Boing Boom Tschak Thomas Bayrle im Lenbachhaus
20. Dezember 2016 • Text von Quirin Brunnmeier
Surrende Motoren und schwenkende Gelenke. Repetitive Sounds und digitale Videos. Thomas Bayrle bespielt den Kunstbau des Lenbachhaus mit seinen kinetischen Motor-Skulpturen und zelebriert die sinnliche Qualität der metallenen Konstruktionen.
Fast kakophon schallt es durch den langgezogenen Raum des Kunstbaus. Es rattert und scheppert, die Museumsaufsichten tragen Schutzkopfhörer. Im Raum verteilt, abwechselnd durch Zeitschaltuhren aktiviert, drehen sich Motoren, winken Scheibenwischerblätter, ertönen sich wiederholende Soundfragmente aus Lautsprechern. Rhythmisch im Raum verteilt hat Thomas Bayrle seine Motorblöcke, die er sich behutsam angeeignet hat, geöffnet, dekonstruiert und zweckentfremdet. Man kann ins Innere dieser oft ikonischen Motoren sehen, ein amerikanischer V8-Big-Block ist dabei, ein in die Hälfte getrennter Vespaantrieb und der Motor eines Porsche 911. Ventile pumpen, Kolben bewegen sich auf und ab, Achsen drehen sich unvermittelt. Doch diese Motoren treiben nichts mehr an, sie werden selbst elektrisch in Bewegung gesetzt.
Thomas Bayrle widmet sich in seiner Arbeit der Ästhetik mechanischer Apparate und den Abläufen der seriellen und industriellen Fertigung. Der ausgebildete Weber und Grafiker arbeitete auch als einer der ersten Künstler in Deutschland mit computergenerierten, digitalen Bildern. Viele dieser Film-Arbeiten werden auch in der Ausstellung im Lenbachhaus in einem separaten Raum gezeigt. Sein Interesse galt schon früh den Prozessen des Seriellen und des Konsums, er gilt als einer der Pioniere der Pop-Art in Deutschland. Wie steht ein Individuum zur Massen-Gesellschaft und wie beeinflusst die Waren- und Konsumwelt den Menschen, sind zentralen Fragen seiner künstlerischen Praxis. Auch der Bezug der Menschen zu den Organisations- und Produktionsprinzipien von Wirtschaft und Technologie steht in seinem Interesse. Massenprodukte und Menschenmassen in einer mobilisierten Gesellschaft.
Die aufgeschnittenen Motoren, die er erstmals 2012 bei der documenta 13 zeigte, und die in ihrer Gesamtheit in der Ausstellung im Lenbachhaus zu sehen sind, haben eine ganz eigene Präsenz. Wie hocheffiziente und doch durch den Eingriff des Künstlers ad absurdum geführte Relikte einer ausklingenden Epoche wirken diese in Bewegung gesetzten Motor-Blöcke. Und strahlen doch eine fast melancholische Schönheit aus. Nicht ohne Humor und mit Sinn für die Ästhetik der Ingenieurskunst seziert Bayrle diese Maschinen förmlich. Glatte Oberflächen und perfekt eingepasste Einzelteile, die ineinandergreifen. Ein gut getaktetes Spiel aus Rhythmus und Bewegung. Die den jeweiligen Motoren zugeordneten Sounds vermengen Originalgeräusche mit Versatzstücken kirchlicher Liturgien und Gebete. Im Loop abgespielt deuten sie eine vermeintliche Unendlichkeit an, die dem Glauben immanent ist. Vielleicht auch dem Glauben an die Technik.
Neben den Motor-Skulpturen zeigt Thomas Bayrle auch ein großformatiges Wandrelief aus Holz, speziell für das Lenbachhaus entworfen. Eine verschachtelte, verknotete Konstruktion, 30 Meter lang und 5 Meter hoch, in Grau. „Autobahn“, so der Titel, der nicht erst seit dem Kraftwerk Album auf mehr als nur den Straßentyp verweist, veranschaulicht imposant die physische Vernetzung und räumliche Bewegung einer komplexen Gesellschaft, die durch Transaktionen und Mobilität im öffentlichen Raum gekennzeichnet ist. In schönem Kontrast zu den immobilisierten, musealisierten Motoren.
WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 5. März zu sehen.
WO: Kunstbau der städtischen Galerie im Lenbachhaus, Luisenstraße 33, 80333 München.