Jost: ONE WORD, 2022; REAL DEAL, 2022 (left); SPACE, 2017 + 2022 (right); courtesy the artist and Galerie Britta Rettberg, Foto: Dirk Tacke.

Vor ihrem Werdegang als Künstlerin hat Caro Jost Jura studiert. Dieses scheinbar diametral zur Kunst stehende Themenfeld aus Gesetzen und Regelwerken wurde für die Künstlerin zum Ausgangspunkt für eine Werkserie, die sie, neben anderen Serien und Arbeiten, in der aktuellen Ausstellung zeigt. In der „Serie der Gesetzesbilder“ überschreibt sie tatsächliche Gesetzblätter, streicht durch, annotiert und hebt hervor. Für die Serie hat Jost eine Auswahl der Blätter mittels Screenprint auf Leinwand gedruckt, teils übermalt, beklebt und anschließend mit einer dünnen Schicht Epoxidharz übergossen. Einzelne Worte sind noch erkennbar, juristische Fachbegriffe stehen im Kontrast zu lakonischen Sätzen und Satzbausteinen, die die Künstlerin zusätzlich auf die Bildträger gedruckt hat. „Einhundert Prozent frei“ ruft eine Arbeit in den Raum.

Caro Jost: Oktober 2012 (One Night at Schumann’s), 2022, (centre); DIAMOND MOVE I, 2022, (right); courtesy the artist and Galerie Britta Rettberg, Foto: Dirk Tacke.

Im Gang der Galerie, der die Ausstellungsräume verbindet, werden eine Reihe von Arbeiten präsentiert, die sich auf einer sprachlichen Ebene mit den Themenkomplexen von Körperlichkeit und Identität befassen. Scheinbar auf einfachen Klemmbrettern befestigt, zeigt die Künstlerin Textfragmente, die einer offenen Selbstbefragung gleichen. Auch hier wird die Rolle der Künstlerin als Person und als Akteurin im Kontext der Kunst kritisch und doch augenzwinkernd hinterfragt.

Caro Jost nutzt in ihrer künstlerischen Praxis Strategien des Archivierens und Dokumentierens. Sie bewahrt scheinbar Flüchtiges und hat einen Blick auf Details, in denen sie Wiedersprüche und Spannungen erkennt. Ihre Arbeiten sind durch vielschichtige Überlagerungen gekennzeichnet, sie setzt persönliche und gesellschaftliche Aspekte zueinander in Beziehung, durchaus humorvoll, die Absurditäten des Lebens akzeptierend, nicht verklärend nostalgisch.

WANN: Noch zu sehen bis Samstag, den 4. Februar 2023.
WO: Britta Rettberg, Gabelsbergerstraße 51, 80333 München.

In freundlicher Kooperation mit Caro Jost.

Weitere Artikel aus München