For my sweet love America Die Visionen des Brandon Lipchik
21. Oktober 2020 • Text von Teresa Hantke
Die Kunstwelt feiert Brandon Lipchiks ausdrucksstarke Malereien, die Einflüsse farbenfroher Pop-Art à la David Hockney sowie surrealistischer Collagen in sich tragen. Noch bis zu diesem Samstag kann man sich bei Robert Grunenberg in den mystischen Bildwelten des jungen Malers verlieren. Eine Reise, die sich lohnt.
Wie ein vor Selbstliebe dahinsiechender Narziss blickt er auf die Wasseroberfläche. Das Thema ist beliebt in der Kunstgeschichte – ähnlich wie auch der junge Mann auf dem bekannten Ölgemälde des Barockmeisters Carvaggio lehnt der fragmentierte Körper des Protagonisten aus Lipchiks Gemälde „Growth in Pond Waters“ (2020) über dem seichten Wasser. Den Kopf geneigt, der Blick ist versunken, allein die grün-schwarz changierende Haarpracht zeigt sich dem Betrachter in voller Gänze. Lipchik fragmentiert die Körper seiner Figuren. Was sich von weitem klar als zusammenhängende Physis ausmacht, löst sich bei näherem Betrachten auf, zerfällt in klar voneinander abgegrenzte Einzelteile. Diese setzt Lipchik, der an der Rhode Island School of Design studierte, durch den Einsatz diverser Materialien und Techniken voneinander ab.
Die besondere Gestaltung der Hinterköpfe der allesamt nach unten blickenden, gesichtslosen Figuren in den Gemälden trennt sich in ihrer Dreidimensionalität von dem ansonsten zweidimensionalen Bilduntergrund. Mit einem Schwamm saugt der Künstler die Farbe von der Leinwand und schafft somit Tiefe, pastose Elemente, die an surrealistische Collagen erinnern lassen. Die fragmentierten Körper generiert Lipchik mit dem Computer, schafft digitale Collagen als Ausgang für seine schlussendlich analogen Malereien.
Mittels Airbrush, Acryl und Öl probiert er sich an den Möglichkeiten des Mediums aus, schafft einzelne Flächen, die sich klar voneinander absetzen, um schlussendlich doch zu einer Gesamtkomposition zusammenzufließen. Es ist ein spannender Dialog, den Lipchick von den Gestaltungsmöglichkeiten des Digitalen hin zur Malerei schlägt. Eine Arbeitsweise, die seinem Werk, wie dem einer Reihe von jungen Malern wie Oli Epp den Stempel des “Post-Digital Pop” einbrachte. Dabei steht die Verbindung des digitalen und physischen Raums im Vordergrund; nicht selten handelt es sich thematisch um Selbstdarstellung sowie die andauernde Optimierung des eigenen Ichs im digitalen Raum.
Viele der in der Ausstellung bei Robert Grunenberg präsentierten Werke, die allesamt während der Zeit des Lockdowns im Frühjahr 2020 entstanden sind, beschäftigen sich mit dem Umgang des Menschen mit der Natur. Sie zeigen fragmentierte Männerkörper, die ausgestattet mit Spaten und Werkzeug neues Leben im Freien schaffen: Pflanzen werden ein oder umgetopft – „Open ears and repot plants. New seeds which we can one day glean“, schreibt Lipchick in einem der selbstverfassten Gedichte, die er ebenfalls auf Leinwand malte. Die Pandemie hat uns auf unsere direkte Umgebung und ihre Möglichkeiten zurückgeworfen, die Rückbesinnung auf die Natur steht im Vordergrund.
Dieser Aspekt verdeutlicht sich auch in der VR-Arbeit „Monument of Dropped Sword in Paths Untrodden“ (2020). Nach dem Aufsetzen der Brille findet man sich beinahe als Eindringling, in der Position eines Voyeurs, wie Lipchik es ebenfalls im Falle seiner Malereien evoziert, in einem überdimensionalen Garten wieder. Dreht man die Knöpfe an den Sticks, zeigen sich die wiederkehrenden Männerfiguren aus seinen Bildern. Ausgestattet mit Schwertern stehen sie ringend auf einem Rondell.
Es ist die Verbildlichung eines inneren Twists, den Lipchik hier zum Leben oder besser zum virtuellen Leben erweckt. Sinnbildich stehen die beiden ringenden Männer für sein momentan zwiegespaltenes Verhältnis zu seinem Heimatland Amerika. Ein Land, das sich dieses Jahr wie kaum ein weiteres von Krise zu Krise hangelte – Corona, die Tragik um George Floyd, Black Lives Matter und die kommende Präsidentschaftswahl in nunmehr zwei Wochen. Wüsste man es nicht anders, könnten einem die beiden Figuren auch wie die beiden Kontrahenten Biden und Trump erscheinen, die sich im scharfen Wortgefecht zumindest im ersten Fernsehduell noch analog gegenüberstanden.
Lipchik schafft es, in seinen Werken einen Bogen zu schlagen, vieles, das uns gerade soziologisch sowie politisch beschäftigt, aufzugreifen und es in einem mehr als spannenden Materialclash und gekonnter kompositorischer Ausarbeitung auf seine Bildträger zu bringen. Dies macht ihn nicht nur zu einem der interessantesten Maler unserer Zeit, sondern die lässt die Ausstellung zu einer der aktuell gelungensten in der deutschen Hauptstadt werden.
WANN: Die Ausstellung “Brandon Lipchik. Visions of Song” läuft noch bis diesen Samstag, den 24. Oktober.
WO: Robert Grunenberg, Marburger Straße 3, 10789 Berlin.