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Irrungen, Wirrungen des Don Quixote

24. Januar 2018 • Text von

Wie kreativ, schön und politisch schlagkräftig es ist unbeirrt, gegen den Strom und auch auf den Spuren Anderer zu denken, zeigt die aktuelle Gruppenausstellung in der Galerie Barbara Weiss

 

Installation view, Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin. Photo credit: Jens Ziehe

Neugierig betrete ich die Räume der Galerie und versuche dabei mühsam mein Wissen aus Schulzeiten zu Don Quixote aus den hinteren Ecken meines Hirns hervorzuholen. Don Quixote, so lautet der Titel der gerade eröffneten Gruppenausstellung. Auf der Ausstellungsliste, Namen aus Kunst und Literatur.

Mein erster Gedanke: Ritter aus Leidenschaft. Miguel de Cervantes’ Don Quixote ist ein Ritter, der eigentlich kein Ritter ist, aber beschließt einer zu sein. Sein Schicksal wächst und nährt sich sozusagen aus dieser fixen Idee. Es wäre prinzipiell falsch zu sagen ihm gelänge das nicht. Schließlich liegt das erst mal im Auge des Betrachters. Zwar misslingen ihm reihenweise die Aufgaben, die ein klassischer Ritteralltag, idealisiert durch die Ritterromane der damaligen Zeit so mit sich bringt, doch mindert das keineswegs seine Entschlusskraft, die man wohl auch Verblendung nennen darf. Die Figur des Don Quixote ist unbeirrt in Bezug auf ihr eigenes Handeln, obgleich es nicht der ritterlichen Norm entspricht.

Cervantes’ Don Quixote ist ein sehr komplexes Werk. Es spiegelt die Vita des Autors, eines Mannes, der so vieles war und eigentlich nur eines sein wollte – Schriftsteller. Frei verwendet Cervantes sowohl eigenes wie auch fremdes Material. Es manifestiert sich hier eine künstlerische Technik, ohne die es so manche Idee in der Kunst und Literatur des 20. Jahrhunderts vielleicht nicht gegeben hätte. So lehnt Cervantes seine Erzählung stark an den klassischen Ritterroman der damaligen Zeit und webt mit Fortschreiten der Erzählung auf immer komplexere und kunstvollere Art und Weise die unterschiedlichsten Stimmgeber und Einflüsse in seinen Roman hinein. An einer Stelle bricht der Roman sogar ab, nur um sich später, im neunten Kapitel im Auffinden eines arabischen Manuskripts aus der Feder des (fiktiven) muslimischen Geschichtsschreibers Cide Hamete Benengeli fortzusetzen. Der Roman gibt sich ab dann an eigentlich als arabische Übersetzung aus. Das widerspricht dem Dogma der Gegenreformation und der systematischen Stigmatisierung und Vertreibung von Anhängern anderer Glaubensrichtungen, vor allem Moslems, aus dem spanischen Raum Anfang des 17. Jahrhunderts. Der spanische Originaltext entpuppt sich als arabische Übersetzung und damit Aneignung. In der Reflexion über Original und Kopie offenbart sich die Absurdität einer jeden Diskussion um religiöse Vormachtstellung.

Installation view, Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin. Photo credit: Jens Ziehe

Dieses dichte Geflecht bietet den Nährboden für die Ausstellung, die ähnlich komplex gebaut und verflochten ist. Zentral, sowohl thematisch wie auch räumlich ist Elaine Sturtevants Künstlerbuch „Sturtevant, Author of Don Quixote“ (2009) – Einschub – 1939 schreibt der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges seine Kurzgeschichte „Pierre Menard, Autor des Don Quijote“. Der fiktive Pierre Menard schreibt Cervantes Text radikal neu, indem er in minutiös kopiert. Er reproduziert den Text „Wort für Wort identisch“ und doch ist sein Exemplar „nahezu unerschöpflich reicher“ – Einschub – bevor Cervantes 1615 den zweiten Teil des Don Quixote veröffentlicht, wird ein weiterer Band eines unbekannten Autors publik. Cervantes steht dieser Herausforderung im realen Leben gegenüber, Don Quixote und sein Knappe Sancho Panza sehen sich im zweiten Teil mit den fiktiven Ausgeburten dieses falschen, zweiten Bandes konfrontiert.

Egal wo wir in der Ausstellung ansetzen, kreuzt früher oder später eine Kopie, eine Reproduktion, ein Aneignen und Umfunktionieren unseren Weg. Von Cervantes bis Kathy Acker – wir merken schnell, dass die Begriffe von Original und Kopie, allgemein von vereinfachten Unterscheidungsmustern hier nicht wichtig sind. In ihren „iPhone Etchings“ greift Andrea Büttner das Bedeutungslose auf. Sie vergrößert die so ungeliebten Schlieren, die fettige Finger oder Make-up nach dem Telefonieren auf dem Bildschirm hinterlassen und druckt sie als Radierungen aus. Sie ästhetisiert das, was wir sonst sofort wegwischen, löschen und reinigen. Entgegen der Norm, anachronistische Techniken und ein Gespür für die Schönheit des Trivialen zeichnen Büttners Arbeiten aus. Ihr „Tuffstein“ wirkt merkwürdig fremd in der künstlich, sterilen Umgebung des Galerieraums, in dem sein künstlerisches Dasein zudem künstlich gesichert werden muss. 

Installation view, Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin. Photo credit: Jens Ziehe

Verstärkt wird dieses Gefühl auch durch das Mikroskop, das einige Meter weiter in der Ecke des Raumes steht. Darunter befinden sich Syphilis Bakterien. Der Künstler Puppies Puppies, der für seine Readymade Remixes bekannt ist, thematisiert hier die mit der Krankheit verbundene Scham und ein an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, was sich auch in der Platzierung des Mikroskops im Ausstellungsraum spiegelt. Ergänzend ist im U-Bahnhof Schönleinstraße ein Plakat mit Angabe einer Teststelle für Syphilis in Berlin aufgehängt. Das Tabuthema bekommt in seiner Wiederholung und gewissermaßen Entfremdung in der Galerie eine völlig neue Konnotation. 

Installation view, Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin. Photo credit: Jens Ziehe

Etwas versteckt hinter einer Säule liegt ein Stapel Bücher aus. Leise, wie als würde man sich nicht richtig trauen, sie auf einem Tisch zu zeigen. Der kenianische Schriftsteller Crispin Oduor Makachas erzählt sowohl von den katastrophalen Lebensbedingungen der Menschen in den Slums von Nairobi als auch von den fürchterlichen Arbeitsbedingungen französischer Bergleute. Letzteres geschah im 19. Jahrhundert und wurde 1885 schon einmal von Emile Zola in seinem Roman „Germinal“ dokumentiert. Makacha aktualisiert den Stil Zolas für seine Gegenwart und thematisiert so gleichzeitig den versetzten Geschichtsverlauf und die Ungleichheit des globalen Norden und Südens.

Nun mag man sich fragen, warum diese Frauen, Männer, Schriftsteller und (Lebens-)Künstler nicht ihr Eigenes, sondern schon Vorhandenes, sie Umgebendes verwenden. Die Themen und Aspekte der Ausstellung kreisen am Rande unseres Auffassungsvermögens und mögen nicht ganz in unsere Weltbild passen. Es sind Dinge, die wir kennen, aber eben irgendwie andersherum, abseits des Rasters, das uns vorgibt, wie wir sie im Normalfall sehen sollen. Es sind Dinge, die wir lieber ignorieren möchten, vor denen wir uns vielleicht sogar ekeln oder die wir schlicht nicht wahrnehmen. In der künstlerischen Aneignung wird das, was wir schon kennen und dementsprechend eingeordnet haben anders und neu. Allerdings nur, wenn wir das Raster, das sonst alles filtert etwas lockern.

Installation view, Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin. Photo credit: Jens Ziehe

Das letzte Wort behält Peter Fend mit seinem Kommentar auf einer Einladungskarte zu einer Ausstellung von Barbara Kruger. „We don’t need another hero“ proklamiert Kruger dort und konstatiert die Identität der Unterdrückten gegen die Vormachtstellung des weißen Mannes. Fend hingegen hinterfragt das klassische Schema der Identitätsbildung durch Abgrenzung vom Anderen und löst somit das sich unendlich fortsetzende Wechselspiel von Original und Kopie, Bejahung und Negation, Ich und dem Anderen auf. Er fragt nach Möglichkeiten des kollektiven Handelns. Schlussendlich der einzige Weg.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis 3. März zu sehen.
WO: Galerie Barbara Weiss, Kohlfurter Strasse 41/43, 10999 Berlin.

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