Aus dem Zwischenzustand Linn Born im Gespräch mit Julia Klemm
13. Februar 2019 • Text von Gast
Fragile Keramik und zarte Zeichnungen. Die Münchner Künstlerin Julia Klemm nutzt ihr Stipendium an der Cité Internationale des Arts für eine Weiterentwicklung ihrer künstlerischen Praxis. Unsere Gastautorin Linn Born traf die Künstlerin in ihrem Studio im Zentrum von Paris.
Dieses Interview spiegelt das Leben, es besteht aus einer Verkettung von Begegnungen. Ich kannte die Münchner Künstlerin Julia Klemm vor dem Besuch in Ihrem Studio in der Cité Internationale des Arts nicht, es war kühl, die Sonne schien uns ins Gesicht als wir uns trafen, es war ein schöner Moment. Julia Klemm wurde für das außergewöhnliche Stipendium vorgeschlagen und ist 2018 neben zwei anderen Künstlern eine der glücklichen Gewinnerinnen aus Bayern. Die Cité Internationale des Arts wurde 1965 im Herzen von Paris gegründet und gibt seitdem jedes Jahr über 1200 Künstlern, Musikern und Schriftstellen aus der ganzen Welt die Möglichkeit an Ihrem künstlerischen Oeuvre zu arbeiten, sich inspirieren zu lassen, sich zu vernetzen und dabei die Kultur in Paris aufzunehmen. Wie die Teilnehmer die Zeit vor Ort für sich nutzen ist vollkommen frei. Einfach ein wunderbarer Ort, an dem Kreative aller Kulturkreise zusammenkommen und sein können. Julia Klemm hat in der Klasse für Keramik und Glas von Prof. N.N. Prangenberg/ Karstieß in München vor zwei Jahren ihren Abschluss gemacht. Neben Ton verwendet sie „Alltagsskulpturen“, die von Ihren Vorbesitzern wieder freigesetzt wurden, als Ausgangspunkt ihres Schaffens. Readymades aus Porzellan und Glas zerlegt sie und entwickelt daraus neue skulpturale Formen, die die ursprüngliche Struktur nur noch gezielt hervorblitzen lassen. So entstehen bildhauerische Collagen, die einen Blick in die Gesellschaft und über die technischen Weiterentwicklungen von Keramiken und Glasuren zu zeitgenössischen Skulpturen werfen und eine starke Anziehungskraft entfalten.
Linn Born: Welche Lieblings „Alltagsskulpturen“ hast du bisher auf den Flohmärkten in Paris für dich entdeckt?
Julia Klemm: Fast jedes Wochenende gehe ich auf einen der großen Pariser Flohmärkte wie Puces de Vanves, Puces de Montreuil oder Saint-Quen und finde dort u.a. sehr skurrile Tierdarstellungen aus Keramik oder Porzellan – verschiedenste Vögel, Pferde, Schildkröten, Fische oder auch Tiere die in hässliche Kannen verwandelt wurden. Ich frage mich dann immer, wer war wohl der/die DesignerIn und zu welcher Zeit ist das Objekt entstanden und wer hat sich mal entschieden, diese Objekte als persönliche Gegenstände in die Wohnung zu stellen?
Nach welchen Kriterien suchst du die Objekte aus?
Es sind kitschige Massenproduktionen, die ich anhand ihrer Glasur und ihrer Form auswähle. Dabei mag ich die realistisch anmutenden Tierdarstellungen, oder solche, die etwas Unheimliches, Primitives oder Absurdes in ihrer Form bergen. Auch die visuell abstoßenden Elemente sind für mich ausschlaggebend. Oft finde ich Keramik- oder Porzellanfiguren, die hochwertiger angefertigt sind und leicht defekt günstiger verkauft werden. Die persönlichen Objekte sind für mich auch gerade deshalb sehr interessant, weil sie Gebrauchspuren zeigen, die eine Geschichte erahnen lassen. Diese Recyclingobjekte hole ich, indem ich sie erwerbe, aus ihrem „Zwischenzustand“ heraus und greife später wieder in ihre Form ein.
Hast du aktuell spezielle Favoriten?
Besonders in Paris entdecke ich auf den Flohmärkten kleine Singzikaden (Cigales) aus Keramik. Sie sind gerade meine Favoriten, in der Provence hergestellt haben sie eine starke regionale Verbundenheit und sind dort omnipräsent als kleine und große dekorative Figuren. Ihre Beliebtheit ist groß und von kurzer Dauer, denn ich finde sie auf allen Flohmärkten in Frankreich oder auf E-bay als abgelebte Artefakte. Ich mag die ovale einfache Erscheinung der Cigales und die Tatsachen, dass ihr Mund meist eine riesige Öffnung hat – die als Pflanzentöpfe für die Wand genutzt werden.
Was ist besonders an den Cigales?
Die schön glasierten Flügel liegen so eng am Körper an, dass es scheint, sie dienten nicht mehr der Fortbewegung – eine Art Entmachtung ihrer Lebendigkeit. Ich mag die Idee, dass diese Objekte Insekten darstellen, die im Süden Frankreichs abends immer hörbar, aber meist unsichtbar im Gras versteckt sind. Die Eier entwickeln sich teilweise über mehrere Jahre im Erdboden, bis sie sich zum endgültigen Lebewesen entpuppen. So passt ihr Charakter des Transformativen zu den Abläufen, die meine Objekte in den keramischen Prozessen durchlaufen.
Hatte die neue Umgebung und die vielen neuen Eindrücke schon einen Einfluss auf deinen Schaffensprozess?
Ja, definitiv hat mich beides sehr beeinflusst. Die Eindrücke haben eher indirekten Einfluss, jedoch die Arbeitsbedingungen hier in der Cité wirken sich unmittelbar auf meine Arbeitsweise aus. Als ich hier ankam, wollte ich herausfinden, wie ich am besten meine Keramiken weiterentwickeln kann. Es gibt aber an der Cité keine klassische Keramikwerkstatt, sondern nur einen Brennofen, dessen Temperatur auf 980 Grad begrenzt ist. In München bin ich es gewohnt Glasuren zu verwenden, die ich höher brenne. Der Brennofen hier veranlasst mich mit niedrigbrennenden Glasuren, wie Lüster oder Transparentglasur, die ich mit Pigmenten verändere zu experimentieren. Diese Einschränkungen empfinde ich mittlerweile als sehr bereichernd für meine Arbeit, da ich mich auf diese Weise mit den gegebenen Mitteln intensiver auseinandersetze und den Prozess aus anderen Perspektiven betrachten kann und muss.
Wie beeinflusst dich die Umgebung, die Stadt?
Die Cité liegt im Zentrum von Paris, ganz in der Nähe der Notre Dame und ich erlebe diese Umgebung als sehr intensiv. Dazu gehört das starke Spannungsfeld der Stadt, zwischen der im Winter so schön anmutende morbiden Stadtstruktur, der gleichzeitig massiven Obdachlosigkeit und den wöchentlichen Protesten der Gelbwesten. Obdachlose schlagen jede Nacht direkt vor der Cité ihr Nachquartier auf. Diese Bilder und Stimmungen haben Einfluss auf meine Kunst.
Du bist jetzt seit fast drei Monaten Teil dieser Residency im Herzen von Paris, unmittelbar an der Seine, mit bis zu 300 Menschen aller Ethnien, Altersgruppen und Disziplinen. Eine Frage, die sich mir gestellt hat als wir durch die Gebäude gingen war, wo die Orte sind, die für diese Menschen aus allen Kulturen der Welt Räume für Begegnungen schaffen. Wie und wo hast du andere Teilnehmer der Cité kennengelernt?
Wichtige Treffpunkte sind die Open Studios. Möchte man seine Werke zeigen, gibt es die Möglichkeit in den Wohnateliers eine Ausstellung zu organisieren und sich mit anderen auszutauschen. Diese Veranstaltungen sind sehr beliebt und im Schnitt finden etwa 8 Open Studios pro Woche statt. Diese sind, was ich großartig finde, so unterschiedlich und vielseitig wie die KünstlerInnen aus der ganzen Welt, in ihren Medien und Ausdrucksformen. Im Newsletter der Cité werden wöchentlich für alle einfach zugänglich die Veranstaltungen publiziert, dazu gehören neben dem Open Studio auch Konzerte, Ausstellungen und andere Veranstaltungen. Möchte man nicht in seinem Wohnatelier ausstellen, eignet sich das Café des Arts auf dem Gelände sehr gut, auf neutralerem Boden kollaborative Projekte jeglicher Art zu zeigen. Für dieses System gibt es keinen vorgefertigten Rahmen und wir haben die Möglichkeit, frei unsere Ideen umsetzen.
Wie sind die Verbindungen zu den Menschen?
Es gibt KünstlerInnen, die ich gleich am Anfang kennengelernt habe, mit denen ich fast jeden Tag in Kontakt stehe. Es sind sehr gute Freunde geworden. Wir lernen auf künstlerischer und persönlicher Ebene viel voneinander und die gegenseitige Unterstützung ist sehr groß. Ich fühle hier kaum Konkurrenz zwischen uns KünstlerInnen und der Umgang ist sehr respektvoll, offen und so viele sind interessiert an einem Austausch. Auf so kleinem Raum derart viel über Kulturen, politische und soziale Strukturen aus allen Ländern der Welt kennenzulernen, das findet man womöglich nur an der Cité. Für mich ist der Aufenthalt bisher sehr anregend und Horizont erweiternd. Alle bringen ihre eigenen Geschichten und künstlerischen Hintergründe mit, so haben die Künstlerin Iva Atoski und der Bildhauer Božo Terzić mich zum Beispiel sehr animiert, selber wieder intensiver zu zeichnen. Das war ein wichtiger Impuls für mich.
Im Aufzug habe ich auf einem kleinen Plakat gesehen, dass du dein erstes Open Studio gehabt hast. Was hast du dir für den Abend gewünscht und was wolltest du den anderen Künstlern gerne zeigen?
Rückblickend kann ich sagen, dass diese Veranstaltung mir sehr viel gebracht hat. Ich hatte mir erhofft, dass ein Austausch entsteht und Sichtweisen und Eindrücke geteilt werden können. Während des Abends meines Open Studios wurden sechs Skulpturen präsentiert, die ich hier seit November 2018 entwickelt habe. Die Skulpturen ergänzte ich mit meinen Zeichnungen aus Tusche, Fineliner und Ölkreiden auf Papier. Für mich zeigen die Skizzen Gedanken, Form-und Farbstudien, die ich im Entstehungsprozess der Skulpturen festhalte. So habe ich bei diesem Open Studio einen Blick in die Entwicklung meiner Skulpturen zugelassen. Das Zwischenspiel von Papierarbeiten und Skulpturen ist eine neue und gute Erfahrung.
Wie war die Rückmeldung der Besucher zu deinem Open Studio und haben sich neue Möglichkeiten ergeben?
Die Resonanz auf die gezeigten Arbeiten war sehr gut und ein Zeichen für den intensiven und fruchtbaren Austausch war, dass ich zusammen mit einer argentinischen und einer koreanischen Künstlerin ein kollaboratives Open Studio organisiere, im Café des Arts. Ich freue mich darauf. Mein Open Studio war für mich so etwas wie ein Überblick, und ich weiß jetzt, in welche Richtung ich weitergehen möchte.
Wie siehst du deine künstlerische Entwicklung in den nächsten Monaten?
Hier in Paris habe ich eine neue Technik entwickelt, die mir neue Möglichkeiten eröffnet. Ich verändere die Form der objets trouvés durch Zersägen oder Zerbrechen und kombiniere sie danach mit Draht, Ton und Glasur. Inzwischen weiß ich wie diese Materialien aufeinander reagieren und kann dadurch freier werden. In meinen nächsten Skulpturen werde ich die inneren und äußeren Formen und die rissigen und glasierten Oberflächen gezielter hervorheben. Außerdem möchte ich das Zeichnen, sowohl auf Papier als auch auf Keramik, weiterverfolgen.