Berlin Art Week 2021 – was bleibt?
Die besten Ausstellungen im Museum

24. September 2021 • Text von

Die Berlin Art Week ist vorbei. Was bleibt sind eine ganze Menge tolle Ausstellungen, die ihr sicherlich noch nicht alle gesehen habt. Gerade bei den Museums-Shows könnt ihr euch entspannt Zeit lassen. Und wenn mal wieder ein Wochenende geplant werden will, hätten wir hier ein paar Empfehlungen.

Alexandra Bircken: Fair Game, 2021, Installationsansicht. Kesselhaus, KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Berlin. Foto: Jens Ziehe, 2021.

Alexandra Bircken im KINDL

Es ist ein Schlachtfeld. Fällt vielleicht nicht gleich im ersten Moment ins Auge, im zweiten aber doch mit voller Wucht. Die industrielle Schönheit des Kesselhauses vom KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst lenkt eben nur kurz ab von all den leblosen Latexkörperhülsen, die da liegen, lehnen, hängen, als hätten sie ihre beste Zeit bereits hinter sich gehabt. In Alexandra Birckens Ausstellung „Fair Game“ baumeln die Körper von Metallhaken, biegen sich über Stahlträger, einer scheint beinahe über eine Treppe ins Untergeschoss entkommen zu sein. Doch sie alle wurden niedergemetzelt, wohl von der Elektra-Figur, die da als einzige im Raum noch aufrecht steht, Schulterpolster, Strickstulpen, Tote-Bag aus Herrsching am Ammersee. Was vom Menschen überbleibt, wenn da nur noch Hülle existiert, dieser Ausstellung nach zu schließen erstaunlicherweise eine ganze Menge.

WANN: Die Ausstellung „Fair Game“ von Alexandra Bircken ist bis zum 15. Mai 2022 zu sehen.
WO: KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Am Sudhaus 3, 12053 Berlin.

Mire Lee: Carriers, 2020, Schinkel Pavillon © the artist and Art Sonje Center, Seoul; Photo: Yonje Kim and HR Giger, Atomkinder, 1968. © HR Giger Museum.

HR Giger & Mire Lee im Schinkel Pavillon

Es schmatzt, es gluckst, es schleimt. Es scheint zu leben. Durch die kinetischen Skulpturen von Mire Lee werden Flüssigkeiten gepumpt wie durch Gedärme. Eine zähe fleischfarbene Masse wirft Blasen, tropft, klebt und verkrustet. Ein bisschen bedrohlich und irgendwie sexy ist die Atmosphäre im Schinkel Pavillon. Mit Werken von Lee und HR Giger, bekannt als Schöpfer des Aliens aus dem gleichnamigen Kultfilm von Ridley Scott, ist ein Filmset für die Projektion eigener Sci-Fi-Fantasien entstanden. Es geht um Triebhaftigkeit und Ängste, maschinelle Organismen und Körperlichkeit, Krieg und Auferstehung. Dabei muss man kein eingefleischter Genre-Nerd sein, dieser Alienästhetik kann man sich schwer entziehen.

WANN: „HR Ginger & Mire Lee“ ist bis zum 2. Januar 2022 zu sehen.
WO: Schinkel Pavillon, Oberwallstraße 32, 10117 Berlin.

Ausstellungsansicht “Alicja Kwade. In Abwesenheit”, Foto: © Roman März.

Alicja Kwade in der Berlinischen Galerie

Sieht gar nicht unbedingt wie Alicja Kwade aus, ist aber Alicja Kwade drin – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Für ihre Ausstellung „In Abwesenheit“ hat die Künstlerin eine Art riesiges Selbstporträt geschaffen. Die Wände des Ausstellungsraums sind mit 12.000 Din-A4-Seiten ihres genetischen Codes tapeziert, die übrigen 302.000 Blätter sind in kupferfarben spiegelnden Schränken archiviert. Durch den Raum pumpt Kwades Herzschlag, übertragen von einer Uhr, die die Künstlerin an ihrem Handgelenk trägt. Das Ganze ist also live – jedenfalls immer dann, wenn Kwade nicht selbst vor Ort ist. In den seltenen Ausfällen läuft der Sound vom Band, das ist der Künstlerin angenehmer so. Der dokumentarische Eifer ist überwältigend, aber nicht grenzenlos. Am Ende geht es auch gar nicht um Kwade selbst, sondern um sie als exemplarisch für etwas viel Allgemeineres, Größeres, Allumfassendes.

WANN: Die Ausstellung „In Abwesenheit“ von Alicja Kwade ist bis zum 4. April 2022 zu sehen.
WO: Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124-128, 10969 Berlin.

Peng Zuqiang, keep in touch (part 1), 2020-21, Ausstellungsansicht “Más Allá, el Mar Canta”, 2021, Times Art Center Berlin. Foto: Jens Ziehe.

Times Art Center Berlin

Die Männer warten. Worauf? Das wird erstmal nicht so klar. An ein Auto gelehnt blicken sie sich um, während der Bass wummert. Keiner sagt etwas, trotzdem ist da irgendwie eine Geschichte. Auf einem Fernseher läuft Nägel-Clippen, auf einem anderen setzt eine Stimme eine Erzählung zusammen, während die erzählende Person nervös an einem Stift herumfummelt. Die Video-Installation von Peng Zuqiang fängt Gesten ein. Es ist nur eine der vielen und denkbar verschiedenen Arbeiten, aus denen sich die Ausstellung „Más Allá, el Mar Canta (Beyond, the Sea Sings)“ im Times Art Center Berlin zusammensetzt. Benannt nach dem gleichnamigen Buch des afro-chinesischen, kubanischen Autors Regino Pedroso vereint sie subjektive Perspektiven ausgehend von der chinesischen Diaspora in Mittelamerika und der Karibik.

WANN: Die Gruppenausstellung „Más Allá, el Mar Canta (Beyond, the Sea Sings)“ läuft bis zum 19. Dezember.
WO: Times Art Center Berlin, Brunnenstraße 9, 10119 Berlin.

Sandra Mujinga, Ausstellungsansicht Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin 2021, © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Mathias Völzke.

Preis der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof

Alle zwei Jahre wird der Preis der Nationalgalerie vergeben und an der Short-List-Ausstellung kommt man im Grunde auch nicht vorbei. Daran erinnert gleich zu Beginn der Show im Hamburger Bahnhof eine Übersicht mit all denjenigen, die bereits für den begehrten Nachwuchspreis nominiert waren. Tatsache, bei den meisten Namen klingelt’s direkt. Das sind ja exzellente Voraussetzungen für Lamin Fofana, Calla Henkel & Max Pitegoff, Sandra Mujinga und Sung Tieu, die in diesem Jahr für ihre Arbeit gewürdigt werden. Es riecht, es klingt, es gibt futuristische Dementoren zu sehen und Markisen in modern.

WANN: Die Ausstellung zum Preis der Nationalgalerie 2021 läuft bis zum 27. Februar 2022.
WO: Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50-51, 10557 Berlin.

Wir haben bereits einen ausführlichen Artikel zum Preis der Nationalgalerie 2021 veröffentlich.

n.b.k., Shilpa Gupta, Words Come From Ears, 2018, 15 min, Loop. Photo: Pat Verbruggen.

Shilpa Gupta im Neuen Berliner Kunstverein

Ein bisschen wie im Wartezimmer der klugen Gedanken fühlt man sich im Showroom des Neuen Berlinischen Kunstvereins. Nehmen Sie ruhig Platz inmitten von Weiß, weiße Bank, weißerer Boden. Den Kopf leicht in den Nacken geklappt sehen Besucher*innen über Shilpa Guptas Arbeit „Words Come From Ears“ Lettern rauschen. Da stehen Weisheiten, Wahrheiten, Fragen, poetische Abweichungen von selbigen. „Do we need a permit? Do we need a permit to b reat h? Do we need a permit to spek?” Gupta untersucht Machtverhältnisse. Wer darf was und warum? Die Künstlerin lädt mit einfachen, aber effektiven Mitteln ein, darüber nachzudenken.

WANN: Die Ausstellung von Shilpa Gupta läuft bis zum 21. Januar 2022.
WO: Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128-129, 10115 Berlin.

Haus am Lützowplatz, Clemens Krauss, Selbstportrait als Kind, 2017 (Detail). Courtesy of Galerie Crone Berlin/Wien; Photo: B. Borchardt.

Clemens Krauss im Haus am Lützowplatz

Es wird persönlich im Haus am Lützowplatz. Jedenfalls für die mutigen Teilnehmer*innen der Gruppentherapiesitzungen, die Clemens Krauss wöchentlich im Rahmen seiner Ausstellung „Massen“ im Haus am Lützowplatz leiten wird. Der ausgebildete Psychoanalytiker nutzt die Therapie als künstlerische Technik. Erstmals hat er im institutionellen Kontext gleich eine ganze Gruppe vor sich. Worum es da gehen wird? „Jede Gruppe ist wie ein Organismus“, sagt Krauss. Es entstehe stets ein gemeinsames Thema. Seine Erfahrungen wird er fortlaufend in einer eigenen Leinwandarbeit dokumentieren. Doch auch für Nicht-Therapie-Teilnehmer*innen ist die Ausstellung eine Erfahrung. Die Räumlichkeiten sind kaum wiederzuerkennen. Es wurden Wände eingezogen und so schlängelt man sich durch die Show ein bisschen wie durch einen Parcour – bis einem schließlich glibbernde Haut zu Füßen liegt.

WANN: Die Ausstellung „Massen / Masses“ von Clemens Krauss läuft bis zum 9. Januar 2022.
WO: Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, 10785 Berlin.

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