Symptomatisch auffällig
Becky Beasley in der Galeria Plan B

6. Januar 2022 • Text von

Mit „H. S. P. (or Promising Mid-Career Woman)“ zeigt die Galeria Plan B eine herrlich minimalistische Ausstellung von Becky Beasley. Die Künstlerin begibt sich auf Spurensuche in die eigene Vergangenheit. Zwischen Pastellfarben, Postern und Perücken ist eine ungewöhnlich leise und persönliche Annäherung entstanden, die bewegt.

Zwei rosa Vorhänge teilen den Raum. Daran sind Fotografien befestigt. Darum herum stehen Hocker mit Objekten darauf.
Becky Beasley, H. S. P. (or Promising Mid-Career Woman), exhibition view, Galeria Plan B, Berlin, 2021. Photo: Trevor Good. Courtesy the artist and Plan B Cluj, Berlin.

Wenn plötzlich Dinge Sinn ergeben, die jahrelang nicht zusammengepasst haben, dann kann man das getrost als Happy End bezeichnen. Etwa dann, wenn sich Emotionen oder Symptome plötzlich einordnen lassen, Depressionen, Burn-Outs oder Erschöpfung zu Anhaltspunkten einer Diagnose werden. Von dem Phänomen, sich nach langer Zeit selbst zu verstehen, gesehen und verstanden zu werden, erzählt Becky Beasley mit ihrer Ausstellung „H. S. P. (or Promising Mid-Career Woman)“ in der Galeria Plan B.

H.S.P. ist ein Akronym für „Highly Sensitive Person“. Unter Hochsensibilität versteht man eine gesteigerte Verarbeitungssensitivität unterschiedlicher Reize. In Becky Beasleys Ausstellung spielt dieses Persönlichkeitsmerkmal eine tragende Rolle: Auf dem Linoleum-Boden im Eingangsbereich der Galerie prangt der kreisförmig verlaufende Schriftzug „Highly Sensitive Person“. Beim Lesen der Worte dreht man unweigerlich den Kopf hin und her, wodurch eine subtile Desorientierung einsetzt. Dieses vorübergehende Gefühl der Verwirrung ist von der Künstlerin beabsichtigt: Es ist eine Metapher für die unheimliche Erfahrung dessen, was sie selbst erlebt hat.

Der Blick in den Raum der Galeria Plan B zeigt einen Schriftzug auf dem Boden, einen rosa Vorhang und Fotografien an den Wänden
Becky Beasley, H. S. P. (or Promising Mid-Career Woman), exhibition view, Galeria Plan B, Berlin, 2021. Photo: Trevor Good. Courtesy the artist and Plan B Cluj, Berlin.

In der medialen Darstellung werden hochsensitive Menschen oft als schüchterne Sensibelchen oder überforderte Träumer*innen abgestempelt. In der Realität gibt es bisher keine einheitliche Theorie oder Definition des Phänomens – ebenso wenig wie ein übereinstimmendes Diagnoseverfahren. Becky Beasley hat recherchiert und dabei viel über geschlechtsspezifische Forschung und den Gender Health Gap herausgefunden. Da viel häufiger an männlichen Probanden geforscht wird, kommt es bei Frauen oft zu Fehldiagnosen neurologischer Auffälligkeiten. Viele Krankheitsbilder, darunter auch Autismus, werden deutlich mehr Männern diagnostiziert. Das liegt auch daran, dass Frauen gar nicht erst darauf untersucht werden.

So hat auch Beasley ihre Diagnose erst als Erwachsene erhalten: Im Winter 2020 wurde ihr Autismus diagnostiziert. Neben den üblichen Symptomen hat die Künstlerin auch jahrelang Mobbing, Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Gaslighting erlebt. Daher beschreibt Beasley ihre späte Diagnose als „wahrscheinlich eines der seltsamsten Happy-Ends“ – nicht das Ende und gar nicht mal so happy.

Drei Fotografien zeigen jeweils den gleichen schwarzen Farbeimer. Sie sind in verschiedenen Pastellfarben getönt.
Becky Beasley: BACK! (G), 2021 / BACK! (R), 2021 / BACK! (B/W), 2021. Photo: Trevor Good. Courtesy the artist and Plan B Cluj, Berlin.

In ihrer zweiten Einzelausstellung in der Galerie Plan B blickt die Künstlerin auf ihr Leben zurück, das erst in der Retrospektive Sinn ergibt. Und obwohl die Ausstellung eine minimalistische Formensprache hat, finden sich immer wieder Bezüge und Verknüpfungen, etwa die drei pastellrosa Vorhänge, die den Raum gliedern. Erst wenn man um die Ecke denkt, erkennt man den Sinn ihrer Form: Würde man von oben auf sie herab gucken, stünden da drei Buchstaben: H, S, P.

Apropos Pastell: An der Wand befinden sich sieben Drucke, die Fotoserie „BACK!“. Jeder Abzug wurde in gedämpften Farben getönt, ein Traum in grau, pastellrosa oder -grün. Zu sehen ist ein Eimer voll schwarzer Farbe, zu lesen ist „BLACK“. Mit diesem Schwarz hat Beasley früher ihre Skulpturen bemalt. Also ein Blick zurück? Das wird sich noch zeigen.

Drei Hocker sind mit Glaskästen bekrönt. Darunter befinden sich Anordnungen von Büchern und Keramik der Künstlerin.
Becky Beasley: Je dors, je travaille (Food II), 2021 / Je dors, je travaille (Encyclopedia of Photography), 2021 / Je dors, je travaille (Lucie Rie), 2021. Photo: Trevor Good. Courtesy the artist and Plan B Cluj, Berlin.

Im Rahmen der Ausstellung zeigt Beasley zum ersten Mal ihre Keramiken. Sie kombiniert sie mit Fotos und verschiedenen Büchern, vor allem Romane, aber auch Künstlerinnen-Biografien, Ratgeber und ein Lexikon sind dabei. Unter ihren Glashauben wirken die Assemblagen wie Sammelsurien persönlicher Erinnerungen. Konstrukte, die einen vagen Eindruck davon vermitteln, wer die Künstlerin ist oder war.

Beasleys eigene Verortung ist ein wichtiger Teil der Schau: Die 25 Jahre alte Fotografie „Me as Andy“ zeigt die Künstlerin mit rotem Lippenstift und Warhol-Perücke und stellt eine spannende Verbindung zwischen Selbstfindung und -darstellung her. Gleichzeitig dreht sich die Ausstellung keinesfalls nur um sie: Die Verbindung zu den Besucher*innen wird immer wieder hergestellt. Etwa anhand der Installation „Me & You“, die 1975 bis 2021 entstanden ist und aus vier niedrigen, tischähnlichen Skulpturen im hintersten Raum der Galerie besteht. Fast fühlt man sich beim Umrunden selbst als Teil der Installation, einer riesigen, lebendigen Lebenscollage.

Die Fotografie zeigt zwei Tische, die wie Schaukästen angeordnet sind. Unter Glaskisten befinden sich Objete. Im Hintergrund ist ein rosa Vorhang zu sehen.
Becky Beasley, H. S. P. (or Promising Mid-Career Woman), exhibition view, Galeria Plan B, Berlin, 2021. Photo: Trevor Good. Courtesy the artist and Plan B Cluj, Berlin.

Die Arbeit nennt sich „FRONT!“ und steht exemplarisch für die Herangehensweise der Künstlerin: Beasley hat ein Poster zerschnitten, gedreht, sämtlichen Text mit einem schwarzen Marker übermalt und mit anderen Elementen kombiniert. Wer dieses Vorgehen als Metapher für ein zerstückeltes, verzweigtes, vielseitig beeinflusstes Leben sieht, mag Recht haben. Es zeigt aber auch, dass Beasley die Dinge analysiert, von allen Seiten betrachtet und in einen großen Kontext setzt. Die Ausstellung gleicht daher nicht nur einem Blick in die Vergangenheit, sondern auch in die die Gegenwart – samt eigener Verortung in selbiger. „H. S. P.“ ist die auffallend einfühlsame Dokumentation einer Selbst- und Neufindung, mit der sich Beasley an ein halbes Leben, ihr Leben, herantastet.

WANN: Die Ausstellung „H. S. P. (or Promising Mid-Career Woman)“ läuft noch bis 5. Februar 2022.
WO: Galeria Plan B, Gebäude G, 2. Hinterhof, Potsdamer Str. 77-87, 10785 Berlin.

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