Stille Mementos
Bea Schlingelhoff im Kunstverein München

6. Oktober 2021 • Text von

Eine Ausstellung ohne Bilder in einem Ausstellungshaus mit komplizierter Geschichte. In ihrem vielschichtigen Projekt „No River to Cross“ befragt Bea Schlingelhoff die institutionelle und architektonische Geschichte des Kunstvereins München.   

Bea Schlingelhoff: No River to Cross, Mapping, 2021, Installationsansicht, Courtesy die Künstlerin und Kunstverein München e.V.; Foto: Constanza Meléndez.

Die Farbe Grün dominiert die hellen Ausstellungsräume im Kunstverein. Auf hellgrünem Hintergrund sind dunkelgrüne Rechtecke und Quadrate arrangiert, mal rhythmisch platziert, mal in Gruppen, über- und nebeneinander. Das Projekt „No River to Cross“ von Bea Schlingelhoff ist eine Malereiausstellung ohne Bilder. Die dunklen Rechtecke dienen lediglich als abstrakte Verweise auf Arbeiten, die an diesem Ort einmal gezeigt wurden. In einem anderen Kontext, zu einer anderen Zeit. In ihrer künstlerischen Praxis versucht Bea Schlingelhoff, etablierte Strukturen offen zu legen und deren Einfluss auf unsere aktuellen politischen und sozialen Bedingungen zu untersuchen. Die Künstlerin, deren Werk Zeichnung, Skulptur, und Typografie umfasst, bezieht dabei oft die konkrete Geschichte, aber auch die institutionelle Struktur des jeweiligen Ausstellungsorts ein. Mit dem Kunstverein München, hat sie eine durchaus historisch aufgeladene Institution in einem aufgeladenen Gebäude vorgefunden.

Bea Schlingelhoff: No River to Cross, 2021, Construction drawing by P-IN-K (detail).

Für ihr Projekt untersucht sie die, historische, Struktur des Kunstvereins sowie die Geschichte der Institution in der Zeit des Nationalsozialismus. Ihr Ausgangspunkt ist die Komplizenschaft des Kunstvereins mit dem NS-Regime und dessen brutaler Kulturpolitik, deren Ziel die systematische Gleichschaltung und Neuausrichtung der Kunst als völkisch-nationalistische Propaganda war. Zudem bezieht sich Schlingelhoff auch auf die Femeausstellung „Entartete Kunst“ die 1937 in den erweiterten Räumlichkeiten des heutigen Kunstvereins am Hofgarten stattfand. Als vermeintlich minderwertig wurde damals Malerei des Expressionismus, des Surrealismus, des Dadaismus, des Kubismus, der Neuen Sachlichkeit und des Fauvismus gezeigt. Neben damals schon bekannten Künstlern wie Wassily Kandinsky, Emil Nolde oder Lyonel Feininger wurden auch Arbeiten von jungen Künstler*innen in der Ausstellung diffamiert, die nach dem Krieg keinerlei Sichtbarkeit mehr erlangen konnten. Da viele der gezeigten Werke später zerstört wurden oder verschwanden, warf die Ausstellung einen langen, dunklen Schatten auf die Entwicklung der Kunst in Deutschland, auch weit in die Nachkriegszeit hinein.

Bea Schlingelhoff: No River to Cross, Mapping, 2021, Installationsansicht, Courtesy die Künstlerin und Kunstverein München e.V.; Foto: Constanza Meléndez.

Die grünen Platzhalter in „No River to Cross“ verweisen nun auf die Geschichte dieser Bilder und die unerzählten Geschichten der dahinterstehenden Künstler*innen. Wie stille Mementos erinnern sie an die dramatischen Folgen entfesselter Machtdynamiken und das zerstörerische Potenzial effizient funktionierender Strukturen. Neben ihrer architektonischen Intervention hat Bea Schlingelhoff auch auf einer anderen Ebene einen Eingriff am Kunstverein vorgenommen, in Form einer Änderung der Vereinssatzung. Die Künstlerin hatte vorgeschlagen, eine Entschuldigung des Kunstverein München für seine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten sowie die Anerkennung der Mitverantwortung an den von ihnen begangenen Unrechtstaten und ein dauerhaftes Bekenntnis zu den Grundsätzen der Nicht-Diskriminierung und Gleichberechtigung in die Satzung aufzunehmen. Der Vorschlag wurde den knapp 1.300 Mitgliedern des Kunstvereins zur Abstimmung vorgelegt und angenommen.

Die Ausstellung wird von Bea Schlingelhoffs erster umfassender Publikation begleitet, die Beiträge von Catherine Chevalier, Gloria Hasnay, Christina Irrgang, Helene Moll und Sadie Plant enthält.

WANN: Noch bis zum 21. November zu sehen.
WO: Kunstverein München e.V., Galeriestr. 4 (Hofgarten), 80539 München.

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