Von schnellen Hasen und sanften Riesen Boris Saccone bei Jo van de Loo
20. Februar 2025 • Text von Julia Anna Wittmann
Lindwurm, Hase, Engel, Golem: Boris Saccone bringt Bildmotive der jüdischen und christlichen Folklore auf die Leinwand. In seiner Einzelausstellung “Der Hase rannte” bei Jo van de Loo zeigt der Künstler neue, pastellfarbene Arbeiten mit mythenbeladenen Motiven – Ölgemälde, die zum Phantasieren einladen.

Ein rosafarbener, samtiger Teppich bedeckt den Boden der Galerie und dämpft die Schritte der Besucher*innen. Vielleicht sollen die auf den Leinwänden tummelnden Gestalten nicht gestört werden? An den Wänden sind mystische und teleologische Figuren zu erkennen: der Erzengel Michael mit abgeschlagenem Drachenkopf in der Hand; ein freundlicher Golem auf dem Weg nach Prag; rennende Hasen; ein langer, blauer Lindwurm mit sechs Beinen und fünf Schwänzen. Boris Saccone zeigt in seiner Einzelausstellung “Der Hase rannte” bei Jo van de Loo eine Auswahl neuer Ölgemälde und schafft es mit wenigen Pinselstrichen fantasievolle Narrative in Pastell zu kreieren.
Jäger und Gejagter blicken sich im Galerieraum provokativ in die Augen. “E.M.” und “Lindwurmtriptychon”, die jeweils den Erzengel Michael und ein blaues, drachenartiges Fabelwesen darstellen, hängen sich gegenüber. Im Christentum gilt Michael als Bezwinger des Teufels, der ikonographisch in der Gestalt eines Drachens dargestellt wird. Saccones Erzengel ist – angelehnt an die weit verbreitete Darstellung in der christlichen Kunst – mit einer Rüstung bekleidet und einem Schwert in der rechten Hand bewaffnet. Michael hält zudem den abgetrennten Kopf eines Drachen in der Linken, während der Körper des toten Tieres zu seinen Füßen liegt. Der Künstler umrahmt die Szene mit gemalten Rosen- und Blumenblättern, die die teleologische Figur trotz der Gewalttat lieblich wirken lassen.

Der Antagonist des Erzengels räkelt sich auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes über drei Leinwände. Das “Lindwurmtriptychon” erinnert formal an dreiteilige Altarbilder aus dem Mittelalter. Statt christlicher Motive ist hier jedoch ein riesiges Drachentier mit zahlreichen Extremitäten vor einer Berglandschaft zu sehen. Dabei weckt das bläuliche Ungetüm mehr Erinnerungen an den Glücksdrachen Fuchur aus Michael Endes Erzählung “Die Unendliche Geschichte” statt an einen Teufel, der von einem Erzengel besiegt werden muss. Die in Gelb-, Rosa- und Blautöne getauchte Szenerie hat nichts Bedrohliches an sich, Jäger und Gejagter wirken seltsam friedlich, frei schwebend vor dem flächigen Hintergrund.

Ebenso beseelt und ruhig wirkt der bedächtig voran schreitende Golem, der den Mittelpunkt in Saccones Gemälde “Der Golem (auf dem Weg nach Prag)” einnimmt. Der Golem ist eine Figur der jüdischen Literatur und Mystik, die seit dem Mittelalter überliefert wird. Es handelt sich um ein menschenähnliches Wesen von gewaltiger Größe, gebaut aus Lehm und ins Leben gerufen durch das Wort “emet (אמת)” (dt. Wahrheit). Die drei hebräischen Buchstaben sind auf der Stirn von Saccones Golem zu finden. Dieser befindet sich, laut dem Titel des Künstlers, auf dem Weg nach Prag, vor einer roten Bergkulisse und von blauen Blumen umgeben.
Die bekannteste Version der Legende vom Prager Golem geht auf den Schriftsteller Jizchok-Leib Perez und seinen Roman aus dem Jahr 1890 zurück. Dort erweckt der Gelehrte Rabbi Loew den Golem mit einer Zauberformel zum Leben, damit dieser das jüdische Ghetto in Prag beschützen kann. Eines Tages wandte sich der Golem gegen die Bewohner*innen des Ghettos, zerstörte Häuser und Straßen, bevor er selbst ebenfalls zerstört wurde. Saccones Golem dagegen wirkt friedlich, sanft und gar nicht so gruselig, wie er vielleicht sein sollte.

Der Titel der Ausstellung “Der Hase rannte” geht auf die gleichnamige Arbeit von Boris Saccone zurück. Zu sehen sind fünf Hasen – vier braune und ein weißer – die dynamisch über die Leinwand springen. Im Vordergrund des Bildes ist zudem der Titel der Arbeit, in der rundgotischen Buchschrift “Rotunda” geschrieben, zu lesen. Die Typographie verortet auch die Hasen in einer mittelalterlichen Szenerie, macht sie zu Boten einer märchenhaften, mystischen Sage.
Saccone versammelt Lindwurm, Hase, Engel und Golem in einem Raum, gebettet auf einem rosafarbenen Teppich. Es scheint, als ob die mystischen Kreaturen in Saccones Gemälden keine Lust auf die ihnen zugeschriebenen Rollen haben. Sie erzählen ihre eigene Geschichte, von schnellen Hasen und sanften Riesen auf Reisen – in Pastell getaucht, vor Berglandschaften und gespickt mit mittelalterlicher Symbolik.
WANN: Die Ausstellung “Der Hase rannte” ist noch bis zum 29. März zu sehen.
WO: Jo van de Loo, Theresienstraße 48, 80333 München.