Neue Maßstäbe in der Metropole Béla Feldberg und Jiajia Zhang bei Damien and the Love Guru
16. Januar 2025 • Text von Anna Marckwald
Béla Feldbergs und Jiajia Zhangs Duo-Show „A Rare Kind of Trust“ in der Brüsseler Galerie Damien and the Love Guru stattet der spätkapitalistischen Großstadt einen kritischen Besuch ab. Zwischen Privatisierungstendenzen, Corporate-Ästhetik und Werbestrategien stellt sich die Frage: Gestaltet der Mensch den Raum oder der Raum den Menschen?

Wenn man mit dem Flugzeug in Peking oder New York lande, könne man die beiden Städte kaum voneinander unterscheiden, schreibt der Soziologe Richard Sennett in seinem Buch „Die offene Stadt. Eine Ethik des Bauens und Bewohnens“. In einer globalisierten Welt sähen die Hochhäuser der Städte im globalen Süden jenen im Norden zum Verwechseln ähnlich, geeint in Superlativen und formaler Geschlossenheit, Licht wie Menschen absorbierend.
Eine ähnliche Perspektive eröffnet sich beim Betreten der Ausstellung „A Rare Kind of Trust“ der Künstler*innen Béla Feldberg und Jiajia Zhang in der Brüsseler Dependance der Galerie Damien and the Love Guru. Der Blick fällt auf eine schwarze, von schummrig leuchtenden Löchern durchsetzte turmähnliche Skulptur, die unwillkürlich an die dystopischen Wolkenkratzer internationaler Metropolen denken lässt. Steril und anonym erscheint das Bauwerk. Zur Miniatur geschrumpft, kehrt sich in der Arbeit „Willliams / Wall st.“ des Frankfurter Künstlers Béla Feldberg das Verhältnis des menschlichen Körpers zur architektonischen Form des Stadtraums gleichsam um: Riesenhaft betrachten Besuchende das düster anmutende Gebäude aus höchster Höhe.

Die erdrückende Überlegenheit, die Hochhäuser mitunter ausstrahlen können, löst sich für einen Moment auf und mit ihr die Hierarchien, die sich Architektur wie öffentlichem Raum allgemein einschreiben. Bestärkt wird dieser Eindruck von einem Pappaufsteller vis-à-vis, dessen hasenähnlicher Umriss den Turm ebenso überragt und betont niedlich daherkommt. Während die eine Seite silbern reflektierend je nach Blickwinkel wahlweise Feldbergs Arbeit oder das Spiegelbild der Besuchenden einfängt, sind auf der anderen ein Bildschirm und Kopfhörer installiert. Insgesamt sind drei solcher Cut-outs im Ausstellungsraum verteilt. Nur im Sitzen oder Hocken lassen sich die auf ihrer Rückseite präsentierten Videoarbeiten richtig betrachten.
Verschwommene Bilder eines New Yorker Einkaufszentrums in den blassen Farben eines Analogfilms ziehen auf dem Screen vorbei. Füße von Passant*innen bleiben zögernd vor Schaufenstern stehen oder schnellen eilig in den nächsten Laden: Choreografien menschlicher Körper im kommerziellen Raum. Nie schwenkt die Kamera auf ihre Gesichter, der Bildausschnitt konzentriert sich stur auf den Abschnitt unterhalb der Hüfte. Die Kameraperspektive wird schließlich zur Realperspektive der Besuchenden. Jiajia Zhangs Arbeit „Lure (When I was in one of my favourite malls, I found it hard to get into trouble)“ greift nämlich subtil auch in ihre Bewegungen ein. Im Zusammenspiel von Skulptur und Video oktroyiert die im chinesischen Hefei geborene und in Zürich lebende Künstlerin, die unter anderem in New York studierte, eine Position im und Perspektive auf den Raum, die zumeist Kleinkindern vorbehalten ist.

Das ist kein Zufall, denn das schimmernde Häschen hat ein realexistierendes Vorbild. Es leiht sich seine Kontur vom Maskottchen Murpfi der Schweizer Supermarktkette Migros, geschaffen um auch die jüngsten „Kund*innen” anzusprechen. „Murpfi ist ein kleines, herziges Wesen, das in den Verkaufsstellen wohnt und den Kindern den Einkauf in der Migros bereichern soll,“ schreibt der Konzern auf seiner Website. Spätestens seit der Geburt ihrer Tochter vor zwei Jahren, so Zhang, sei ihr bewusst geworden, wie viele Werbestrategien es gebe, die, auf entsprechender Blickhöhe installiert, dezidiert Kinder adressierten.
Beide Positionen eint ihre kritische Untersuchung der globalen Großstadt. Während bei Zhang deren Kommerzialisierung und die daraus resultierenden sozialen Konsequenzen im Fokus stehen, reflektiert Feldberg die architektonische und infrastrukturelle Gestaltung urbaner Landschaften, die in seinen Arbeiten meist menschenleer erscheinen. Neben der Geburtsstadt des Künstlers Frankfurt am Main kommt auch hier New York, wo Feldberg im Rahmen eines Stipendiums der Hessischen Kulturstiftung kürzlich ein Jahr lebte und arbeitete, eine zentrale Rolle zu.

Ähnlich der eher pessimistischen Perspektive Zhangs auf das Soziotop Shoppingmall, in dem die Regeln des Kapitalismus das soziale Miteinander dominieren, entwerfen Feldbergs Arbeiten die Stadt als einen obgleich seiner Bevölkerungsdichte einsamen Ort. Eine Tendenz, die durch die räumliche Gestaltung von Metropolen noch bestärkt wird. Form und Materialität seiner Objekte zitieren das Design städtischer Oberflächen und Leitsysteme, die mitunter auch als Disziplinierungsmaßnahmen fungieren: Begrenzungen, wie metallene Pfosten, die Bewegungsströme in die richtigen Bahnen zu lenken intendieren, ebenso aber unter Vorsprüngen installierte Objekte, die schutzsuchenden Wohnungslosen das Niederlassen verunmöglichen sollen.
Schwarz-schimmernde Patina überzieht einige seiner Skulpturen, ein direkter Verweis auf die so charakteristische Ästhetik New Yorks, wo alles zu glänzen scheint. Schicht um Schicht werden jegliche Symptome von Verschleiß temporär von trügerischer Perfektion übertüncht. Oftmals, das zeigen Feldbergs Arbeiten, stehen die gestalterischen Entscheidungen innerhalb von Städten den Bedürfnissen der dort lebenden Menschen diametral gegenüber und priorisieren stattdessen, der kapitalistischen Logik folgend, Effizienz und oberflächliche Makellosigkeit. Anstelle des Ideals eines öffentlichen Raumes als Aufenthalts- und Begegnungsort schreitet dessen Privatisierung immer rapider voran. Dass das eher zu sozialer Individualisierung als Zusammenkunft führt, liegt auf der Hand.

Die Umkehr von Maßstäben und der Wechsel von Perspektiven sind auch in auch in Feldbergs Arbeiten wiederkehrende Motive. Im hinteren Raum der Galerie finden sich zwei an der Wand installierte architektonische Miniaturen, die Schaukästen gleichen. Während „Untitled (Panel No.10)“ den Blick auf einen tristen, mit spärlichem Mobiliar bevölkerten Wohnraum freigibt, birgt „Untitled (Panel No. 11)“ neben Fotografien futuristischer Hochhäuser eine Mini-Version des Empire State Buildings. Auf einer an der gegenüberliegenden Wand installierten Arbeit erinnert die Fotografie einer Reihe leerer Glasflaschen mit etwas Fantasie an einen High-Angle-Shot auf Manhattan.
Der Blick von oben schafft Distanz. Er zeigt das größere Bild und eröffnet eine umfassende Perspektive auf die Strukturen und Dynamiken der Stadt: rasterförmige Straßenzüge, die tiefe Furchten durch gigantische Gebäudekomplexe ziehen, Menschen erkennt man keine. Der Blick von unten zeigt sie wohl, aus der anonymen Masse tritt jedoch keiner von ihnen hervor. Béla Feldbergs und Jiajia Zhangs Ausstellung „A Rare Kind of Trust“ lädt Besucher*innen dazu ein, aus gewohnten Sehgewohnheiten auszubrechen und alternative Perspektiven einzunehmen. Vielleicht lassen sich manche Dinge aus einem anderen Winkel klarer erkennen.
WANN: Die Ausstellung “A Rare Kind of Trust” von Béla Feldberg und Jiajia Zhang läuft bis Freitag, den 14. Februar.
WO: Damien & The Love Guru, Rue de Tamines 19, 1060 Saint-Gilles, Brüssel.