Y2K-Ästhetik in Ölfarbe Botond Keresztesi malt seine virtuelle Datenbank
12. Februar 2020 • Text von Anna Meinecke
Wenn Sphinxen Autoscooter fahren und Handrührgeräte mit Drohnen kollidieren, steht ihr vermutlich vor einer Arbeit von Botond Keresztesi. Die Absurdität unserer Gegenwart malt er in Öl. Mit gallerytalk.net spricht der Künstler über seinen ersten Walkman, Y2K-Ästhetik und den Kunststandort Budapest.
gallerytalk.net: In deinen Bildern zeigst du – fast ein bisschen trippy – eine verfremdete Realität. Ist es eine Utopie oder eine Dystopie?
Botond Keresztesi: Das kann ich so nicht sagen. Es ist eher ein Blick in die Filterblase meiner virtuellen Bilddatenbank. Alles ist ausgedacht und sehr subjektiv geprägt. Für mich ist es visuelle Poesie. Sie funktioniert losgelöst von gesellschaftlichen Strukturen, referenziert sie aber natürlich irgendwie doch. Mich interessieren Zukunftsvisionen von Architektur, Design oder Kino und auch Bewegungen der Moderne oder das Bauhaus. Ich arbeite mit Fragmenten aus all diesen Bereichen.
Deine Ästhetik lässt in dir einen Science-Fiction-Fan vermuten. Stimmt das?
Ich bin jetzt nicht unbedingt ein Sci-Fi-Nerd, aber natürlich ist das Genre für mich eine wichtige Inspirationsquelle. Vor allem Filme wie „Blade Runner“, „RoboCop“ oder „Total Recall“ von Paul Verhoeven und auch neuere Streifen wie „Under the Skin“ hatten großen Einfluss auf mich. Ich liebe Cover von Vinyl-Platten und die Ästhetik von FPS-Computerspielen aus den 90ern. Außerdem habe ich ein paar Romane des Amerikaners Philip K. Dick gelesen, wobei ich noch mehr mit dem russischen Schriftsteller Viktor Pelevin anfangen kann. Er arbeitet auf besondere Weise mit Intertextualität und Mythologie.
Technologie spielt in deinen Sujets eine entscheidende Rolle. Da sind Smartphones, Figuren aus Games, ein kleines Chrome-Logo oder auch E-Scooter. Wie digital geprägt ist dein Leben?
Ich bin in den späten 80er Jahren geboren. Ich gehöre zu dieser besonderen Generation, die ihr Leben analog begonnen haben, dann aber parallel zu einer rasanten Entwicklung digitaler Technologie aufgewachsen ist. Erst gab es nur Kassetten, mittlerweile gibt es Musik im mp3-Format. Ungarische Künstler*innen der Generation vor mir haben in den frühen 2000ern mit Software gearbeitet und oft auch durch Arbeit im kommerziellen Bereich ihr Geld mit ihren technischen Fähigkeiten verdient. Das habe ich nie gemacht. Ich bin Technologie immer als Durchschnittsnutzer begegnet: Ich habe dumme Computerspiele gespielt oder Musik und Filme runtergeladen. Y2K-Ästhetik ist bei mir sehr präsent, aber ich habe nie etwas programmiert oder so. Ich benutze das gesamte Equipment – Laptop, Smartphone, Tablet – und bleibe dabei wie die meisten Technik-Outsider.
Ich liebe deine AirPod-Bilder. Wie absurd ist es, dass man gerade noch über die Leute mit den Dingern im Ohr gelacht hat? Mittlerweile sind sie überall.
Letztens hat mir jemand einen Link zu Ohrringen geschickt, die wie AirPods aussehen – nur eben in Silber. Es ist verrückt! Ich weiß noch, wie es sich angefühlt hat, als ich als Kind zum ersten Mal mit meinem Walkman auf die Straße gegangen bin. Ich war so aufgeregt, voller Vorfreude, aber gleichzeitig auch nervös. Was, wenn ich den Verkehr nicht höre und mir etwas passiert? Und was werden wohl die Leute denken? Ob ich albern mit den Kopfhörern aussehe? Heute kann ich ohne Musik auf den Ohren nicht mehr das Haus verlassen. Aber AirPods sind echt nochmal eine andere Nummer.
Inwiefern?
Sie sehen wie eine Art Schmuck aus. Und manchmal beobachtet man lustige Szenen. Kürzlich zum Beispiel standen drei Teenager wippend um ein Smartphone rum, das einer von ihnen in der Hand hält. Bis ich verstanden habe, dass zwei von ihnen jeweils einen AirPod im Ohr haben und der andere ihnen einen Song zeigt … Allerdings passiert das manchmal sogar mir mit meinen ganz normalen schwarzen Sennheiser-Kopfhörern mit Kabel. Ältere Leute sprechen einen auf der Straße an und verstehen nicht, dass man sie nicht richtig hören kann. Vielleicht ist es ihnen auch einfach egal. Jedenfalls sind sie raus aus dem Game.
Die Motive deiner Arbeiten wirken schnell vertraut. Was aber können Betrachter*innen vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennen?
Ich möchte keine Statements abgeben oder Geschichten erzählen. Meine Bilder zeigen meinen Eindruck von der Absurdität der Welt. Die Malerei der alten holländischen Meister war Betrachter*innen zu der Zeit ein offenes Buch. Die Menschen damals haben die Bilder verstanden. Erst über die Jahrhunderte hinweg hat sich die Bedeutung der Arbeiten verändert. Mit diesem Effekt arbeite ich.
In deinen Arbeiten verweist du immer wieder auf prominente Bilder der Kunstgeschichte. Da wäre zum Beispiel der Arnolfini-Kopf auf dem Körper eines Skorpions oder ein ganzer Magritte-Hintergrund für eine Arbeit. Ist das deine Art, Wertschätzung für bestimmte Künstler*innen auszudrücken oder hast du vielleicht einfach Freude daran, kleine Easter Eggs zu verstecken?
Ich interessiere mich dafür. Ich habe in Budapest Kunst studiert. Kunstgeschichte gehört zu den wichtigsten theoretischen Kursen, die man absolvieren muss. Die Ausbildung in Ungarn ist sehr geschichtslastig. Das gilt für alle Fächer. Theorie zählt mehr als Erfahrung. Lustigerweise bin ich schon auf eine Schule gegangen, an der statt Zeichnen Kunstgeschichte unterrichtet wurde – von den Anfängen bis zum frühen 20. Jahrhundert. Im Studium habe ich all das nochmal mit mehr Tiefe wiederholt. Allerdings war ungefähr bei Picasso Schluss. Den Rest mussten wir uns selber beibringen. Es bleibt mir ein Rätsel, wieso wir uns ein halbes Jahr mit den Katakomben der Christen befassen mussten, aber nichts über die Gegenwart gelernt haben. Mich hat der Lehrplan zugleich inspiriert und deprimiert.
„L.S.D.“, „H.B.O.“, „L.O.L.“ und jetzt „U.F.O.“. Wie kommt es, dass du bei Ausstellungstiteln so gern auf Abkürzungen setzt?
Ich habe bei meiner ersten Einzelausstellung damit begonnen. Das war 2015 in der Horizont Gallery in Budapest. Der Titel war „R.G.B. (Roman Gothic Baroque)“. Ich hatte mal eine Zeichnung so genannt. Mir hat gefallen, dass sich hinter der vertrauten Abkürzung eine andere Bedeutung verbirgt – wie eine versteckte Welt, eben „Unreadable For Others“. Außerdem spielt da noch etwas Nostalgie mit rein: Die Namen von Graffiti-Crews haben meist drei Buchstaben.
Du lebst und arbeitest in Budapest. Aus der Ferne ist mein Eindruck, dass dort gerade einige spannende Dinge in Sachen Kunst passieren. Wie ist die Szene vor Ort?
Ich arbeite in einem kleinen Studio im Art Quarter Budapest. Das Gebäude ist eine ehemalige Brauerei nahe dem Fluss Danube, ein bisschen außerhalb der Stadt. Der Besitzer ist ein netter, deutscher Typ namens Wolfgang, der seit 20 Jahren in der Stadt lebt. Die meisten meiner engen Künstlerfreund*innen arbeiten auch da. Mit dreien von ihnen, Zsófia Keresztes, Borsos Lőrinc und Gergő Szinyova, habe ich die Gruppe T.R.I.P. gegründet. Es ist eine sehr familiäre Atmosphäre.
Hast du vielleicht ein paar Tipps für all diejenigen die jetzt neugierig auf die Stadt geworden sind?
Das politische Klima vor Ort macht Budapest als Stadt etwas problematisch. Aber es gibt ein paar schöne Orte. Trafó ist ein unabhängiger Ort für Konzerte, Theater und Ausstellungen hat ein sehr aufgeschlossenes, internationales Programm. Die Galerie Easttopics hat ein tolles Programm mit Künstler*innen aus Mitteleuropa und auch der Ausstellungsraum von Peter Bencze ENA Viewing Space lohnt sich. Weil die Politik immer mehr Gelder für den Kulturbetrieb kürzt, ist auf interessante Weise eine alternative Subkultur gewachsen. In der elektronischen Musikszene entfliehen die Menschen der Politik und stellen selbstfinanziert ihre eigenen Regeln auf. Es ist ehrlich und noch nicht so verdorben kommerziell. Budapest ist also bestimmt einen Besuch wert – und wenn es nur für ein Wochenende ist!
WANN: Die Einzelausstellung „U.F.O. (Unreadable For Others)“ von Botond Keresztesi läuft bis Samstag, den 7. März.
WO: Future Gallery, Schöneberger Ufer 59, 10785 Berlin.