Da ist der Fuchs
13. Berlin Biennale "Das Flüchtige weitergeben"

19. Juni 2025 • Text von

Diese Berlin Biennale möchte sich nicht festlegen. Nicht auf Kategorien, nicht auf Provokationen, nicht auf eindeutige Antworten. Stattdessen: ein Fuchs. Kein niedliches Maskottchen, sondern eine stille Denkfigur. Ein leises Tier, das lautlos durch Berlin zieht, ohne sich greifen zu lassen. Erblickt man ihn, wird er zum Schnappschuss, der in Erinnerung bleibt. (Text: Olga Siemons)

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Daniel Gustav Cramer, Fox & Coyote [Fuchs & Kojote], 2024/25, Videostill © Daniel Gustav Cramer. Courtesy Sies + Höke, SpazioA, Vera Cortes.

„This is a biennial about thinking, even under the most constrained circumstances“ – dies ist eine Biennale des Denkens, selbst unter widrigsten Bedingungen. Mit diesem Satz umreißt Kuratorin Zasha Colah bei der Pressekonferenz das Spannungsfeld, in dem sich die 13. Ausgabe der Berlin Biennale bewegt: zwischen Introspektion und äußerem Druck, zwischen philosophischer Reflexion und der grauhaften Realität von Krieg, Flucht und Gefangenschaft.

Mit ihrer Biennale verdeutlicht Colah, dass Kunst keine bloße Repräsentation, sondern Handlung ist. Allein das Ausstellen kann in vielen Heimatorten der teilnehmenden Künstler*innen aus fast 40 Ländern als Akt des Widerstands gedeutet werden. Kunst zu zeigen kann riskant sein. Und doch wirken viele der ausgestellten Arbeiten, die unter schwierigsten Bedingungen entstanden sind, überraschend leicht, absurd, sogar komisch. Darin liegt kein Widerspruch, sondern eine Haltung.

„We have intergenerational trauma, but we also have intergenerational humor“, (zu dt.: Wir tragen generationenübergreifende Traumata in uns, aber auch generationenübergreifenden Humor) zitiert Colah eine*n der Künstler*innen. Witz als Widerrede. Colah macht in ihrer Rede klar, dass Witze imstande sind, den Bann jenes religiösen Glaubens zu brechen, den Menschen den Mächten gegenüber hegen sollen, die sie regieren. Humor ist bei dieser Berlin Biennale keine Ablenkung, sondern Strategie: gegen Einschüchterung, gegen Lähmung durch Gewalt und Katastrophen.

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Zasha Colah und Valentina Viviani, Kuratorin und Assistenzkuratorin der 13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst. Bild: Raisa Galofre. // Panties for Peace, Panty Power Attack [Höschen-Power-Attacke], 2007, Installationsansicht, 13. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 2025. Courtesy Panties for Peace. Bild: Marvin Systermans.

Auflachen kann man etwa bei der Aktion Panties for Peace des transnationalen Netzwerkes Lanna Action for Burma, das sich 2007 gründete, um gegen das Militärregime in Myanmar zu protestieren. Das Mittel: Unterwäsche. In Myanmar haben Militärs den Aberglauben, dass ihre Macht durch Berührung mit Frauenunterwäsche geschwächt wird. Zwischen 2007 und 2010 verschickten Aktivist*innen Pakete mit Damenunterhosen an hochrangige Militärvertreter. Mit ihrer Aktion ernteten sie international viel Beifall – sorgten aber auch für Wut bei den Empfängern.

Im ersten Stock des KW Institute for Contemporary Art (KW) werden Besuchende zu aktiven Unterstützer*innen: Auf einem Ipad können sie Unterwäsche auf Than Shwe, Staatsoberhaupt als Vorsitzender der Militärjunta von Myanmar von 1992 bis 2011, schleudern und ihn so außer Gefecht setzen.

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Akademia Ruchu, Potknięcie [Stolpern], 1977, Videostill © Akademia Ruchu.

Akademia Ruchu, eine polnische Künstler*innengruppe, setzte in den 70er- und 80er-Jahren auf künstlerischen Ungehorsam im öffentlichen Raum. Ebenfalls in den KW ist ihre Videoarbeit „Potknięcie“ von 1977 zu sehen. Darin stolpern Menschen immer an derselben Stelle und das direkt vor dem Parteigebäude der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR), der damals führenden Staatspartei der Volksrepublik Polen. Unbeteiligte Passant*innen rätseln, lachen, bleiben stehen und werden so Teil der Performance.

In einem ehemaligen Gerichtsgebäude in Moabit bringt Helena Uambembe mit ihrem Video „How To Make a Mud Cake“ zwei scheinbar harmlose Genres zusammen: ein Kinderspiel und ein Youtube-Kochtutorial. Sie tritt als Social-Media-Köchin auf, doch was hier angerührt wird, ist mehr als ein Gericht. Es ist eine Konfrontation mit kolonialem Trauma.

Uambembe wuchs als Kind angolanischer Vertriebener auf, deren Geschichte mit dem südafrikanischen Militär verknüpft ist – ihr Vater kämpfte als Soldat einer Eliteeinheit. Der humorvolle, fast beiläufige Ton, den sie in ihrer Videoarbeit anschlägt, täuscht: Der Schlammkuchen ist Symbol und Metapher für eine Vergangenheit, die sich nicht einfach abwaschen lässt.

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Helena Uambembe, How To Make a Mud Cake [Wie man einen Schlammkuchen zubereitet], 2021/2025, Installationsansicht, 13. Berlin Biennale, Ehemaliges Gerichtsgebäude Lehrter Straße, 2025. Bild: Marvin Systermans.

Begleitet wird Uambembes Video von bedruckten Küchentüchern mit Aufdrucken wie „May contain traces of nationalism“ (zu dt.: Kann Spuren von Nationalismus enthalten). In ihrer Rauminstallation mischt sich Witz mit Bitterkeit und legt offen, wie tief Nationalismus, Militarismus und koloniale Gewalt in den Alltag eingeschrieben sind.

Und was ist nun mit dem Fuchs?

Er begleitet leise, aber deutlich und taucht an allen vier Standorten der Berlin Biennale immer wieder in Arbeiten auf – in den KW, den Sophiensaelen, im Hamburger Bahnhof und im ehemaligen Gerichtsgebäude in der Lehrter Straße.

In einem abgedunkelten Raum im Ostflügels des Hamburger Bahnhofs leuchten Larissa Araz’ Wandbilder aus Kreide auf schwarzem Grund. Sie zeigen Landschaften, die nicht von Menschen, sondern von Füchsen beherrscht scheinen, majestätische Augenblicke, die in Berlin verloren gehen.

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Larissa Araz, And through those hills and plains by most forgot, And by these eyes not seen, for evermore* [Und durch jene Hügel und Ebenen von den meisten vergessen, | Und von diesen Augen nicht gesehen, auf ewig], 2025, Installationsansicht, 13. Berlin Biennale, Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart, 2025. Courtesy Larissa Araz. Bild: Aristidis Schnelzer. // Gernot Wieland, Family Constellation with a Fox [Familienaufstellung mit einem Fuchs], 2025, Videostill © Gernot Wieland.

Gernot Wielands tragikomischer Film in den KW kreist um Erinnerungen, familiäre Projektionen, die westliche Kunstgeschichte – und um einen Fuchs. In der Schule des Erzählers hieß es, alle Hexen könnten sich in Füchse verwandeln und seien somit leibhaftige Verkörperungen des Teufels. In einer absurden Familienaufstellung aus Keramikfiguren begegnen sich Mutter, Vater, Freud, das Ego, große Meister der Kunstgeschichte – und der Fuchs als doppeldeutiges Symbol zwischen Tier, Teufel und Trickser.

Als kindlicher Erzähler verpackt Wieland die Wahrheit in Märchen und verwebt Erinnerungen und Fiktion zu einer Geschichte, die von Nachkriegsösterreich bis zur kolonialen Vergangenheit der Kunst reicht. Es geht um die Heilung individueller Traumata ebenso wie um die Auseinandersetzung mit einer Kulturgeschichte, die von Ausgrenzung, Raub und Entwertung geprägt ist.

In den Sophiensælen begegnen Besuchende dem Fuchs in Daniel Gustav Cramers Arbeit. Darin erzählt er von einer nächtlichen Begegnung mit einem Fuchs in Berlin – eine Szene, die ihn an seine Beobachtung eines einsamen Kojoten im kalifornischen Death Valley erinnert.

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Ehemaliges Gerichtsgebäude Lehrter Straße, 13. Berlin Biennale, 2025. Bild: Raisa Galofre.

Im ehemaligen Gerichtsgebäude zeigt Anna Scalfi Eghenter ein Video, das zum politischen Handeln aufruft – an jenem Ort, wo Karl Liebknecht 1916 gegen Krieg und Ausbeutung sprach. Immer wieder taucht im Video der Fuchs auf: als aktive Figur zwischen Stadtnatur und Symbol.

Nicht nur die Fuchs-Arbeiten, sondern auch viele andere der insgesamt 170 Werke von mehr als 60 Künstler:innen der Berlin Biennale verbindet der Versuch, über Umwege etwas anzusprechen, das direkt kaum greifbar ist. Der Humor lockert nicht nur auf, sondern steht als Hilfsmittel gegen eine Schockstarre.

Nicht nur die Fuchs-Arbeiten, sondern auch viele andere der insgesamt 170 Werke von mehr als 60 Künstler:innen der Berlin Biennale verbindet der Versuch, über Umwege etwas anzusprechen, das direkt kaum greifbar ist. Der Humor lockert nicht nur auf, sondern steht als Hilfsmittel gegen eine Schockstarre.

Der Fuchs kann sich dem urbanen Leben erstaunlich gut anpassen. Seine Schnauze wird spitzer, er bewegt sich wendiger und nutzt geschickt die verborgenen Pfade der Stadt. Doch er bleibt ein Grenzgänger – halb sichtbar, halb verborgen, immer in Bewegung zwischen den unsichtbaren Räumen der Stadt und der offenen Landschaft.

Wie die Künstler*innen der Berlin Biennale bewegt er sich zwischen Welten: zwischen Humor und Ernst, zwischen Protest und Poesie, zwischen Anpassung und Widerstand. Und so stellt sich die Frage: Muss der Fuchs sich anpassen – oder muss sich die Stadt, die Gesellschaft verändern, um Platz zu schaffen für die, die nicht ins Raster passen?

WANN: Die 13. Berlin Biennale ist bis zum 14. September in Berlin zu sehen.
WO: KW Institute for Contemporary Art, Hamburger Bahnhof, Sophiensæle und ein ehemaliges Gerichtsgebäude in der Lehrter Straße.

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