Das hörbare Cis
Ayumi Paul über das Malen mit Tönen

13. März 2020 • Text von

Musik ist ein sinnliches Material. Wie viel unendliches Potenzial darin steckt, war der Violinistin Ayumi Paul schon als Kind bewusst. Mit ihrer Ausstellung „Sympathetic Resonance“ beweist die Künstlerin, auf wie vielen Ebenen man sich durch die Kraft des Klangs ausdrücken kann.

Ayumi Paul | Earth Rhythms (Yellow Planetary Human) | 2020 | Foto Angela von Brill.

Ein Abend im Februar. Es ist kalt und verregnet. Ein typischer Berliner Winterabend, an dem man sich fragt, ob diese graue Tristesse je enden wird. Verabredet bin ich mit der Musikerin Ayumi Paul in ihrem Atelier in Berlin-Schöneberg. Es sind einladende, helle Räume, die einen die graue Garstigkeit schnell vergessen lassen. Wir sprechen über Klangkörper, die „Ciaconna“, den letzten Satz von Johann Sebastian Bachs Solo-Partita Nr. 2 und das „Singing Project“, welches Ayumi in ihrer Einzelausstellung „Sympathetic Resonance“ in der Kunsthalle Osnabrück, präsentiert.

gallerytalk.net: Das „Singing Project“ bildet einen essentiellen Bestandteil deiner Einzelausstellung, die aktuell in der Kunsthalle Osnabrück zu sehen ist. Um was handelt es sich da?
Ayumi Paul: Vor einem Jahr habe ich begonnen, Frauen in Osnabrück einzuladen, um mit mir gemeinsam zweimal im Monat zu singen. Ich wollte herauszufinden, was passiert, wenn man zu einer Art intuitivem Singen zurückkommt und dadurch gemeinsam Kreativität erlangt. Keine Noten lesen lernen, sondern, was muss passieren, dass ich und andere uns verbinden können als fluide Klangskulptur.

Ein Ziel des Projektes ist gemeinsam zum Ursprung des Klanges zu kommen. Was werden die teilnehmenden Frauen singen?
Die singen alle frei (lacht). Jeder seinen Part. Ich wollte, dass sie üben, jeweils einen eigenen Ton zu singen und gleichzeitig einen anderen wahrzunehmen. Das ist nicht leicht. Das ist wie eine neue Sprache zu erlernen und dabei seinen Körper genau wahrzunehmen. Frei nach dem Motto „Wie würde ich singen, hätte ich vergessen, auf was ich konditioniert bin.“ Was passiert, wenn ich einatme und dann so ausatme, dass einfach irgendein Ton aus mir kommt. Normalerweise unterdrücken wir solche Töne. Ansonsten ist das ja auch unangenehm (lacht).

Ayumi Paul | Sympathetic Resonance | 2019 | Foto Studio Light & Ayumi Paul, Ayumi Paul © Anna Rosa Krau.

Das klingt herrlich, wenn man einfach so loslassen kann. Wie hast du erreicht, dass die Frauen ihre Konditionen bei deinem Projekt „abgelegt“ haben?
Es ging mir nicht nur darum, Konditionen abzulegen, sondern gemeinsam in Bereiche zu dringen, in die man sonst nicht geht. Wir haben ganz verschiedene Übungen gemacht, die darauf zielen, was man alles mit seiner Stimme machen kann. Wie weit kann ich meinen Kehlkopf nutzen? Unsere Workshops klangen auch nicht besonders schön. Da war nicht das Feeling, dass man reinkommt und denkt – wow, das klingt nach einer Messe von Mozart! Am Ende ist es wie eine Farbpalette aus Tönen. Die Frauen haben mittlerweile ein gutes Gefühl dafür bekommen, wie sie mit ihren Tönen malen können.

Wenn alle frei singen, gibst du dann noch Anweisungen? Leitest du die Gruppe in einer Form?
Kaum. Alle Teilnehmerinnen waren und sind frei in ihrem Gesang. Das Einzige, was ich geleitet habe, waren die Übungen. Die habe ich klar redigiert. Und alles Andere ist Übungssache. Das braucht seine Zeit. Ich hatte großes Glück, dass ich die Möglichkeit bekommen habe, dieses Projekt ein Jahr lang aufzubauen. Ansonsten wäre es nicht so stark geworden oder einfach nicht gut, weil die Zeit zum Herantasten gefehlt hätte. Ich glaube, das hätte meine Intention nicht rübergebracht.

Gabst du den ersten Ton während eurer Workshops an, oder wie begann die Gruppe in der Regel zu singen?
Anfangs war es so, dass ich den ersten Ton angegeben habe. Zuletzt war es aber eher so, dass schon jemand summte (lacht). Grundsätzlich beginnt es mit einzelnen Tönen, das ist wie ein Malkasten. Im abstrakten Sinne. Die Frauen wissen, wo welche Töne liegen und können mit ihnen spielen. Aber weil es eine sehr eigene Art ist zu singen und kein Lehrbuch existiert, gibt es für die Dinge, die da musikalisch passieren, auch kein richtiges Vokabular. Man sollte mit seiner Intuition andocken. Oft entstehen dabei unglaublich schöne Gebilde an unterschiedlichen Tönen. Manchmal passiert es auch, dass dadurch ein Lied entsteht. Dass man einen Ton findet und diesen „weiterreicht“. Fast wie ein Pingpongspiel.

Ein „Pingpongspiel aus Tönen“ ist eine schöne Assoziation. Eigentlich bist du ausgebildete Violinistin, kamst mit 16 Jahren nach Berlin, um Geige zu studieren. Warum wolltest du ein Projekt verwirklichen, wo es um den Klang der menschlichen Stimme geht?
Mich hat es interessiert, etwas gemeinsam mit anderen Menschen und mit Körperarbeit zu machen. Die Geige ist total exklusiv, Stimme hat jeder. Ich wollte gerne mit etwas arbeiten, was jedem freisteht. Durch das Singen wurde ich auch zu jemand Lernenden, weil Stimme nicht mein „erstes“ Instrument ist. Ich bin sehr perfektionistisch, aber ich begebe mich sehr gerne in Bereiche, von denen ich nichts weiß (lacht).

Ayumi Paul | Ohne Titel | 2019 | Foto Angela von Brill.

Während der Ausstellungszeit wird immer jemand aus dem Chor vor Ort sein. Es wird also durchgängig gesungen. Gedacht ist ja auch, dass sich die Besucher dem Gesang anschließen. Wird es vor Ort noch Einweisungen geben?
Genau, die Ausstellung ist so gedacht, dass die singenden Frauen, die Besucher und Besucherinnen einladen am Gesang teilzunehmen. Das heißt, während der Ausstellung können alle mitmachen. Dazu gibt es Atemübungen, die den Besuchern helfen sollen ins Singen zu finden. Somit habe ich „I look at the flower, the flower looks at me“ kreiert. Das ist ein Hörspiel, das ähnlich einem Museums-Guide funktioniert. Anstatt einer Führung hört man Atemübungen von mir und läuft damit durch die Ausstellung. Die Besucher sollen ein Teil des Ganzen sein, ohne dass sie selbst ausgestellt werden.

Wird es neben den Klängen und dem Gesang in „Sympathetic Resonance“ auch „komponierte“ Musik zu hören oder sehen geben?
Eine zentrale Rolle wird Johann Sebastian Bachs „Ciaconna“, die Partita Nr. 2, in D-Moll, spielen und in verschiedenen Formen in der Ausstellung zu sehen sein. Die „Ciaconna“ ist eines der wirklich schweren Stücke, die für Geige geschrieben worden sind. Mit 16 habe ich es zum ersten Mal geschafft, es zu spielen. Das war ein echter Meilenstein! Danach habe ich nicht mehr aufgehört, habe sie immer weiter durch mein Leben getragen. Die „Ciaconna“ ist für mich wie ein Material, das ich ähnlich einem Bildhauer, der jeden Tag an einem Stein meißelt, seit 25 Jahren fast täglich bearbeite und dabei immer einen Herzensabdruck hinterlasse. Wie ein Memory-Stick meines Lebens, der beinhaltet, was mich mal berührt hat. Ein Kreislauf.

Ayumi Paul | I was here 20.02.2020 | 2020 | Schallplatte | Foto Angela von Brill.

Das ist etwas sehr Persönliches. Wie wird die „Ciaconna“ visuell gemacht?
Als Schallplatte und Negativabdruck. Ich werde die Partita im Tonstudio von Emil Berliner, der als Erfinder der Schallplatte und des Grammophons gilt, aufnehmen. Ich freue mich sehr die Partita dort zu spielen und zu wissen, dass gleichzeitig Schallwellen diese Spur auf eine Acetatlackplatte ritzen. Das finde ich auf eine paradoxe Art sehr poetisch, dass meine Erinnerungen, die in dieser Partita gespeichert sind, jetzt aufgezeichnet werden, indem man die Schallwellen einfängt. Somit wird mein Leben übersetzt in Impulse, die mit dieser Nadel wie eine Tätowierung in den Acetatlack gestochen werden.

Ayumi Paul | 678 Meter | 2020 | Acetatlack | Foto Angela von Brill.

Du möchtest mit „Sympathetic Resonance“ auch mit unserem Hören in der Imagination spielen. Wie sieht das aus?
Das Prinzip, wie zum Beispiel die Schallplatten funktionieren, kann man auch „größer“ übersetzen. Die Erde benötigt ein Jahr, die Sonne zu umkreisen, und diese Welle bedeutet ebenfalls einen Ton. Dieser Ton ist ein Cis, der so tief ist, dass unser menschliches Ohr es nicht hören kann. Wolltest du diesen auf dem Klavier spielen, müsstest du 32 Oktaven nach unten gehen. Für die Ausstellung habe ich eine Stimmgabel, die im hörbaren Cis-Bereich tönt, und einen Holzkörper, eine Art Klangskulptur, anfertigen lassen. Der Tisch ist aus Ahornholz, wie der Rücken einer Geige; das hatte abstrakt-ideelle Gründe. Aber sicherlich klingt jedes Holz anders. Wenn man die Stimmgabel nun auf den Holzkörper stellt und anschlägt, gehen die Wellen durch das Material. Man kann dann sein Ohr an den unteren Teil des Tischbeins legen und würde den Ton sehr laut hören.

Es ist spannend, dass jedes Material auf verschiedene Weise „erklingt“. Trotzdem erscheint es mir etwas unheimlich, dass die ganze Zeit ein Ton um oder in uns schwingt, der so tief ist, dass man ihn nicht hören kann.
Wir nehmen ihn aber trotzdem wahr. Da ist der Satz von Beuys: „Er würde sowieso mit dem Knie denken.“ Genauso hören die Menschen auch nicht nur mit dem Ohr, sondern mit dem ganzen Körper. Mit dem Ohr hören wir lediglich die Töne, die wir hören können. Aber die Schwingungen der Erde gehen unhörbar die ganze Zeit durch uns durch. Ähnlich mit Musik. Musik heißt ja nicht nur, dass man im Konzerthaus sitzt und einfach zuhört. Alles kann Musik sein. Dass man Welten damit schaffen kann. Welten öffnen, es ist ja nichts Neues, das man erfindet, sondern etwas, das man übersetzt und das einen letztendlich umgreift.

Ayumi Paul | Unisono | Klangskulptur | 2020 | Foto Angela von Brill.

WANN: Die Ausstellung “Sympathetic Resonance” ist bis 05. April 2020 zu sehen.
WO: Kunsthalle Osnabrück, Hasemauer 1, 49074 Osnabrück.

+++ Die Kunsthalle Osnabrück bleibt vorerst bis 21. April 2020 geschlossen. +++

Weitere Informationen zu den Arbeiten von Ayumi Paul sind auf ihrer Website zu finden.

Weitere Artikel aus Berlin